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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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so sagt er: "Das versteht ihr nicht/' Ganz wie die Damen, auch darin, daß
er, so oder so, das letzte Wort zu behalten weiß.

Natürlich war ihm das Loch in seinem Räsvimemcnt ganz wohl bekannt.
Und es wird auch schwerlich aus Vergeßlichkeit geschehen sein, daß er diesmal
sein Radikal- und Universalmittel gegen alle sozialen Schäden, die Zurückberufung
der abgesetzten Geistlichen, nicht aus der Tasche zog. Die Gelegenheit dazu
wäre so schön gewesen -- vielleicht zu schön? Fürchtete er etwa, daß Vergleiche
zwischen dein Besitz der toten Hand und jenen: der Aktiengesellschaften angestellt
werden könnten? Den Gutsbesitzern auf der Rechten bange machen, ohne die
eigue Furcht zu verraten -- doch nein. Er ist ja viel zu klug und scharf¬
sichtig, um wirklich zu glauben, daß die heutige Nationalökonomie Sozialdemokraten
heranbilde. Er weiß so genau wie wir, daß die jungen Männer, welche jetzt
die Universität verlassen, so wenig daran denken, die Kirchengüter einzuziehen
als den kommunistischen Staat zu etabliren. Aber sie bringen, wie Adolf
Wagner richtig bemerkte, ein strammes Staatsbewußtsein mit nach Hause, und
davor muß freilich der Staat bewahrt werden!

Als bei andrer Gelegenheit treffend darauf hingewiesen wurde, daß in
ander" Ländern der Katholik sich zuerst als Angehöriger der Nation und des
Staates fühle, in Deutschland aber -- häufig, nur zu hänfig! -- zuerst als
Katholik; da wurde richtig der Kulturkampf wieder ausgespielt. Die Ausflucht
ist wahrlich recht lahm. Ist in Italien der Klerus nicht national gesinnt trotz
Exkommunikation, Okkupation des Kirchenstaates, Einziehung der Kirchengüter und
allem sonstigen? Auf den Krieg von 1859 werden sich die Herren von Schorlemer
und Majunke wohl noch besinnen. Es waren die Truppen des Konkordats-
staates Österreich, die in allen Dörfern der Lombardei mit Glockengeläute
empfangen wurden: man flehe um Sieg für die kaiserlichen Waffen, hieß es
und zu spät wurden die Kaiserlichen inne, daß ans diese Weise den Piemontesen
das Nahen des "Feindes" angekündigt wurde. Ja, auch in Österreich hält bei
weitem die Mehrzahl der deutschen Geistlichkeit zur deutschen Partei, obgleich
sie vom Liberalismus Unbill und Unglimvf reichlich erfahren hat. Andrerseits
gebricht es gegenwärtig fast keinem europäischen Lande an Staatsangehörigen,
welche mehr oder weniger offen darauf hinarbeiten, eben diese Staatsangehörig¬
keit loszuwerden; aber daß sie in dem Bemühen noch auf Seiten derjenigen,
von welchen sie sich losreißen möchten, Unterstützung finden, und daß von dem
geistlichen Oberhaupt abhängig gemacht wird, wann und wie weit man national
sein dürfe, das ist eine Spezialität des deutschen Reiches. Bewußte Absicht ist
dabei gewiß ausgeschlossen. Wenn nur nicht praktisch die Verblendung, das
Verranutseiu in Parteidogmen und Parteischlagworten ebensoviel bedeutete!

Was die " Entschieden" gegen den Abgeordneten Wagner so sehr in
Harnisch brachte, daß sie durcheinander rannten wie die aufgestörten Bewohner
eines Ameisenhaufens, ist schon eher verständlich. Man darf wohl vier Wochen


so sagt er: „Das versteht ihr nicht/' Ganz wie die Damen, auch darin, daß
er, so oder so, das letzte Wort zu behalten weiß.

Natürlich war ihm das Loch in seinem Räsvimemcnt ganz wohl bekannt.
Und es wird auch schwerlich aus Vergeßlichkeit geschehen sein, daß er diesmal
sein Radikal- und Universalmittel gegen alle sozialen Schäden, die Zurückberufung
der abgesetzten Geistlichen, nicht aus der Tasche zog. Die Gelegenheit dazu
wäre so schön gewesen — vielleicht zu schön? Fürchtete er etwa, daß Vergleiche
zwischen dein Besitz der toten Hand und jenen: der Aktiengesellschaften angestellt
werden könnten? Den Gutsbesitzern auf der Rechten bange machen, ohne die
eigue Furcht zu verraten — doch nein. Er ist ja viel zu klug und scharf¬
sichtig, um wirklich zu glauben, daß die heutige Nationalökonomie Sozialdemokraten
heranbilde. Er weiß so genau wie wir, daß die jungen Männer, welche jetzt
die Universität verlassen, so wenig daran denken, die Kirchengüter einzuziehen
als den kommunistischen Staat zu etabliren. Aber sie bringen, wie Adolf
Wagner richtig bemerkte, ein strammes Staatsbewußtsein mit nach Hause, und
davor muß freilich der Staat bewahrt werden!

