Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Pflichten des Reiches gegen die deutsche Auswanderung.

auf den Grundbesitz erstreckt. Mit dem immer höher steigende" Preise der
menschlichen Arbeit, mit der gerade im letzten Jahrzehnt so fühlbar gewesenen
Steigerung der Kommunal- und Schulabgaben ?c, und der von der Anschauung
des Einzelnen fast unabhängige" allgemeinen Erhöhung der Lebensansprüche ver¬
schwindet allmählich die Rentabilität und Bebanungsmöglichleit der leichten und
geringen Böden immer mehr. Die Besitzer derselben könne" die Konkurrenz mit
den fruchtbaren Ländereien, welche bei nicht erheblich größerer Arbeit den vier-
bis fünffachen Ertrag der ihrigen bringen, nicht mehr aushalten, ganz abgesehen
von dem durch Klima und Boden teilweise so viel höher begünstigten Auslande.
Jemehr überdies die Transportmittel großen Stils vervollkommnet und ver¬
allgemeinert werden, desto geringer wird der Einfluß der Entfernung, und desto
näher rücken einander die mit ganz ungleichen Mitteln kämpfenden Konkurrenten.

Dem Auslande gegenüber kann nun wenigstens einigermaßen durch Ein¬
fuhrzölle ein Ausgleich gefunden werden, wie dies ja zum großen Segen für
die deutsche Bodenwirtschaft bereits eingeleitet ist; im Inlande aber kaun dem
ärmeren Boden der aussichtslose Wettkampf nicht erspart werden. Die Folge
davon ist, daß zunächst die Besitzer der ungünstigsten Böden ihre bisherige Wirt¬
schaft aufgeben müssen. Naturgemäß trifft dies den kleinen Besitzer zuerst und
am härtesten. Der größere Gutsbesitzer hat namentlich in der Spiritusfabrikation
bis jetzt einen Halt und disponirt außerdem über relativ günstigere Kreditmittel
als der kleine Bauer, Käthner ?c., dessen landschaftliche oder ritterschaftliche Dar-
lehnskasse der unvermeidliche und unerbittliche -- Jude ist.

Dieser Gang der Entwicklung ist, so traurig es auch scheinen mag, unab¬
änderlich und unaufhaltsam. Im volkswirtschaftlichen Interesse ist es sogar
schließlich nur als ein Vorteil anzusehen, wenn die Besitzer solcher Wirtschaften
den unhaltbaren Zustand zwischen Leben und Sterben aufgeben und der Boden
zum Holzanbau oder ähnlichen Arten extensiver Wirtschaft übergeführt wird.
Hieraus erklärt es sich auch, daß gerade die Landesteile mit den leichtesten
Böden das größte Auswanderungskontingent stellen (z. B- Westpreußen und
Posen). Daß daneben in andern Landesteilen (z. B. Pommern und Schleswig-
Holstein) noch weitere Faktoren, wie die Schwierigkeit, eignen Grundbesitz zu
erwerben, spezielle Erbfolgegcsetze u. s. w. ähnliche Wirkungen hervorbringen, ist
bekannt und bedarf keiner weiteren Ausführung.

Die deutsche Auswanderung ist also ein durchaus naturgemäßer Vorgang,
ein Abfluß, der im Interesse des Gesamtorganismus eher befördert als gehemmt
werden müßte. Sehen wir nun, wie diese Auswanderung bisher vor sich ge¬
gangen ist und namentlich, wie sich der Staat und speziell das Reich diesem
wichtigen Gegenstande gegenüber verhalten hat.

