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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Das kleine Buch des Herrn von Bismcuck,

darauf an, die Geltung solcher Beschlüsse zu erweitern und die freie Entschließung
der Einzelstaaten zu Gunsten der Bundesversammlung zu beschränken. Man
begann hier mit den populärsten Gegenständen, den materiellen Interessen, der
Zoll- und Handelsgesetzgebung, Die Mehrheit der süd- und mitteldeutschen Zei¬
tungen wurde von Österreich in Sold genommen, um den Bund, der jetzt nicht
viel mehr als das Werkzeug und Mundstück der Wiener Politik war, als allei¬
nigen Förderer der öffentlichen Wohlfahrt und jede preußische Bestrebung auf
dem Gebiete derselben als gemeinschädlichem Partikularismus darzustellen. So¬
bald man am Bunde dem Widerspruche Preußens begegnete, fing man an, die
Behauptung von der Zulässigkeit von Mehrheitsbeschlüssen in allen den An¬
gelegenheiten aufzustellen und geltend zu macheu, die bis dahin als Gegenstände
freier Vereinbarung angesehen worden waren. Man ging soweit, zu behaupten,
daß die Mehrheit selbst darüber zu entscheiden habe, ob eine Frage zur Kom¬
petenz des Bundestags gehöre, oder ob der einzelne hierbei seiner Ansicht folgen
dürfe. Wurde das erstere bejaht, so war die Mehrheit und damit in Friedens-
zeiten Österreich in Deutschland allmächtig geworden und die Mediatisirung der
Bundesstaaten mit Einschluß Preußens ausgesprochen.

Demnächst wurde bei auswärtigen Fragen die neue Lehre von einer
"Bnndespolitik" eingeführt und zuerst während des orientalischen Krieges, dann
bei den Verhandlungen über die Neuenburger Frage der Grundsatz geltend zu
machen versucht, daß der Bund in Betreff seiner auswärtigen Politik durch
Mehrheit beschließe, und daß die Einzelstaaten desselben ihre Haltung nach diesen
Beschlüssen einzurichten hätten. Bemühte man sich auf diesem Wege, einem
großen Staate wie Preußen das Recht zu eigner auswärtiger Politik zu ent¬
ziehen, so konnte jenes sich fragen, ob dies ernst gemeint sei, oder nur in der
Absicht betrieben werde, den Bund zu lockern oder ganz zu zersprengen. Dies
war indeß nicht der Fall; denn jene Behauptung wurde in einer Sitzung des
Bundestags vom Vertreter Würtembergs aufgestellt, und fast alle Gesandten
mit Einschluß desjenigen der Prüsidialmacht stimmten ihr bei, der Würtenberger
aber war gerade der eifrigste unter den Vorkämpfern für die Befestigung und
Erhöhung des Bundes. Die kleinern Staaten hielten überhaupt einstweilen sehr
entschieden am Bunde fest, indem sie sich vorbehielten, abzufallen, wenn die
Sorge für die eigne Sicherheit es empfehlen sollte. So lange dies nicht der
Fall war, sahen sie im Bunde die Gewähr ihres bequemen Fortlebens und ihre
Minister (man denke z. B. an Beust) das Piedestal ihrer Wichtigkeit, von dem
herab sie über die Angelegenheiten Preußens, ganz Deutschlands, ja ganz
Europas dreist und gefahrlos mitreden konnten. Mit der Herrschaft der Bundes¬
versammlung über die einzelnen Regierungen wuchs die Wichtigkeit der Mittel¬
staaten und nahm die Preußens ab; jene bildeten das Material zu den öster¬
reichischen Majoritäten und gaben sich mit Freuden her zur Herabdrückung
Preußens auf ihr eignes Niveau. Preußen sollte, wie gesagt, immer die


Das kleine Buch des Herrn von Bismcuck,

darauf an, die Geltung solcher Beschlüsse zu erweitern und die freie Entschließung
der Einzelstaaten zu Gunsten der Bundesversammlung zu beschränken. Man
begann hier mit den populärsten Gegenständen, den materiellen Interessen, der
Zoll- und Handelsgesetzgebung, Die Mehrheit der süd- und mitteldeutschen Zei¬
tungen wurde von Österreich in Sold genommen, um den Bund, der jetzt nicht
viel mehr als das Werkzeug und Mundstück der Wiener Politik war, als allei¬
nigen Förderer der öffentlichen Wohlfahrt und jede preußische Bestrebung auf
dem Gebiete derselben als gemeinschädlichem Partikularismus darzustellen. So¬
bald man am Bunde dem Widerspruche Preußens begegnete, fing man an, die
Behauptung von der Zulässigkeit von Mehrheitsbeschlüssen in allen den An¬
gelegenheiten aufzustellen und geltend zu macheu, die bis dahin als Gegenstände
freier Vereinbarung angesehen worden waren. Man ging soweit, zu behaupten,
daß die Mehrheit selbst darüber zu entscheiden habe, ob eine Frage zur Kom¬
petenz des Bundestags gehöre, oder ob der einzelne hierbei seiner Ansicht folgen
dürfe. Wurde das erstere bejaht, so war die Mehrheit und damit in Friedens-
zeiten Österreich in Deutschland allmächtig geworden und die Mediatisirung der
Bundesstaaten mit Einschluß Preußens ausgesprochen.

Demnächst wurde bei auswärtigen Fragen die neue Lehre von einer
„Bnndespolitik" eingeführt und zuerst während des orientalischen Krieges, dann
bei den Verhandlungen über die Neuenburger Frage der Grundsatz geltend zu
machen versucht, daß der Bund in Betreff seiner auswärtigen Politik durch
Mehrheit beschließe, und daß die Einzelstaaten desselben ihre Haltung nach diesen
Beschlüssen einzurichten hätten. Bemühte man sich auf diesem Wege, einem
großen Staate wie Preußen das Recht zu eigner auswärtiger Politik zu ent¬
ziehen, so konnte jenes sich fragen, ob dies ernst gemeint sei, oder nur in der
Absicht betrieben werde, den Bund zu lockern oder ganz zu zersprengen. Dies
war indeß nicht der Fall; denn jene Behauptung wurde in einer Sitzung des
Bundestags vom Vertreter Würtembergs aufgestellt, und fast alle Gesandten
mit Einschluß desjenigen der Prüsidialmacht stimmten ihr bei, der Würtenberger
aber war gerade der eifrigste unter den Vorkämpfern für die Befestigung und
Erhöhung des Bundes. Die kleinern Staaten hielten überhaupt einstweilen sehr
entschieden am Bunde fest, indem sie sich vorbehielten, abzufallen, wenn die
Sorge für die eigne Sicherheit es empfehlen sollte. So lange dies nicht der
Fall war, sahen sie im Bunde die Gewähr ihres bequemen Fortlebens und ihre
Minister (man denke z. B. an Beust) das Piedestal ihrer Wichtigkeit, von dem
herab sie über die Angelegenheiten Preußens, ganz Deutschlands, ja ganz
Europas dreist und gefahrlos mitreden konnten. Mit der Herrschaft der Bundes¬
versammlung über die einzelnen Regierungen wuchs die Wichtigkeit der Mittel¬
staaten und nahm die Preußens ab; jene bildeten das Material zu den öster¬
reichischen Majoritäten und gaben sich mit Freuden her zur Herabdrückung
Preußens auf ihr eignes Niveau. Preußen sollte, wie gesagt, immer die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/69>, abgerufen am 23.07.2024.