Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Über nationale Geschichtschreibung.

als ob es nicht auch damals Historiker gegeben hätte, welche über die Grenzen
der Stämme hinweg die deutsche Nation als eine Einheit erfaßten und in ihr
die alles tragende Stütze für Weltstaat und Wcltkirche fahen -- es genügt
an Otto von Freising zu erinnern, der in seines großen Neffen, Kaiser Friedrichs I.,
Thaten die glorreiche Erneuerung der Herrlichkeit deutscher Nation darstellte,
die er früher schon als entschwunden betrauert hatte, oder an den Mönch von
Se. Blasien, der von der Stille seines Schwarzwälder Klosters aus mit stolzem,
aber verständnisvollen Blicke die kühnen Bahnen verfolgte, welche die staufische
Kaiserpolitik mit Heinrich VI. einschlug, und bei des gewaltigen Kaisers jähem
Tode seinem Jammer über das damit hereinbrechende nationale Unglück in
noch heute tief ergreifender Klage Ausdruck gab. National in der Auffassung
und -- im Sinne jener Zeit -- auch in der Tendenz, sind diese Werke es doch
nicht im Erfolge gewesen. Entbehrten sie doch schon der nationalen Sprache!
Es bleibt doch immer eine höchst merkwürdige Thatsache und wirft ein grelles
Licht auf das in der politischen Entwicklung des deutschen Mittelalters wesent¬
liche, daß in derselben Zeit, in der Wolfram von Eschenbach und Walther von der
Vogelweide sangen, die Großthaten der dentschen Kaiser in Deutschland selbst
nur in lateinischer Sprache für die Nachwelt erzählt wurden. Kaum kann es
einen stärkern Beweis dafür geben, wie wenig das Volk als solches an dieser
ganzen Kaiserpolitik beteiligt war, wie wenig dieselbe als nationale Sache gelten
konnte, wie es sich trotz deutscher Kriege und Siege dabei doch eigentlich nur
um römische Reminiscenzen und um internationale Ideale handelte.

Eine Ahnung von der Bedeutung des Mittelalters erfüllte die Humanisten.
Plante doch ihr kaiserlicher Gönner Maximilian die Abfassung eines nationalen
Geschichstwerkes; "Bildersaal deutscher Ahnen" sollte dasselbe heißen. Ausgeführt
worden ist es freilich nicht, trotz einiger vorbereitenden archivalischen Reisen und
andern einleitenden Studien dazu. Wenn schon Willibald Pirkheimer in der Ge¬
schichte das vornehmste Mittel gefunden zu haben meinte zur Hebung der deutschen
Nation und durch gute historische Darstellungen den gerechten nationalen Stolz
desselben zu wecken dachte, so beklagte es doch noch Melanchthon als ein Unglück
des deutschen Volkes, daß es zwar viel herrliche Fürsten hervorgebracht und
ruhmwürdige Thaten vollführt habe, aber der literarischen Verherrlichung beider
noch immer entbehre.

Im Fortgange des Reformativnszeitalters überragen auch auf diesem Ge¬
biete statt der nationalen je länger je mehr die religiösen, die konfessionellen,
die theologischen Interessen, und die Geschichtschreibung, die in Wimpheling,
Sebastian Frank und Aventin einen vielverheißenden Aufschwung genommen,
wurde bald zur dienenden Magd der Theologie erniedrigt. Im siebzehnten
Jahrhundert trat sie dann in ein ganz ähnliches Abhängigkeitsverhältnis zur
Rechtswissenschaft, besonders zum Staats- und Völkerrecht in ihrer Anwendung
ans Politik und Diplomatie. Sie verliert darüber so ganz die Fühlung mit


Über nationale Geschichtschreibung.

als ob es nicht auch damals Historiker gegeben hätte, welche über die Grenzen
der Stämme hinweg die deutsche Nation als eine Einheit erfaßten und in ihr
die alles tragende Stütze für Weltstaat und Wcltkirche fahen — es genügt
an Otto von Freising zu erinnern, der in seines großen Neffen, Kaiser Friedrichs I.,
Thaten die glorreiche Erneuerung der Herrlichkeit deutscher Nation darstellte,
die er früher schon als entschwunden betrauert hatte, oder an den Mönch von
Se. Blasien, der von der Stille seines Schwarzwälder Klosters aus mit stolzem,
aber verständnisvollen Blicke die kühnen Bahnen verfolgte, welche die staufische
Kaiserpolitik mit Heinrich VI. einschlug, und bei des gewaltigen Kaisers jähem
Tode seinem Jammer über das damit hereinbrechende nationale Unglück in
noch heute tief ergreifender Klage Ausdruck gab. National in der Auffassung
und — im Sinne jener Zeit — auch in der Tendenz, sind diese Werke es doch
nicht im Erfolge gewesen. Entbehrten sie doch schon der nationalen Sprache!
Es bleibt doch immer eine höchst merkwürdige Thatsache und wirft ein grelles
Licht auf das in der politischen Entwicklung des deutschen Mittelalters wesent¬
liche, daß in derselben Zeit, in der Wolfram von Eschenbach und Walther von der
Vogelweide sangen, die Großthaten der dentschen Kaiser in Deutschland selbst
nur in lateinischer Sprache für die Nachwelt erzählt wurden. Kaum kann es
einen stärkern Beweis dafür geben, wie wenig das Volk als solches an dieser
ganzen Kaiserpolitik beteiligt war, wie wenig dieselbe als nationale Sache gelten
konnte, wie es sich trotz deutscher Kriege und Siege dabei doch eigentlich nur
um römische Reminiscenzen und um internationale Ideale handelte.