So beschämend es ist, es eingestehen zü müssen, so läßt es sich doch
nicht leugnen: Bis jetzt hat Deutschland für seine auswandernden Kinder so
gut wie nichts gethan; sie sind aufs Geratewohl blind in die Welt hinausge-


Die Pflichten des Reiches gegen die deutsche Auswanderung.

auf den Grundbesitz erstreckt. Mit dem immer höher steigende» Preise der
menschlichen Arbeit, mit der gerade im letzten Jahrzehnt so fühlbar gewesenen
Steigerung der Kommunal- und Schulabgaben ?c, und der von der Anschauung
des Einzelnen fast unabhängige» allgemeinen Erhöhung der Lebensansprüche ver¬
schwindet allmählich die Rentabilität und Bebanungsmöglichleit der leichten und
geringen Böden immer mehr. Die Besitzer derselben könne» die Konkurrenz mit
den fruchtbaren Ländereien, welche bei nicht erheblich größerer Arbeit den vier-
bis fünffachen Ertrag der ihrigen bringen, nicht mehr aushalten, ganz abgesehen
von dem durch Klima und Boden teilweise so viel höher begünstigten Auslande.
Jemehr überdies die Transportmittel großen Stils vervollkommnet und ver¬
allgemeinert werden, desto geringer wird der Einfluß der Entfernung, und desto
näher rücken einander die mit ganz ungleichen Mitteln kämpfenden Konkurrenten.

Dem Auslande gegenüber kann nun wenigstens einigermaßen durch Ein¬
fuhrzölle ein Ausgleich gefunden werden, wie dies ja zum großen Segen für
die deutsche Bodenwirtschaft bereits eingeleitet ist; im Inlande aber kaun dem
ärmeren Boden der aussichtslose Wettkampf nicht erspart werden. Die Folge
davon ist, daß zunächst die Besitzer der ungünstigsten Böden ihre bisherige Wirt¬
schaft aufgeben müssen. Naturgemäß trifft dies den kleinen Besitzer zuerst und
am härtesten. Der größere Gutsbesitzer hat namentlich in der Spiritusfabrikation
bis jetzt einen Halt und disponirt außerdem über relativ günstigere Kreditmittel
als der kleine Bauer, Käthner ?c., dessen landschaftliche oder ritterschaftliche Dar-
lehnskasse der unvermeidliche und unerbittliche — Jude ist.

Dieser Gang der Entwicklung ist, so traurig es auch scheinen mag, unab¬
änderlich und unaufhaltsam. Im volkswirtschaftlichen Interesse ist es sogar
schließlich nur als ein Vorteil anzusehen, wenn die Besitzer solcher Wirtschaften
den unhaltbaren Zustand zwischen Leben und Sterben aufgeben und der Boden
zum Holzanbau oder ähnlichen Arten extensiver Wirtschaft übergeführt wird.
Hieraus erklärt es sich auch, daß gerade die Landesteile mit den leichtesten
Böden das größte Auswanderungskontingent stellen (z. B- Westpreußen und
Posen). Daß daneben in andern Landesteilen (z. B. Pommern und Schleswig-
Holstein) noch weitere Faktoren, wie die Schwierigkeit, eignen Grundbesitz zu
erwerben, spezielle Erbfolgegcsetze u. s. w. ähnliche Wirkungen hervorbringen, ist
bekannt und bedarf keiner weiteren Ausführung.

Die deutsche Auswanderung ist also ein durchaus naturgemäßer Vorgang,
ein Abfluß, der im Interesse des Gesamtorganismus eher befördert als gehemmt
werden müßte. Sehen wir nun, wie diese Auswanderung bisher vor sich ge¬
gangen ist und namentlich, wie sich der Staat und speziell das Reich diesem
wichtigen Gegenstande gegenüber verhalten hat.

