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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Das kleine Buch des Herrn von Bismarck.

Minorität in der Bundesversammlung haben, auch wenn es Österreich gegen¬
über noch so sehr im Rechte war und eine überirdische Geschicklichkeit und Lie¬
benswürdigkeit an den Tag legte. Alle, klein und groß, boten sich die Hand,
um das Netz der Bundesverfassung über dem Haupte des "emporgekommenen"
preußischen Staates zusammenzuziehen.

Österreichs Absicht lief offenbar darauf hinaus, einen Gegenstand nach dem
andern durch Majoritätsbeschlüsse zur "Bundesgesetzgebung" heranzuziehen und
Preußen zu majorisiren, bis es erklärte, sich nicht mehr fügen zu wollen. Dann
war es reif zur Bundesexekution.

Dies zur Einleitung in unsre Auszüge aus dem "kleinen Buche" Bismarcks,
welches gleichsam sein Testament bei seinem Scheiden aus Frankfurt war und
seinem Nachfolger eine Anweisung werden sollte, wie er sich zu verhalten habe.
Bismarcks Amtsthätigkeit während der fast siebenjährigen Periode, in der er
Preußen in der Bundesversammlung vertrat, war ein ununterbrochner Kampf
gegen Übergriffe aller Art gewesen, gegen unablässige Versuche, den Bund zum
Werkzeug zur Erhöhung Österreichs und zur Erniedrigung Preußens zu ge¬
stalten, und er hatte während desselben reichliche Beobachtungen und Erfah¬
rungen machen und daraus Schlüsse ziehen können, die in jenem "kleinen Buche"
noch einmal zusammengefaßt wurden. Dasselbe enthält eine Fülle von Staats¬
weisheit. Scharfblick, tiefdringcnder und vielumfassender Verstand, diplomatische
Gewandtheit und ein maßvoller Sinn, endlich echter Patriotismus sprechen gleich
deutlich aus ihm und machen es zu einem politischen Dokumente ersten Ranges.
Man hätte es nicht das kleine, sondern das goldne Buch nennen sollen, auch
wenn es Herrn v. Schleinitz etwa gleich andern Berichten Bismarcks nicht so
gefallen hätte als Herrn v. Manteuffel, der in den letzten Jahren seiner Thätig¬
keit als Chef der preußischen Diplomatie in allen Stücken den Gedanken und
Ratschlägen des preußischen Bundestagsgesandter folgte, sodaß nicht zuviel ge¬
sagt wird, wenn wir behaupten, der letztere sei schon damals der leitende Geist
in der auswärtigen Politik Preußens, wenigstens in deren Hauptfragen, gewesen.
Als er dann weg war, fern an den Ufern der Newa, und der neue Minister
zeigen sollte, was er konnte, kam nur schwächliche Befähigung zu Tage, und
während des italienischen Krieges von 1859 war man in Vergessenheit dessen,
was Bismarck so oft und so klar hervorgehoben hatte, in Berlin nahe daran,
eine große Thorheit zu begehen, die sich schwer hätte wieder gut machen
lassen.

Wir lassen nun die oben angekündigten Auszüge folgen, wobei wir uns
vorzüglich an die zweite Hälfte unsrer Denkschrift halten, und geben schließlich
in kurzen Worten die Moral wieder, die der Verfasser selbst am Ende aus
seinen Erfahrungen und Darlegungen zu ziehen sich genötigt sieht.

Bis zum Jahre 1348 ließ Österreich . . . im allgemeinen die preußische Politik
in Deutschland gewähren und nahm als Kaufpreis für diese Konzession die Unter-


Das kleine Buch des Herrn von Bismarck.

Minorität in der Bundesversammlung haben, auch wenn es Österreich gegen¬
über noch so sehr im Rechte war und eine überirdische Geschicklichkeit und Lie¬
benswürdigkeit an den Tag legte. Alle, klein und groß, boten sich die Hand,
um das Netz der Bundesverfassung über dem Haupte des „emporgekommenen"
preußischen Staates zusammenzuziehen.

Österreichs Absicht lief offenbar darauf hinaus, einen Gegenstand nach dem
andern durch Majoritätsbeschlüsse zur „Bundesgesetzgebung" heranzuziehen und
Preußen zu majorisiren, bis es erklärte, sich nicht mehr fügen zu wollen. Dann
war es reif zur Bundesexekution.

Dies zur Einleitung in unsre Auszüge aus dem „kleinen Buche" Bismarcks,
welches gleichsam sein Testament bei seinem Scheiden aus Frankfurt war und
seinem Nachfolger eine Anweisung werden sollte, wie er sich zu verhalten habe.
Bismarcks Amtsthätigkeit während der fast siebenjährigen Periode, in der er
Preußen in der Bundesversammlung vertrat, war ein ununterbrochner Kampf
gegen Übergriffe aller Art gewesen, gegen unablässige Versuche, den Bund zum
Werkzeug zur Erhöhung Österreichs und zur Erniedrigung Preußens zu ge¬
stalten, und er hatte während desselben reichliche Beobachtungen und Erfah¬
rungen machen und daraus Schlüsse ziehen können, die in jenem „kleinen Buche"
noch einmal zusammengefaßt wurden. Dasselbe enthält eine Fülle von Staats¬
weisheit. Scharfblick, tiefdringcnder und vielumfassender Verstand, diplomatische
Gewandtheit und ein maßvoller Sinn, endlich echter Patriotismus sprechen gleich
deutlich aus ihm und machen es zu einem politischen Dokumente ersten Ranges.
Man hätte es nicht das kleine, sondern das goldne Buch nennen sollen, auch
wenn es Herrn v. Schleinitz etwa gleich andern Berichten Bismarcks nicht so
gefallen hätte als Herrn v. Manteuffel, der in den letzten Jahren seiner Thätig¬
keit als Chef der preußischen Diplomatie in allen Stücken den Gedanken und
Ratschlägen des preußischen Bundestagsgesandter folgte, sodaß nicht zuviel ge¬
sagt wird, wenn wir behaupten, der letztere sei schon damals der leitende Geist
in der auswärtigen Politik Preußens, wenigstens in deren Hauptfragen, gewesen.
Als er dann weg war, fern an den Ufern der Newa, und der neue Minister
zeigen sollte, was er konnte, kam nur schwächliche Befähigung zu Tage, und
während des italienischen Krieges von 1859 war man in Vergessenheit dessen,
was Bismarck so oft und so klar hervorgehoben hatte, in Berlin nahe daran,
eine große Thorheit zu begehen, die sich schwer hätte wieder gut machen
lassen.

Wir lassen nun die oben angekündigten Auszüge folgen, wobei wir uns
vorzüglich an die zweite Hälfte unsrer Denkschrift halten, und geben schließlich
in kurzen Worten die Moral wieder, die der Verfasser selbst am Ende aus
seinen Erfahrungen und Darlegungen zu ziehen sich genötigt sieht.

Bis zum Jahre 1348 ließ Österreich . . . im allgemeinen die preußische Politik
in Deutschland gewähren und nahm als Kaufpreis für diese Konzession die Unter-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/70>, abgerufen am 25.08.2024.