Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.Staatsgefährlicho Lehre". einig: Lehrfreiheit und Preßfreiheit -- mehr brauchte man nicht; hätte sich Solcher und ähnlicher Standreden dürste sich der emeritirte Zensur noch gut Wir wollen nicht den nationalen Zorn wachrufen gegen die neuen Hüter Staatsgefährlicho Lehre». einig: Lehrfreiheit und Preßfreiheit — mehr brauchte man nicht; hätte sich Solcher und ähnlicher Standreden dürste sich der emeritirte Zensur noch gut Wir wollen nicht den nationalen Zorn wachrufen gegen die neuen Hüter <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0702" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/152714"/> <fw type="header" place="top"> Staatsgefährlicho Lehre».</fw><lb/> <p xml:id="ID_2685" prev="#ID_2684"> einig: Lehrfreiheit und Preßfreiheit — mehr brauchte man nicht; hätte sich<lb/> niemand mehr zu dem schmählichen Dienste hergegeben, „den Gedanken zu knebeln/'<lb/> so würde die Freiheit nicht mehr in dem Land der Träume zu suchen gewesen<lb/> sein, und einzig die Zensur trug die Schuld, daß die deutsche Nativnalliteratnr<lb/> damals noch nicht einen Aufschwung nahm, himmelhoch über die beiden<lb/> sogenannten klassischen Periode» derselben. Aber jene Sklaven der rohen Gewalt<lb/> nannten alles staatsgefährlich, was ihnen zu hoch war. staatsgefährlich!<lb/> Als ob Ideen jemals dem Staate Gefahr bringen könnten.</p><lb/> <p xml:id="ID_2686"> Solcher und ähnlicher Standreden dürste sich der emeritirte Zensur noch gut<lb/> erinnern. Was es mit der Literaturblüte seit Aufhebung der Zensur zu bedeuten habe,<lb/> darüber hätte er sich wahrscheinlich längst seine Meinung gebildet, und nun<lb/> müßte er zu seiner Beruhigung erfahren, daß es doch staatsgefährliche Lehren<lb/> giebt. Freilich sehen sie teilweise etwas anders ans als diejenigen, welche er<lb/> einst zu unterdrücken suchte.</p><lb/> <p xml:id="ID_2687" next="#ID_2688"> Wir wollen nicht den nationalen Zorn wachrufen gegen die neuen Hüter<lb/> des Staatswohles, die freiwilligen Nachfolger der alten Zensoren. Uns er¬<lb/> heitern sie gleichmäßig, ob sie mit ihren Leibern das Haus Hohenzollern gegen<lb/> den Reichskanzler oder den Staat gegen den Sozialismus decken. Wenn Pro¬<lb/> fessor Hänel, der wirklich nicht viel jünger sein soll als Professor Wagner,<lb/> diesen väterlich ernährt, nicht politische Meinungen in den Hörsaal zu ver¬<lb/> pflanzen, wenn ein andrer Herr in der Verteidigung des Staatsbahnsystems<lb/> einen Ausdruck des Hasses gegen die besitzenden Klassen erkennt, wenn Herr<lb/> Windthorst noch kühnere logische Sprünge macht, so werden wir ihnen doch nicht<lb/> aus Parteirücksicht unsern Beifall versage»! So sehr hat die Politik uns nicht<lb/> um die Empfänglichkeit für den Humor gebracht. Herr Windthorst vor allem<lb/> macht in seinem Eifer einen unauslöschlichen Eindruck, und er möge es uns<lb/> nicht verübeln, wenn wir ihn nach dieser Leistung zum schönen Geschlechte<lb/> rechnen. (Der edle Ritter ohne Furcht und verschiedene andre Eigenschaften,<lb/> Herr Engen Richter, scheint entsprechende Wahrnehmungen schon früher gemacht<lb/> zu haben, da er so gern unter dem Zentrumsfenster girrt und lockt.) Der<lb/> Zentrumsführer deduzirt folgendermaßen: „Wenn der Staat alle Eisenbahnen<lb/> übernehmen soll, weil er sie besser bewirtschaften und größern Ertrag erhalten<lb/> wird, so muß er auch allen Grundbesitz übernehmen, der jetzt nur Privatleuten<lb/> etwas einbringt — und das ist vollständig die Lehre der Sozialdemokratie."<lb/> Glaubt man nicht die Logik der Frau Kcmdel oder einer von ihren Schwestern<lb/> zu hören? „Ich soll dies und jenes nicht essen? Warum nicht? Es schmeckt<lb/> mir doch, und mit demselben Rechte könnten Sie mir das Essen und Trinken<lb/> überhaupt verbieten." Und wenn er auf den kleinen Unterschied aufmerksam<lb/> gemacht wird zwischen Aktionären, welche an den Früchten, die sie genießen, gar<lb/> keinen Anteil haben, und den Besitzern und Verwaltern von Grund und Boden,<lb/> zwischen dem Privilegium auf Kosten der Allgemeinheit und dem Privateigentum,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0702]
Staatsgefährlicho Lehre».