Als bei andrer Gelegenheit treffend darauf hingewiesen wurde, daß in
ander» Ländern der Katholik sich zuerst als Angehöriger der Nation und des
Staates fühle, in Deutschland aber — häufig, nur zu hänfig! — zuerst als
Katholik; da wurde richtig der Kulturkampf wieder ausgespielt. Die Ausflucht
ist wahrlich recht lahm. Ist in Italien der Klerus nicht national gesinnt trotz
Exkommunikation, Okkupation des Kirchenstaates, Einziehung der Kirchengüter und
allem sonstigen? Auf den Krieg von 1859 werden sich die Herren von Schorlemer
und Majunke wohl noch besinnen. Es waren die Truppen des Konkordats-
staates Österreich, die in allen Dörfern der Lombardei mit Glockengeläute
empfangen wurden: man flehe um Sieg für die kaiserlichen Waffen, hieß es
und zu spät wurden die Kaiserlichen inne, daß ans diese Weise den Piemontesen
das Nahen des „Feindes" angekündigt wurde. Ja, auch in Österreich hält bei
weitem die Mehrzahl der deutschen Geistlichkeit zur deutschen Partei, obgleich
sie vom Liberalismus Unbill und Unglimvf reichlich erfahren hat. Andrerseits
gebricht es gegenwärtig fast keinem europäischen Lande an Staatsangehörigen,
welche mehr oder weniger offen darauf hinarbeiten, eben diese Staatsangehörig¬
keit loszuwerden; aber daß sie in dem Bemühen noch auf Seiten derjenigen,
von welchen sie sich losreißen möchten, Unterstützung finden, und daß von dem
geistlichen Oberhaupt abhängig gemacht wird, wann und wie weit man national
sein dürfe, das ist eine Spezialität des deutschen Reiches. Bewußte Absicht ist
dabei gewiß ausgeschlossen. Wenn nur nicht praktisch die Verblendung, das
Verranutseiu in Parteidogmen und Parteischlagworten ebensoviel bedeutete!

Was die „ Entschieden" gegen den Abgeordneten Wagner so sehr in
Harnisch brachte, daß sie durcheinander rannten wie die aufgestörten Bewohner
eines Ameisenhaufens, ist schon eher verständlich. Man darf wohl vier Wochen


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[0703] so sagt er: „Das versteht ihr nicht/' Ganz wie die Damen, auch darin, daß er, so oder so, das letzte Wort zu behalten weiß. Natürlich war ihm das Loch in seinem Räsvimemcnt ganz wohl bekannt. Und es wird auch schwerlich aus Vergeßlichkeit geschehen sein, daß er diesmal sein Radikal- und Universalmittel gegen alle sozialen Schäden, die Zurückberufung der abgesetzten Geistlichen, nicht aus der Tasche zog. Die Gelegenheit dazu wäre so schön gewesen — vielleicht zu schön? Fürchtete er etwa, daß Vergleiche zwischen dein Besitz der toten Hand und jenen: der Aktiengesellschaften angestellt werden könnten? Den Gutsbesitzern auf der Rechten bange machen, ohne die eigue Furcht zu verraten — doch nein. Er ist ja viel zu klug und scharf¬ sichtig, um wirklich zu glauben, daß die heutige Nationalökonomie Sozialdemokraten heranbilde. Er weiß so genau wie wir, daß die jungen Männer, welche jetzt die Universität verlassen, so wenig daran denken, die Kirchengüter einzuziehen als den kommunistischen Staat zu etabliren. Aber sie bringen, wie Adolf Wagner richtig bemerkte, ein strammes Staatsbewußtsein mit nach Hause, und davor muß freilich der Staat bewahrt werden! Als bei andrer Gelegenheit treffend darauf hingewiesen wurde, daß in ander» Ländern der Katholik sich zuerst als Angehöriger der Nation und des Staates fühle, in Deutschland aber — häufig, nur zu hänfig! — zuerst als Katholik; da wurde richtig der Kulturkampf wieder ausgespielt. Die Ausflucht ist wahrlich recht lahm. Ist in Italien der Klerus nicht national gesinnt trotz Exkommunikation, Okkupation des Kirchenstaates, Einziehung der Kirchengüter und allem sonstigen? Auf den Krieg von 1859 werden sich die Herren von Schorlemer und Majunke wohl noch besinnen. Es waren die Truppen des Konkordats- staates Österreich, die in allen Dörfern der Lombardei mit Glockengeläute empfangen wurden: man flehe um Sieg für die kaiserlichen Waffen, hieß es und zu spät wurden die Kaiserlichen inne, daß ans diese Weise den Piemontesen das Nahen des „Feindes" angekündigt wurde. Ja, auch in Österreich hält bei weitem die Mehrzahl der deutschen Geistlichkeit zur deutschen Partei, obgleich sie vom Liberalismus Unbill und Unglimvf reichlich erfahren hat. Andrerseits gebricht es gegenwärtig fast keinem europäischen Lande an Staatsangehörigen, welche mehr oder weniger offen darauf hinarbeiten, eben diese Staatsangehörig¬ keit loszuwerden; aber daß sie in dem Bemühen noch auf Seiten derjenigen, von welchen sie sich losreißen möchten, Unterstützung finden, und daß von dem geistlichen Oberhaupt abhängig gemacht wird, wann und wie weit man national sein dürfe, das ist eine Spezialität des deutschen Reiches. Bewußte Absicht ist dabei gewiß ausgeschlossen. Wenn nur nicht praktisch die Verblendung, das Verranutseiu in Parteidogmen und Parteischlagworten ebensoviel bedeutete! Was die „ Entschieden" gegen den Abgeordneten Wagner so sehr in Harnisch brachte, daß sie durcheinander rannten wie die aufgestörten Bewohner eines Ameisenhaufens, ist schon eher verständlich. Man darf wohl vier Wochen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/703>, abgerufen am 23.07.2024.