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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

, Was meinst du, Dorothea, sagte er, als seine Tochter das Billet gelesen
hatte und ihm schweigend zurückreichte, denkst du nicht, daß es der Höflichkeit
angemessen wäre, einen reitenden Boten hinüberznschicken und die Herrschaften
zum Diner oder zum Abendessen, oder wozu du sonst willst, einzuladen?

Ganz wie du es für gut hältst, lieber Papa, antwortete sie. Kennst du
die Gräfin und ihren Sohn persönlich?

Nein, nur dem Namen nach. Es sind die schlesischen Altenschwerdt. Sie
sind in frühern Zeiten zu verschiednen malen mit unsern Vorfahren in freund¬
schaftliche Berührung gekommen, und es wäre mir lieb, wenn wir die Tradition
guter Beziehungen aufrecht erhielten.

Ein gewisses Etwas im Benehmen ihres Vaters war für Dorotheens weib¬
lichen Instinkt auffallend. Er sah sie nicht an, während er sprach, und seine
Bewegungen mit Messer und Gabel waren um eine Nuance lebhafter als sonst.
Er hatte für gewöhnlich wenig Neigung, Fremde einzuladen, und verhielt sich
gegen die Gutsnachbarn kühl und ablehnend. Es lag in diesem Billet und
in dessen Aufnahme von feiten ihres Vaters etwas auffälliges für Dorothea.

Du weißt nichts näheres über die Gräfin und ihren Sohn? fragte sie.

Meine liebe Dorothea, entgegnete der Baron, ich habe gehört, daß sie
Witwe ist und daß ihr Sohn irgend eine Anstellung im diplomatischen Dienst
hat. Es handelt sich hier lediglich um eine Artigkeit, und ich denke, wir lassen
um die Ehre zu einer Tasse Thee bitten, und schicken am Nachmittag schon
einen Wagen hinüber, damit wir den Gästen noch bei Tageslicht die Sehens¬
würdigkeiten zeigen können. Ich denke, wir setzen den morgenden Tag dazu
fest, denn ich sähe es gern, wenn der General dabei wäre, und der ist, wie er
mir gestern sagte, heute in Holzfurt. Es scheint wieder etwas mit seinem Neffen
im Werke zu sein, der ihm schon manchen schönen Thaler gekostet hat, den der
gute, alte Herr selber gebrauchen könnte. Wenn du den General benachrichtigen
willst, wird es mir angenehm sein. Herr Eschenburg wird vielleicht von selbst
kommen, oder, wenn du es nicht für sicher hältst, laß es ihn auch wissen, daß
wir ihn erwarten. Er ist ein unterrichteter Mann, der zur Unterhaltung bei¬
tragen wird. Der Gräfin will ich selbst eine Einladung schreiben.

Dorothea erwiederte nichts weiter und führte die Anordnungen ihres
Vaters aus, aber sie sah, ohne daß sie selbst Mißte, warum, der Ankunft des
neuen Besuchs mit einer gewissen Unruhe entgegen, obwohl sie sich des nahen
Wiedersehns mit Eberhardt freute. Es war, seitdem sie wußte, daß Eberhardt
sie liebte, eine heilige Stimmung über sie gekommen, in welcher jede neue Er¬
scheinung einem profanen Wesen glich, das über die Schwelle des Tempels ein¬
treten will.

Um sich zu beruhigen und die mißtrauischen Gedanken zu verscheuchen, die
ihr die Aussicht auf neue Bekanntschaften einflößte, schrieb sie ein Briefchen an
Eberhardt. Sie war nicht so ganz sicher, daß er kommen würde, und wollte


Die Grafen von Altenschwerdt.

, Was meinst du, Dorothea, sagte er, als seine Tochter das Billet gelesen
hatte und ihm schweigend zurückreichte, denkst du nicht, daß es der Höflichkeit
angemessen wäre, einen reitenden Boten hinüberznschicken und die Herrschaften
zum Diner oder zum Abendessen, oder wozu du sonst willst, einzuladen?

Ganz wie du es für gut hältst, lieber Papa, antwortete sie. Kennst du
die Gräfin und ihren Sohn persönlich?

Nein, nur dem Namen nach. Es sind die schlesischen Altenschwerdt. Sie
sind in frühern Zeiten zu verschiednen malen mit unsern Vorfahren in freund¬
schaftliche Berührung gekommen, und es wäre mir lieb, wenn wir die Tradition
guter Beziehungen aufrecht erhielten.

Ein gewisses Etwas im Benehmen ihres Vaters war für Dorotheens weib¬
lichen Instinkt auffallend. Er sah sie nicht an, während er sprach, und seine
Bewegungen mit Messer und Gabel waren um eine Nuance lebhafter als sonst.
Er hatte für gewöhnlich wenig Neigung, Fremde einzuladen, und verhielt sich
gegen die Gutsnachbarn kühl und ablehnend. Es lag in diesem Billet und
in dessen Aufnahme von feiten ihres Vaters etwas auffälliges für Dorothea.

Du weißt nichts näheres über die Gräfin und ihren Sohn? fragte sie.

Meine liebe Dorothea, entgegnete der Baron, ich habe gehört, daß sie
Witwe ist und daß ihr Sohn irgend eine Anstellung im diplomatischen Dienst
hat. Es handelt sich hier lediglich um eine Artigkeit, und ich denke, wir lassen
um die Ehre zu einer Tasse Thee bitten, und schicken am Nachmittag schon
einen Wagen hinüber, damit wir den Gästen noch bei Tageslicht die Sehens¬
würdigkeiten zeigen können. Ich denke, wir setzen den morgenden Tag dazu
fest, denn ich sähe es gern, wenn der General dabei wäre, und der ist, wie er
mir gestern sagte, heute in Holzfurt. Es scheint wieder etwas mit seinem Neffen
im Werke zu sein, der ihm schon manchen schönen Thaler gekostet hat, den der
gute, alte Herr selber gebrauchen könnte. Wenn du den General benachrichtigen
willst, wird es mir angenehm sein. Herr Eschenburg wird vielleicht von selbst
kommen, oder, wenn du es nicht für sicher hältst, laß es ihn auch wissen, daß
wir ihn erwarten. Er ist ein unterrichteter Mann, der zur Unterhaltung bei¬
tragen wird. Der Gräfin will ich selbst eine Einladung schreiben.

Dorothea erwiederte nichts weiter und führte die Anordnungen ihres
Vaters aus, aber sie sah, ohne daß sie selbst Mißte, warum, der Ankunft des
neuen Besuchs mit einer gewissen Unruhe entgegen, obwohl sie sich des nahen
Wiedersehns mit Eberhardt freute. Es war, seitdem sie wußte, daß Eberhardt
sie liebte, eine heilige Stimmung über sie gekommen, in welcher jede neue Er¬
scheinung einem profanen Wesen glich, das über die Schwelle des Tempels ein¬
treten will.

Um sich zu beruhigen und die mißtrauischen Gedanken zu verscheuchen, die
ihr die Aussicht auf neue Bekanntschaften einflößte, schrieb sie ein Briefchen an
Eberhardt. Sie war nicht so ganz sicher, daß er kommen würde, und wollte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/708>, abgerufen am 23.07.2024.