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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt,

Die letzten Häuser des Dorfes wurden passirt, und der Weg führte zwischen
Kartoffelfeldern zu einem einzeln stehenden Gebäude hinunter, das in der Ferne
unmittelbar am glänzenden Saume des Meeres lag. Beim Näherkommen ver¬
nahm Gräfin Sibylle den vom Seewind ihr entgegengetragenen Klang von
Flötentöne" von jener Stelle her.

Sie zeigte auf das Gebäude, das auf einer langgestreckten Werft lag, und
sprach die Vermutung aus, dies sei die gesuchte Schänke. Ihr Führer be¬
stätigte es.

Ich will hier warten, sagte sie darauf. Lauf du hinunter, und wenn der
Mann dort ist, bring ihn mir hierher. Ich werde dir ein gutes Trinkgeld geben,
wenn du ihn bringst.

Der Bursche setzte sich in Trab, Gräfin Sibylle aber blieb stehen und blickte
ihm, die Spitze ihres Sonnenschirmes in den Sand bohrend, erwartungsvoll
nach, wie er zwischen den Feldern hinlief und dann hinter der Planke der Werft
verschwand. Sie war sehr schlecht gestimmt durch ihren Gang, durch den Anblick
so unerfreulicher Gegenstände und durch die Hindernisse trivialer Natur, die sie
zu überwinden hatte. Das anhaltende Waten in den sandigen Wegen hatte sie
müde gemacht, der Geruch von Fischüberresten und Theer, der sie überall umgab,
ihre Nerven angegriffen, und finster blickte sie auf die Schänke hinab, deren
dunkle Masse sich von dem blendenden Hintergrunde abhob.

Indessen war ihr Abgesandter erfolgreich in seiner Mission. Claus Harmsen
saß inmitten von einem Dutzend nichtsthuerischer Genossen auf dem Rande der
Werft und blies die Flöte. Sie ließen allesamt der Reihe nach ihre Beine
über dem Wasser baumeln und halfen einander die Schiffe betrachten, welche
in der Ferne vorüberzogen, während sie den Melodien der "Schönen Minka"
und andrer Musikstücke lauschten, die ihr beliebtester Freund, der muntere Claus,
mit einer gewissen Virtuosität vortrug. Von Zeit zu Zeit, in den Pausen,
ließen sie eine Flasche mit stark duftenden Inhalt herumgehen. Es erregte
einiges Aufsehen in dem Kreise, als die Botschaft an Claus eintraf, und es
wurden einige orakelhafte Bemerkungen aus tabakkauendem Munde laut, welche
das blasse Weib an dem kalten Herde zum Ziele hatten. Claus Harmsen aber
steckte, als er etwas von einer Geld schenkenden Dame vernommen und darauf
noch einmal nachdenklich ausgespuckt hatte, seine Flöte in die Tasche seines
Schifferkittels und trollte hinter dem Boten her.

Die Gräfin betrachtete den langknochigen Menschen, als er im Schiffer¬
gang auf Seebeinen schwankend heraufkam, mit aufmerksamem Blick, und ihre
Miene erhellte sich ein wenig. Claus Harmsen hatte ein verschlagenes Gesicht.
Seine braunen Augen hatten einen Ausdruck, der auf Lust und Witz und die
Neigung zu tollen Streichen schließen ließ, und ein gewisser Zug um die Mund¬
winkel verriet Pfiffigkeit. Der Hut, den er trug, klaffte zwischen Rand und
Kopfteil auseinander, sodaß das krause, dunkle Haar durch den Spalt hervor-


Die Grafen von Altenschwerdt,

Die letzten Häuser des Dorfes wurden passirt, und der Weg führte zwischen
Kartoffelfeldern zu einem einzeln stehenden Gebäude hinunter, das in der Ferne
unmittelbar am glänzenden Saume des Meeres lag. Beim Näherkommen ver¬
nahm Gräfin Sibylle den vom Seewind ihr entgegengetragenen Klang von
Flötentöne» von jener Stelle her.

Sie zeigte auf das Gebäude, das auf einer langgestreckten Werft lag, und
sprach die Vermutung aus, dies sei die gesuchte Schänke. Ihr Führer be¬
stätigte es.

Ich will hier warten, sagte sie darauf. Lauf du hinunter, und wenn der
Mann dort ist, bring ihn mir hierher. Ich werde dir ein gutes Trinkgeld geben,
wenn du ihn bringst.

Der Bursche setzte sich in Trab, Gräfin Sibylle aber blieb stehen und blickte
ihm, die Spitze ihres Sonnenschirmes in den Sand bohrend, erwartungsvoll
nach, wie er zwischen den Feldern hinlief und dann hinter der Planke der Werft
verschwand. Sie war sehr schlecht gestimmt durch ihren Gang, durch den Anblick
so unerfreulicher Gegenstände und durch die Hindernisse trivialer Natur, die sie
zu überwinden hatte. Das anhaltende Waten in den sandigen Wegen hatte sie
müde gemacht, der Geruch von Fischüberresten und Theer, der sie überall umgab,
ihre Nerven angegriffen, und finster blickte sie auf die Schänke hinab, deren
dunkle Masse sich von dem blendenden Hintergrunde abhob.

