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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Ausstellungen in Wien,

Künste. Daneben gehen die Ausstellungen der verschiedenen Kunstinstitute einher,
im Österreichischen Museum sind bereits eine Sammlung grano-buddhistischer
Denkmäler, ferner neue Funde von ägyptischen Geweben und Papyrushand¬
schriften zu sehen, und ebenda steht eine historische Bronzeausstellung von der
ältesten Zeit bis auf die Gegenwart bevor. Mehr in irgend einem Sinne zu
fordern, wäre unbillig. Die Liste mag aber nicht einmal vollzählig sein.

Verschiedene von diesen Ausstellungen haben in der That vollen Anspruch
auf Beachtung. Über die Elektrizität, das Schoßkind unsrer Tage, braucht
kein Wort gesagt zu werden; höchstens steigt das Bedenken auf, ob trotz all
der Wunder der Beleuchtung, der Tonbefördcrnng, der Kraftübertragung :c.
Wie" nicht etwas zu rasch auf München folgen werde. Die indischen Gegen¬
stände, welche Dr. G. W. Leidner, ein Österreicher, Rektor der Universität zu
Lahore, gesammelt und in einem ausführlichen Katalog erläutert hat, gewähren
teils schätzenswerte Einblicke in die Technik (z. B. der Shawlwcberei), und er¬
öffnen zum andern Teil ganz neue kunstgeschichtliche Perspektiven. Die Samm¬
lung umfaßt nämlich eine große Zahl Gipsabgüsse von Skulpturen, Darstel¬
lungen ans der Geschichte Buddhas, welche, gegenständlich höchst anziehend, in
stilistischer Beziehung die merkwürdigsten Rätsel aufgeben. Nicht nur der Ein¬
fluß des Griechentums und dessen eigentümliche Verschmelzung mit einheimischer
Anschauung und Formensprache fallen da anf: es giebt Reliefs, auf denen jede
Figur einer andern Zeit und einem andern Lande anzugehören scheint. Manche
würde, wenn sie uns einzeln vorkäme, unbedenklich für byzantinisch oder römisch¬
christlich erklärt werden, manche weist bestimmt auf antike Vorbilder zurück,
und dicht daneben stellt sich der Hindutypns. Dürfen wir dabei an den Zug
Alexanders denken? In welcher dunkeln Zeit haben die Künstler Vorstellungen
cuifgenommen, welche uns an Sarkophagrelicfs mahnen? Hier findet die For¬
schung noch ein reiches Feld.

Geradezu epochemachend ist die ägyptische Ausbeute eines hiesigen Kauf¬
manns, Theodor Graf, der für gewöhnlich von seinen Reisen im Orient Pracht¬
stücke der Teppichwirkerei mitbringt, diesmal aber einen Schatz im vollen Sinne
gehoben hat: Hunderte von Geweben und Stickereien aus der Zeit vom vierten
oder fünften bis in das zehnte Jahrhundert unsrer Zeitrechnung. Darunter
befinden sich uoch ganze Gewänder für Erwachsene und Kinder, das übrige in
mehr oder weniger erhaltenen Bruchstücken, an denen zum Teil gerade der
Zustand der Zerstörung von Wert ist, weil er die Technik erkennen läßt. Was
beim ersten Blicke besonders befremdet und beim Vergleiche mit den Erzeugnissen
der Gegenwart recht niederschlagend wirkt, ist die Erhaltung der Farben. Wir,
gewöhnt an die Vergänglichkeit unsrer chemischen Farben, deren Verbleichen und
Verschmutzen sich beinahe von einen? Tage zum andern beobachten läßt, erblicken
hier auf tausendjährigen Stoffen Purpur, Rot, Gelb, Grün, Schwarz in voller
Frische und Reinheit. Die Faser ist vielfach verwittert, das Weiß der Leinen-,


Ausstellungen in Wien,

Künste. Daneben gehen die Ausstellungen der verschiedenen Kunstinstitute einher,
im Österreichischen Museum sind bereits eine Sammlung grano-buddhistischer
Denkmäler, ferner neue Funde von ägyptischen Geweben und Papyrushand¬
schriften zu sehen, und ebenda steht eine historische Bronzeausstellung von der
ältesten Zeit bis auf die Gegenwart bevor. Mehr in irgend einem Sinne zu
fordern, wäre unbillig. Die Liste mag aber nicht einmal vollzählig sein.

Verschiedene von diesen Ausstellungen haben in der That vollen Anspruch
auf Beachtung. Über die Elektrizität, das Schoßkind unsrer Tage, braucht
kein Wort gesagt zu werden; höchstens steigt das Bedenken auf, ob trotz all
der Wunder der Beleuchtung, der Tonbefördcrnng, der Kraftübertragung :c.
Wie» nicht etwas zu rasch auf München folgen werde. Die indischen Gegen¬
stände, welche Dr. G. W. Leidner, ein Österreicher, Rektor der Universität zu
Lahore, gesammelt und in einem ausführlichen Katalog erläutert hat, gewähren
teils schätzenswerte Einblicke in die Technik (z. B. der Shawlwcberei), und er¬
öffnen zum andern Teil ganz neue kunstgeschichtliche Perspektiven. Die Samm¬
lung umfaßt nämlich eine große Zahl Gipsabgüsse von Skulpturen, Darstel¬
lungen ans der Geschichte Buddhas, welche, gegenständlich höchst anziehend, in
stilistischer Beziehung die merkwürdigsten Rätsel aufgeben. Nicht nur der Ein¬
fluß des Griechentums und dessen eigentümliche Verschmelzung mit einheimischer
Anschauung und Formensprache fallen da anf: es giebt Reliefs, auf denen jede
Figur einer andern Zeit und einem andern Lande anzugehören scheint. Manche
würde, wenn sie uns einzeln vorkäme, unbedenklich für byzantinisch oder römisch¬
christlich erklärt werden, manche weist bestimmt auf antike Vorbilder zurück,
und dicht daneben stellt sich der Hindutypns. Dürfen wir dabei an den Zug
Alexanders denken? In welcher dunkeln Zeit haben die Künstler Vorstellungen
cuifgenommen, welche uns an Sarkophagrelicfs mahnen? Hier findet die For¬
schung noch ein reiches Feld.