einig: Lehrfreiheit und Preßfreiheit — mehr brauchte man nicht; hätte sich
niemand mehr zu dem schmählichen Dienste hergegeben, „den Gedanken zu knebeln/'
so würde die Freiheit nicht mehr in dem Land der Träume zu suchen gewesen
sein, und einzig die Zensur trug die Schuld, daß die deutsche Nativnalliteratnr
damals noch nicht einen Aufschwung nahm, himmelhoch über die beiden
sogenannten klassischen Periode» derselben. Aber jene Sklaven der rohen Gewalt
nannten alles staatsgefährlich, was ihnen zu hoch war. staatsgefährlich!
Als ob Ideen jemals dem Staate Gefahr bringen könnten.
Solcher und ähnlicher Standreden dürste sich der emeritirte Zensur noch gut
erinnern. Was es mit der Literaturblüte seit Aufhebung der Zensur zu bedeuten habe,
darüber hätte er sich wahrscheinlich längst seine Meinung gebildet, und nun
müßte er zu seiner Beruhigung erfahren, daß es doch staatsgefährliche Lehren
giebt. Freilich sehen sie teilweise etwas anders ans als diejenigen, welche er
einst zu unterdrücken suchte.
Wir wollen nicht den nationalen Zorn wachrufen gegen die neuen Hüter
des Staatswohles, die freiwilligen Nachfolger der alten Zensoren. Uns er¬
heitern sie gleichmäßig, ob sie mit ihren Leibern das Haus Hohenzollern gegen
den Reichskanzler oder den Staat gegen den Sozialismus decken. Wenn Pro¬
fessor Hänel, der wirklich nicht viel jünger sein soll als Professor Wagner,
diesen väterlich ernährt, nicht politische Meinungen in den Hörsaal zu ver¬
pflanzen, wenn ein andrer Herr in der Verteidigung des Staatsbahnsystems
einen Ausdruck des Hasses gegen die besitzenden Klassen erkennt, wenn Herr
Windthorst noch kühnere logische Sprünge macht, so werden wir ihnen doch nicht
aus Parteirücksicht unsern Beifall versage»! So sehr hat die Politik uns nicht
um die Empfänglichkeit für den Humor gebracht. Herr Windthorst vor allem
macht in seinem Eifer einen unauslöschlichen Eindruck, und er möge es uns
nicht verübeln, wenn wir ihn nach dieser Leistung zum schönen Geschlechte
rechnen. (Der edle Ritter ohne Furcht und verschiedene andre Eigenschaften,
Herr Engen Richter, scheint entsprechende Wahrnehmungen schon früher gemacht
zu haben, da er so gern unter dem Zentrumsfenster girrt und lockt.) Der
Zentrumsführer deduzirt folgendermaßen: „Wenn der Staat alle Eisenbahnen
übernehmen soll, weil er sie besser bewirtschaften und größern Ertrag erhalten
wird, so muß er auch allen Grundbesitz übernehmen, der jetzt nur Privatleuten
etwas einbringt — und das ist vollständig die Lehre der Sozialdemokratie."
Glaubt man nicht die Logik der Frau Kcmdel oder einer von ihren Schwestern
zu hören? „Ich soll dies und jenes nicht essen? Warum nicht? Es schmeckt
mir doch, und mit demselben Rechte könnten Sie mir das Essen und Trinken
überhaupt verbieten." Und wenn er auf den kleinen Unterschied aufmerksam
gemacht wird zwischen Aktionären, welche an den Früchten, die sie genießen, gar
keinen Anteil haben, und den Besitzern und Verwaltern von Grund und Boden,
zwischen dem Privilegium auf Kosten der Allgemeinheit und dem Privateigentum,
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