Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die neue sächsische Gymnasial-Verordnung und die Überbiirdungsfrage.

Was aber hier von dem Latein gesagt ist, das gilt fast in noch höherm
Grade von der griechischen Sprache, Wie der lateinische Unterricht, abgesehen
von den Diensten, die er als formales Bildungsmittel leistet, zuletzt doch nur das
Lesen, nicht aber das Schreiben und Sprechen zum Zweck haben soll, so mich der
griechische, und zwar sollte hier aus den oben erwähnten pädagogischen Gründen
der sprachliche Unterricht noch mehr zurücktreten. Aber auch hier steht die
neueste sächsische Verordnung noch auf dem nun hoffentlich bald überwundenen
Standpunkte der letzten Jahre, wenn sie sagt: "Die Erlernung der griechischen
Sprache bezweckt neben der allgemeinen geistigen Gymnastik durch den alt-
klassischer Sprachunterricht die Hebung der geistigen Schätze und Bildungs-
mittel, welche in der klassischen Hinterlassenschaft enthalten sind," und an andrer
Stelle: "Ein Schüler, welcher mit Erfolg den Gymnasialkursns beeudet hat,
muß ein angemessenes deutsches Pensum ohne Hilfe der Grammatik, frei vou
groben grammatikalischen Fehlern, ins Griechische zu übersetzen, eine leichtere
Stelle aus den für die Lektüre in Prima genannten griechischen Autoren und
unter geringer Nachhilfe ins Deutsche zu übertragen verstehen, überhaupt aber
zeigen, daß er ein Verständnis des griechischen Altertums gewonnen hat." Auch
hier ist zwar gegen früher, wie ein Vergleich lehrt, der Gebrauch des Lexikons,
der unnötigerweise durch das Regulativ von 1876 verbannt war, wieder ge¬
stattet worden, aber wieder steht an erster Stelle die Schreibfertigkeit, an zweiter
erst die Fähigkeit im Übersetzen in die Muttersprache, die Sprache wird also mehr
zu dem Zwecke formaler Bildung getrieben denn als ein Mittel, uns die reiche
Geisteswelt des Altertums zu erschließen. Entschiedener verfährt auch hier das
preußische Regulativ, welches, auf die von 1856 giltige Bestimmung zurück¬
greifend, für die Maturitätsprüfung mir die Übertragung eines griechischen
Textes ins Deutsche verlangt und nur die Vorlegung der bei der Versetzung
nach Prima gelieferten griechischen Skripta und damit deutlich genug darauf
hinweist, daß auf der obersten Stufe des Gymnasiums der Mittelpunkt des
griechischen Unterrichts in der Lektüre, nicht in der zeitraubenden, die Schüler
durch das fortwährende Repetiren einer an Formen überreichen Grammatik er¬
müdenden schriftlichen Übungen zu suchen sei.

Hier liegt der wunde Puukt unsers ganzen gymnasialen Unterrichtes: Man
lehrt die Sprachen Griechenlands und Roms, nicht um der Jugend den Weg
zu den Schätzen des klassischen Altertums zu eröffnen, sondern um der toten
Sprachen selbst willen. Das heißt aber, sich mit der Schale begnügen und auf
den Kern verzichten. Wir reden durchaus nicht einem dilettantischen Sprach¬
unterricht das Wort und wünschen nicht, daß die schriftlichen und mündlichen
Übersetzungen ins Lateinische oder Griechische, namentlich auf den untern und
mittlern Stufen, als unwichtig angesehen werden, aber das eine kann nicht genng
betont werden, daß solche Übertragnngen doch immer nur das Mittel sein dürfen,
die wichtigsten Regeln einzuüben. Die Übersetzungen ans den klassischen Sprachen


Die neue sächsische Gymnasial-Verordnung und die Überbiirdungsfrage.