So beschämend es ist, es eingestehen zü müssen, so läßt es sich doch
nicht leugnen: Bis jetzt hat Deutschland für seine auswandernden Kinder so
gut wie nichts gethan; sie sind aufs Geratewohl blind in die Welt hinausge-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0122" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/152879"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Pflichten des Reiches gegen die deutsche Auswanderung.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_499" prev="#ID_498"> auf den Grundbesitz erstreckt. Mit dem immer höher steigende» Preise der<lb/>
menschlichen Arbeit, mit der gerade im letzten Jahrzehnt so fühlbar gewesenen<lb/>
Steigerung der Kommunal- und Schulabgaben ?c, und der von der Anschauung<lb/>
des Einzelnen fast unabhängige» allgemeinen Erhöhung der Lebensansprüche ver¬<lb/>
schwindet allmählich die Rentabilität und Bebanungsmöglichleit der leichten und<lb/>
geringen Böden immer mehr. Die Besitzer derselben könne» die Konkurrenz mit<lb/>
den fruchtbaren Ländereien, welche bei nicht erheblich größerer Arbeit den vier-<lb/>
bis fünffachen Ertrag der ihrigen bringen, nicht mehr aushalten, ganz abgesehen<lb/>
von dem durch Klima und Boden teilweise so viel höher begünstigten Auslande.<lb/>
Jemehr überdies die Transportmittel großen Stils vervollkommnet und ver¬<lb/>
allgemeinert werden, desto geringer wird der Einfluß der Entfernung, und desto<lb/>
näher rücken einander die mit ganz ungleichen Mitteln kämpfenden Konkurrenten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_500"> Dem Auslande gegenüber kann nun wenigstens einigermaßen durch Ein¬<lb/>
fuhrzölle ein Ausgleich gefunden werden, wie dies ja zum großen Segen für<lb/>
die deutsche Bodenwirtschaft bereits eingeleitet ist; im Inlande aber kaun dem<lb/>
ärmeren Boden der aussichtslose Wettkampf nicht erspart werden. Die Folge<lb/>
davon ist, daß zunächst die Besitzer der ungünstigsten Böden ihre bisherige Wirt¬<lb/>
schaft aufgeben müssen. Naturgemäß trifft dies den kleinen Besitzer zuerst und<lb/>
am härtesten. Der größere Gutsbesitzer hat namentlich in der Spiritusfabrikation<lb/>
bis jetzt einen Halt und disponirt außerdem über relativ günstigere Kreditmittel<lb/>
als der kleine Bauer, Käthner ?c., dessen landschaftliche oder ritterschaftliche Dar-<lb/>
lehnskasse der unvermeidliche und unerbittliche &#x2014; Jude ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_501"> Dieser Gang der Entwicklung ist, so traurig es auch scheinen mag, unab¬<lb/>
änderlich und unaufhaltsam. Im volkswirtschaftlichen Interesse ist es sogar<lb/>
schließlich nur als ein Vorteil anzusehen, wenn die Besitzer solcher Wirtschaften<lb/>
den unhaltbaren Zustand zwischen Leben und Sterben aufgeben und der Boden<lb/>
zum Holzanbau oder ähnlichen Arten extensiver Wirtschaft übergeführt wird.<lb/>
Hieraus erklärt es sich auch, daß gerade die Landesteile mit den leichtesten<lb/>
Böden das größte Auswanderungskontingent stellen (z. B- Westpreußen und<lb/>
Posen). Daß daneben in andern Landesteilen (z. B. Pommern und Schleswig-<lb/>
Holstein) noch weitere Faktoren, wie die Schwierigkeit, eignen Grundbesitz zu<lb/>
erwerben, spezielle Erbfolgegcsetze u. s. w. ähnliche Wirkungen hervorbringen, ist<lb/>
bekannt und bedarf keiner weiteren Ausführung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_502"> Die deutsche Auswanderung ist also ein durchaus naturgemäßer Vorgang,<lb/>
ein Abfluß, der im Interesse des Gesamtorganismus eher befördert als gehemmt<lb/>
werden müßte. Sehen wir nun, wie diese Auswanderung bisher vor sich ge¬<lb/>
gangen ist und namentlich, wie sich der Staat und speziell das Reich diesem<lb/>