Indessen war ihr Abgesandter erfolgreich in seiner Mission. Claus Harmsen
saß inmitten von einem Dutzend nichtsthuerischer Genossen auf dem Rande der
Werft und blies die Flöte. Sie ließen allesamt der Reihe nach ihre Beine
über dem Wasser baumeln und halfen einander die Schiffe betrachten, welche
in der Ferne vorüberzogen, während sie den Melodien der „Schönen Minka"
und andrer Musikstücke lauschten, die ihr beliebtester Freund, der muntere Claus,
mit einer gewissen Virtuosität vortrug. Von Zeit zu Zeit, in den Pausen,
ließen sie eine Flasche mit stark duftenden Inhalt herumgehen. Es erregte
einiges Aufsehen in dem Kreise, als die Botschaft an Claus eintraf, und es
wurden einige orakelhafte Bemerkungen aus tabakkauendem Munde laut, welche
das blasse Weib an dem kalten Herde zum Ziele hatten. Claus Harmsen aber
steckte, als er etwas von einer Geld schenkenden Dame vernommen und darauf
noch einmal nachdenklich ausgespuckt hatte, seine Flöte in die Tasche seines
Schifferkittels und trollte hinter dem Boten her.

Die Gräfin betrachtete den langknochigen Menschen, als er im Schiffer¬
gang auf Seebeinen schwankend heraufkam, mit aufmerksamem Blick, und ihre
Miene erhellte sich ein wenig. Claus Harmsen hatte ein verschlagenes Gesicht.
Seine braunen Augen hatten einen Ausdruck, der auf Lust und Witz und die
Neigung zu tollen Streichen schließen ließ, und ein gewisser Zug um die Mund¬
winkel verriet Pfiffigkeit. Der Hut, den er trug, klaffte zwischen Rand und
Kopfteil auseinander, sodaß das krause, dunkle Haar durch den Spalt hervor-


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[0706] Die Grafen von Altenschwerdt, Die letzten Häuser des Dorfes wurden passirt, und der Weg führte zwischen Kartoffelfeldern zu einem einzeln stehenden Gebäude hinunter, das in der Ferne unmittelbar am glänzenden Saume des Meeres lag. Beim Näherkommen ver¬ nahm Gräfin Sibylle den vom Seewind ihr entgegengetragenen Klang von Flötentöne» von jener Stelle her. Sie zeigte auf das Gebäude, das auf einer langgestreckten Werft lag, und sprach die Vermutung aus, dies sei die gesuchte Schänke. Ihr Führer be¬ stätigte es. Ich will hier warten, sagte sie darauf. Lauf du hinunter, und wenn der Mann dort ist, bring ihn mir hierher. Ich werde dir ein gutes Trinkgeld geben, wenn du ihn bringst. Der Bursche setzte sich in Trab, Gräfin Sibylle aber blieb stehen und blickte ihm, die Spitze ihres Sonnenschirmes in den Sand bohrend, erwartungsvoll nach, wie er zwischen den Feldern hinlief und dann hinter der Planke der Werft verschwand. Sie war sehr schlecht gestimmt durch ihren Gang, durch den Anblick so unerfreulicher Gegenstände und durch die Hindernisse trivialer Natur, die sie zu überwinden hatte. Das anhaltende Waten in den sandigen Wegen hatte sie müde gemacht, der Geruch von Fischüberresten und Theer, der sie überall umgab, ihre Nerven angegriffen, und finster blickte sie auf die Schänke hinab, deren dunkle Masse sich von dem blendenden Hintergrunde abhob. Indessen war ihr Abgesandter erfolgreich in seiner Mission. Claus Harmsen saß inmitten von einem Dutzend nichtsthuerischer Genossen auf dem Rande der Werft und blies die Flöte. Sie ließen allesamt der Reihe nach ihre Beine über dem Wasser baumeln und halfen einander die Schiffe betrachten, welche in der Ferne vorüberzogen, während sie den Melodien der „Schönen Minka" und andrer Musikstücke lauschten, die ihr beliebtester Freund, der muntere Claus, mit einer gewissen Virtuosität vortrug. Von Zeit zu Zeit, in den Pausen, ließen sie eine Flasche mit stark duftenden Inhalt herumgehen. Es erregte einiges Aufsehen in dem Kreise, als die Botschaft an Claus eintraf, und es wurden einige orakelhafte Bemerkungen aus tabakkauendem Munde laut, welche das blasse Weib an dem kalten Herde zum Ziele hatten. Claus Harmsen aber steckte, als er etwas von einer Geld schenkenden Dame vernommen und darauf noch einmal nachdenklich ausgespuckt hatte, seine Flöte in die Tasche seines Schifferkittels und trollte hinter dem Boten her. Die Gräfin betrachtete den langknochigen Menschen, als er im Schiffer¬ gang auf Seebeinen schwankend heraufkam, mit aufmerksamem Blick, und ihre Miene erhellte sich ein wenig. Claus Harmsen hatte ein verschlagenes Gesicht. Seine braunen Augen hatten einen Ausdruck, der auf Lust und Witz und die Neigung zu tollen Streichen schließen ließ, und ein gewisser Zug um die Mund¬ winkel verriet Pfiffigkeit. Der Hut, den er trug, klaffte zwischen Rand und Kopfteil auseinander, sodaß das krause, dunkle Haar durch den Spalt hervor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/706>, abgerufen am 23.07.2024.