Was aber hier von dem Latein gesagt ist, das gilt fast in noch höherm
Grade von der griechischen Sprache, Wie der lateinische Unterricht, abgesehen
von den Diensten, die er als formales Bildungsmittel leistet, zuletzt doch nur das
Lesen, nicht aber das Schreiben und Sprechen zum Zweck haben soll, so mich der
griechische, und zwar sollte hier aus den oben erwähnten pädagogischen Gründen
der sprachliche Unterricht noch mehr zurücktreten. Aber auch hier steht die
neueste sächsische Verordnung noch auf dem nun hoffentlich bald überwundenen
Standpunkte der letzten Jahre, wenn sie sagt: „Die Erlernung der griechischen
Sprache bezweckt neben der allgemeinen geistigen Gymnastik durch den alt-
klassischer Sprachunterricht die Hebung der geistigen Schätze und Bildungs-
mittel, welche in der klassischen Hinterlassenschaft enthalten sind," und an andrer
Stelle: „Ein Schüler, welcher mit Erfolg den Gymnasialkursns beeudet hat,
muß ein angemessenes deutsches Pensum ohne Hilfe der Grammatik, frei vou
groben grammatikalischen Fehlern, ins Griechische zu übersetzen, eine leichtere
Stelle aus den für die Lektüre in Prima genannten griechischen Autoren und
unter geringer Nachhilfe ins Deutsche zu übertragen verstehen, überhaupt aber
zeigen, daß er ein Verständnis des griechischen Altertums gewonnen hat." Auch
hier ist zwar gegen früher, wie ein Vergleich lehrt, der Gebrauch des Lexikons,
der unnötigerweise durch das Regulativ von 1876 verbannt war, wieder ge¬
stattet worden, aber wieder steht an erster Stelle die Schreibfertigkeit, an zweiter
erst die Fähigkeit im Übersetzen in die Muttersprache, die Sprache wird also mehr
zu dem Zwecke formaler Bildung getrieben denn als ein Mittel, uns die reiche
Geisteswelt des Altertums zu erschließen. Entschiedener verfährt auch hier das
preußische Regulativ, welches, auf die von 1856 giltige Bestimmung zurück¬
greifend, für die Maturitätsprüfung mir die Übertragung eines griechischen
Textes ins Deutsche verlangt und nur die Vorlegung der bei der Versetzung
nach Prima gelieferten griechischen Skripta und damit deutlich genug darauf
hinweist, daß auf der obersten Stufe des Gymnasiums der Mittelpunkt des
griechischen Unterrichts in der Lektüre, nicht in der zeitraubenden, die Schüler
durch das fortwährende Repetiren einer an Formen überreichen Grammatik er¬
müdenden schriftlichen Übungen zu suchen sei.