wichtigen Gegenstande gegenüber verhalten hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_503" next="#ID_504"> So beschämend es ist, es eingestehen zü müssen, so läßt es sich doch<lb/>
nicht leugnen: Bis jetzt hat Deutschland für seine auswandernden Kinder so<lb/>
gut wie nichts gethan; sie sind aufs Geratewohl blind in die Welt hinausge-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0122] Die Pflichten des Reiches gegen die deutsche Auswanderung. auf den Grundbesitz erstreckt. Mit dem immer höher steigende» Preise der menschlichen Arbeit, mit der gerade im letzten Jahrzehnt so fühlbar gewesenen Steigerung der Kommunal- und Schulabgaben ?c, und der von der Anschauung des Einzelnen fast unabhängige» allgemeinen Erhöhung der Lebensansprüche ver¬ schwindet allmählich die Rentabilität und Bebanungsmöglichleit der leichten und geringen Böden immer mehr. Die Besitzer derselben könne» die Konkurrenz mit den fruchtbaren Ländereien, welche bei nicht erheblich größerer Arbeit den vier- bis fünffachen Ertrag der ihrigen bringen, nicht mehr aushalten, ganz abgesehen von dem durch Klima und Boden teilweise so viel höher begünstigten Auslande. Jemehr überdies die Transportmittel großen Stils vervollkommnet und ver¬ allgemeinert werden, desto geringer wird der Einfluß der Entfernung, und desto näher rücken einander die mit ganz ungleichen Mitteln kämpfenden Konkurrenten. Dem Auslande gegenüber kann nun wenigstens einigermaßen durch Ein¬ fuhrzölle ein Ausgleich gefunden werden, wie dies ja zum großen Segen für die deutsche Bodenwirtschaft bereits eingeleitet ist; im Inlande aber kaun dem ärmeren Boden der aussichtslose Wettkampf nicht erspart werden. Die Folge davon ist, daß zunächst die Besitzer der ungünstigsten Böden ihre bisherige Wirt¬ schaft aufgeben müssen. Naturgemäß trifft dies den kleinen Besitzer zuerst und am härtesten. Der größere Gutsbesitzer hat namentlich in der Spiritusfabrikation bis jetzt einen Halt und disponirt außerdem über relativ günstigere Kreditmittel als der kleine Bauer, Käthner ?c., dessen landschaftliche oder ritterschaftliche Dar- lehnskasse der unvermeidliche und unerbittliche — Jude ist. Dieser Gang der Entwicklung ist, so traurig es auch scheinen mag, unab¬ änderlich und unaufhaltsam. Im volkswirtschaftlichen Interesse ist es sogar schließlich nur als ein Vorteil anzusehen, wenn die Besitzer solcher Wirtschaften den unhaltbaren Zustand zwischen Leben und Sterben aufgeben und der Boden zum Holzanbau oder ähnlichen Arten extensiver Wirtschaft übergeführt wird. Hieraus erklärt es sich auch, daß gerade die Landesteile mit den leichtesten Böden das größte Auswanderungskontingent stellen (z. B- Westpreußen und Posen). Daß daneben in andern Landesteilen (z. B. Pommern und Schleswig- Holstein) noch weitere Faktoren, wie die Schwierigkeit, eignen Grundbesitz zu erwerben, spezielle Erbfolgegcsetze u. s. w. ähnliche Wirkungen hervorbringen, ist bekannt und bedarf keiner weiteren Ausführung. Die deutsche Auswanderung ist also ein durchaus naturgemäßer Vorgang, ein Abfluß, der im Interesse des Gesamtorganismus eher befördert als gehemmt werden müßte. Sehen wir nun, wie diese Auswanderung bisher vor sich ge¬ gangen ist und namentlich, wie sich der Staat und speziell das Reich diesem wichtigen Gegenstande gegenüber verhalten hat. So beschämend es ist, es eingestehen zü müssen, so läßt es sich doch nicht leugnen: Bis jetzt hat Deutschland für seine auswandernden Kinder so gut wie nichts gethan; sie sind aufs Geratewohl blind in die Welt hinausge-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/122
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/122>, abgerufen am 01.10.2024.