Geradezu epochemachend ist die ägyptische Ausbeute eines hiesigen Kauf¬
manns, Theodor Graf, der für gewöhnlich von seinen Reisen im Orient Pracht¬
stücke der Teppichwirkerei mitbringt, diesmal aber einen Schatz im vollen Sinne
gehoben hat: Hunderte von Geweben und Stickereien aus der Zeit vom vierten
oder fünften bis in das zehnte Jahrhundert unsrer Zeitrechnung. Darunter
befinden sich uoch ganze Gewänder für Erwachsene und Kinder, das übrige in
mehr oder weniger erhaltenen Bruchstücken, an denen zum Teil gerade der
Zustand der Zerstörung von Wert ist, weil er die Technik erkennen läßt. Was
beim ersten Blicke besonders befremdet und beim Vergleiche mit den Erzeugnissen
der Gegenwart recht niederschlagend wirkt, ist die Erhaltung der Farben. Wir,
gewöhnt an die Vergänglichkeit unsrer chemischen Farben, deren Verbleichen und
Verschmutzen sich beinahe von einen? Tage zum andern beobachten läßt, erblicken
hier auf tausendjährigen Stoffen Purpur, Rot, Gelb, Grün, Schwarz in voller
Frische und Reinheit. Die Faser ist vielfach verwittert, das Weiß der Leinen-,


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[0150] Ausstellungen in Wien, Künste. Daneben gehen die Ausstellungen der verschiedenen Kunstinstitute einher, im Österreichischen Museum sind bereits eine Sammlung grano-buddhistischer Denkmäler, ferner neue Funde von ägyptischen Geweben und Papyrushand¬ schriften zu sehen, und ebenda steht eine historische Bronzeausstellung von der ältesten Zeit bis auf die Gegenwart bevor. Mehr in irgend einem Sinne zu fordern, wäre unbillig. Die Liste mag aber nicht einmal vollzählig sein. Verschiedene von diesen Ausstellungen haben in der That vollen Anspruch auf Beachtung. Über die Elektrizität, das Schoßkind unsrer Tage, braucht kein Wort gesagt zu werden; höchstens steigt das Bedenken auf, ob trotz all der Wunder der Beleuchtung, der Tonbefördcrnng, der Kraftübertragung :c. Wie» nicht etwas zu rasch auf München folgen werde. Die indischen Gegen¬ stände, welche Dr. G. W. Leidner, ein Österreicher, Rektor der Universität zu Lahore, gesammelt und in einem ausführlichen Katalog erläutert hat, gewähren teils schätzenswerte Einblicke in die Technik (z. B. der Shawlwcberei), und er¬ öffnen zum andern Teil ganz neue kunstgeschichtliche Perspektiven. Die Samm¬ lung umfaßt nämlich eine große Zahl Gipsabgüsse von Skulpturen, Darstel¬ lungen ans der Geschichte Buddhas, welche, gegenständlich höchst anziehend, in stilistischer Beziehung die merkwürdigsten Rätsel aufgeben. Nicht nur der Ein¬ fluß des Griechentums und dessen eigentümliche Verschmelzung mit einheimischer Anschauung und Formensprache fallen da anf: es giebt Reliefs, auf denen jede Figur einer andern Zeit und einem andern Lande anzugehören scheint. Manche würde, wenn sie uns einzeln vorkäme, unbedenklich für byzantinisch oder römisch¬ christlich erklärt werden, manche weist bestimmt auf antike Vorbilder zurück, und dicht daneben stellt sich der Hindutypns. Dürfen wir dabei an den Zug Alexanders denken? In welcher dunkeln Zeit haben die Künstler Vorstellungen cuifgenommen, welche uns an Sarkophagrelicfs mahnen? Hier findet die For¬ schung noch ein reiches Feld. Geradezu epochemachend ist die ägyptische Ausbeute eines hiesigen Kauf¬ manns, Theodor Graf, der für gewöhnlich von seinen Reisen im Orient Pracht¬ stücke der Teppichwirkerei mitbringt, diesmal aber einen Schatz im vollen Sinne gehoben hat: Hunderte von Geweben und Stickereien aus der Zeit vom vierten oder fünften bis in das zehnte Jahrhundert unsrer Zeitrechnung. Darunter befinden sich uoch ganze Gewänder für Erwachsene und Kinder, das übrige in mehr oder weniger erhaltenen Bruchstücken, an denen zum Teil gerade der Zustand der Zerstörung von Wert ist, weil er die Technik erkennen läßt. Was beim ersten Blicke besonders befremdet und beim Vergleiche mit den Erzeugnissen der Gegenwart recht niederschlagend wirkt, ist die Erhaltung der Farben. Wir, gewöhnt an die Vergänglichkeit unsrer chemischen Farben, deren Verbleichen und Verschmutzen sich beinahe von einen? Tage zum andern beobachten läßt, erblicken hier auf tausendjährigen Stoffen Purpur, Rot, Gelb, Grün, Schwarz in voller Frische und Reinheit. Die Faser ist vielfach verwittert, das Weiß der Leinen-,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/150>, abgerufen am 01.10.2024.