Hier liegt der wunde Puukt unsers ganzen gymnasialen Unterrichtes: Man
lehrt die Sprachen Griechenlands und Roms, nicht um der Jugend den Weg
zu den Schätzen des klassischen Altertums zu eröffnen, sondern um der toten
Sprachen selbst willen. Das heißt aber, sich mit der Schale begnügen und auf
den Kern verzichten. Wir reden durchaus nicht einem dilettantischen Sprach¬
unterricht das Wort und wünschen nicht, daß die schriftlichen und mündlichen
Übersetzungen ins Lateinische oder Griechische, namentlich auf den untern und
mittlern Stufen, als unwichtig angesehen werden, aber das eine kann nicht genng
betont werden, daß solche Übertragnngen doch immer nur das Mittel sein dürfen,
die wichtigsten Regeln einzuüben. Die Übersetzungen ans den klassischen Sprachen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0090" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/151490"/>
          <fw type="header" place="top"> Die neue sächsische Gymnasial-Verordnung und die Überbiirdungsfrage.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_258"> Was aber hier von dem Latein gesagt ist, das gilt fast in noch höherm<lb/>
Grade von der griechischen Sprache, Wie der lateinische Unterricht, abgesehen<lb/>
von den Diensten, die er als formales Bildungsmittel leistet, zuletzt doch nur das<lb/>
Lesen, nicht aber das Schreiben und Sprechen zum Zweck haben soll, so mich der<lb/>
griechische, und zwar sollte hier aus den oben erwähnten pädagogischen Gründen<lb/>
der sprachliche Unterricht noch mehr zurücktreten. Aber auch hier steht die<lb/>
neueste sächsische Verordnung noch auf dem nun hoffentlich bald überwundenen<lb/>
Standpunkte der letzten Jahre, wenn sie sagt: &#x201E;Die Erlernung der griechischen<lb/>
Sprache bezweckt neben der allgemeinen geistigen Gymnastik durch den alt-<lb/>
klassischer Sprachunterricht die Hebung der geistigen Schätze und Bildungs-<lb/>
mittel, welche in der klassischen Hinterlassenschaft enthalten sind," und an andrer<lb/>
Stelle: &#x201E;Ein Schüler, welcher mit Erfolg den Gymnasialkursns beeudet hat,<lb/>
muß ein angemessenes deutsches Pensum ohne Hilfe der Grammatik, frei vou<lb/>
groben grammatikalischen Fehlern, ins Griechische zu übersetzen, eine leichtere<lb/>
Stelle aus den für die Lektüre in Prima genannten griechischen Autoren und<lb/>
unter geringer Nachhilfe ins Deutsche zu übertragen verstehen, überhaupt aber<lb/>
zeigen, daß er ein Verständnis des griechischen Altertums gewonnen hat." Auch<lb/>
hier ist zwar gegen früher, wie ein Vergleich lehrt, der Gebrauch des Lexikons,<lb/>
der unnötigerweise durch das Regulativ von 1876 verbannt war, wieder ge¬<lb/>
stattet worden, aber wieder steht an erster Stelle die Schreibfertigkeit, an zweiter<lb/>
erst die Fähigkeit im Übersetzen in die Muttersprache, die Sprache wird also mehr<lb/>
zu dem Zwecke formaler Bildung getrieben denn als ein Mittel, uns die reiche<lb/>
Geisteswelt des Altertums zu erschließen. Entschiedener verfährt auch hier das<lb/>
preußische Regulativ, welches, auf die von 1856 giltige Bestimmung zurück¬<lb/>
greifend, für die Maturitätsprüfung mir die Übertragung eines griechischen<lb/>
Textes ins Deutsche verlangt und nur die Vorlegung der bei der Versetzung<lb/>
nach Prima gelieferten griechischen Skripta und damit deutlich genug darauf<lb/>
hinweist, daß auf der obersten Stufe des Gymnasiums der Mittelpunkt des<lb/>
griechischen Unterrichts in der Lektüre, nicht in der zeitraubenden, die Schüler<lb/>
durch das fortwährende Repetiren einer an Formen überreichen Grammatik er¬<lb/>
müdenden schriftlichen Übungen zu suchen sei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_259" next="#ID_260"> Hier liegt der wunde Puukt unsers ganzen gymnasialen Unterrichtes: Man<lb/>
lehrt die Sprachen Griechenlands und Roms, nicht um der Jugend den Weg<lb/>
zu den Schätzen des klassischen Altertums zu eröffnen, sondern um der toten<lb/>
Sprachen selbst willen. Das heißt aber, sich mit der Schale begnügen und auf<lb/>
den Kern verzichten. Wir reden durchaus nicht einem dilettantischen Sprach¬<lb/>
unterricht das Wort und wünschen nicht, daß die schriftlichen und mündlichen<lb/>
Übersetzungen ins Lateinische oder Griechische, namentlich auf den untern und<lb/>
mittlern Stufen, als unwichtig angesehen werden, aber das eine kann nicht genng<lb/>
betont werden, daß solche Übertragnngen doch immer nur das Mittel sein dürfen,<lb/>
die wichtigsten Regeln einzuüben. Die Übersetzungen ans den klassischen Sprachen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0090] Die neue sächsische Gymnasial-Verordnung und die Überbiirdungsfrage. Was aber hier von dem Latein gesagt ist, das gilt fast in noch höherm Grade von der griechischen Sprache, Wie der lateinische Unterricht, abgesehen von den Diensten, die er als formales Bildungsmittel leistet, zuletzt doch nur das Lesen, nicht aber das Schreiben und Sprechen zum Zweck haben soll, so mich der griechische, und zwar sollte hier aus den oben erwähnten pädagogischen Gründen der sprachliche Unterricht noch mehr zurücktreten. Aber auch hier steht die neueste sächsische Verordnung noch auf dem nun hoffentlich bald überwundenen Standpunkte der letzten Jahre, wenn sie sagt: „Die Erlernung der griechischen Sprache bezweckt neben der allgemeinen geistigen Gymnastik durch den alt- klassischer Sprachunterricht die Hebung der geistigen Schätze und Bildungs- mittel, welche in der klassischen Hinterlassenschaft enthalten sind," und an andrer Stelle: „Ein Schüler, welcher mit Erfolg den Gymnasialkursns beeudet hat, muß ein angemessenes deutsches Pensum ohne Hilfe der Grammatik, frei vou groben grammatikalischen Fehlern, ins Griechische zu übersetzen, eine leichtere Stelle aus den für die Lektüre in Prima genannten griechischen Autoren und unter geringer Nachhilfe ins Deutsche zu übertragen verstehen, überhaupt aber zeigen, daß er ein Verständnis des griechischen Altertums gewonnen hat." Auch hier ist zwar gegen früher, wie ein Vergleich lehrt, der Gebrauch des Lexikons, der unnötigerweise durch das Regulativ von 1876 verbannt war, wieder ge¬ stattet worden, aber wieder steht an erster Stelle die Schreibfertigkeit, an zweiter erst die Fähigkeit im Übersetzen in die Muttersprache, die Sprache wird also mehr zu dem Zwecke formaler Bildung getrieben denn als ein Mittel, uns die reiche Geisteswelt des Altertums zu erschließen. Entschiedener verfährt auch hier das preußische Regulativ, welches, auf die von 1856 giltige Bestimmung zurück¬ greifend, für die Maturitätsprüfung mir die Übertragung eines griechischen Textes ins Deutsche verlangt und nur die Vorlegung der bei der Versetzung nach Prima gelieferten griechischen Skripta und damit deutlich genug darauf hinweist, daß auf der obersten Stufe des Gymnasiums der Mittelpunkt des griechischen Unterrichts in der Lektüre, nicht in der zeitraubenden, die Schüler durch das fortwährende Repetiren einer an Formen überreichen Grammatik er¬ müdenden schriftlichen Übungen zu suchen sei. Hier liegt der wunde Puukt unsers ganzen gymnasialen Unterrichtes: Man lehrt die Sprachen Griechenlands und Roms, nicht um der Jugend den Weg zu den Schätzen des klassischen Altertums zu eröffnen, sondern um der toten Sprachen selbst willen. Das heißt aber, sich mit der Schale begnügen und auf den Kern verzichten. Wir reden durchaus nicht einem dilettantischen Sprach¬ unterricht das Wort und wünschen nicht, daß die schriftlichen und mündlichen Übersetzungen ins Lateinische oder Griechische, namentlich auf den untern und mittlern Stufen, als unwichtig angesehen werden, aber das eine kann nicht genng betont werden, daß solche Übertragnngen doch immer nur das Mittel sein dürfen, die wichtigsten Regeln einzuüben. Die Übersetzungen ans den klassischen Sprachen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/90
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/90>, abgerufen am 23.07.2024.