Eine Ahnung von der Bedeutung des Mittelalters erfüllte die Humanisten.
Plante doch ihr kaiserlicher Gönner Maximilian die Abfassung eines nationalen
Geschichstwerkes; „Bildersaal deutscher Ahnen" sollte dasselbe heißen. Ausgeführt
worden ist es freilich nicht, trotz einiger vorbereitenden archivalischen Reisen und
andern einleitenden Studien dazu. Wenn schon Willibald Pirkheimer in der Ge¬
schichte das vornehmste Mittel gefunden zu haben meinte zur Hebung der deutschen
Nation und durch gute historische Darstellungen den gerechten nationalen Stolz
desselben zu wecken dachte, so beklagte es doch noch Melanchthon als ein Unglück
des deutschen Volkes, daß es zwar viel herrliche Fürsten hervorgebracht und
ruhmwürdige Thaten vollführt habe, aber der literarischen Verherrlichung beider
noch immer entbehre.

Im Fortgange des Reformativnszeitalters überragen auch auf diesem Ge¬
biete statt der nationalen je länger je mehr die religiösen, die konfessionellen,
die theologischen Interessen, und die Geschichtschreibung, die in Wimpheling,
Sebastian Frank und Aventin einen vielverheißenden Aufschwung genommen,
wurde bald zur dienenden Magd der Theologie erniedrigt. Im siebzehnten
Jahrhundert trat sie dann in ein ganz ähnliches Abhängigkeitsverhältnis zur
Rechtswissenschaft, besonders zum Staats- und Völkerrecht in ihrer Anwendung
ans Politik und Diplomatie. Sie verliert darüber so ganz die Fühlung mit


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0680" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/152670"/>
          <fw type="header" place="top"> Über nationale Geschichtschreibung.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2609" prev="#ID_2608"> als ob es nicht auch damals Historiker gegeben hätte, welche über die Grenzen<lb/>
der Stämme hinweg die deutsche Nation als eine Einheit erfaßten und in ihr<lb/>
die alles tragende Stütze für Weltstaat und Wcltkirche fahen &#x2014; es genügt<lb/>
an Otto von Freising zu erinnern, der in seines großen Neffen, Kaiser Friedrichs I.,<lb/>
Thaten die glorreiche Erneuerung der Herrlichkeit deutscher Nation darstellte,<lb/>
die er früher schon als entschwunden betrauert hatte, oder an den Mönch von<lb/>
Se. Blasien, der von der Stille seines Schwarzwälder Klosters aus mit stolzem,<lb/>
aber verständnisvollen Blicke die kühnen Bahnen verfolgte, welche die staufische<lb/>
Kaiserpolitik mit Heinrich VI. einschlug, und bei des gewaltigen Kaisers jähem<lb/>
Tode seinem Jammer über das damit hereinbrechende nationale Unglück in<lb/>
noch heute tief ergreifender Klage Ausdruck gab. National in der Auffassung<lb/>
und &#x2014; im Sinne jener Zeit &#x2014; auch in der Tendenz, sind diese Werke es doch<lb/>
nicht im Erfolge gewesen. Entbehrten sie doch schon der nationalen Sprache!<lb/>
Es bleibt doch immer eine höchst merkwürdige Thatsache und wirft ein grelles<lb/>
Licht auf das in der politischen Entwicklung des deutschen Mittelalters wesent¬<lb/>
liche, daß in derselben Zeit, in der Wolfram von Eschenbach und Walther von der<lb/>
Vogelweide sangen, die Großthaten der dentschen Kaiser in Deutschland selbst<lb/>
nur in lateinischer Sprache für die Nachwelt erzählt wurden. Kaum kann es<lb/>
einen stärkern Beweis dafür geben, wie wenig das Volk als solches an dieser<lb/>
ganzen Kaiserpolitik beteiligt war, wie wenig dieselbe als nationale Sache gelten<lb/>
konnte, wie es sich trotz deutscher Kriege und Siege dabei doch eigentlich nur<lb/>
um römische Reminiscenzen und um internationale Ideale handelte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2610"> Eine Ahnung von der Bedeutung des Mittelalters erfüllte die Humanisten.<lb/>
Plante doch ihr kaiserlicher Gönner Maximilian die Abfassung eines nationalen<lb/>
Geschichstwerkes; &#x201E;Bildersaal deutscher Ahnen" sollte dasselbe heißen. Ausgeführt<lb/>
worden ist es freilich nicht, trotz einiger vorbereitenden archivalischen Reisen und<lb/>
andern einleitenden Studien dazu. Wenn schon Willibald Pirkheimer in der Ge¬<lb/>
schichte das vornehmste Mittel gefunden zu haben meinte zur Hebung der deutschen<lb/>
Nation und durch gute historische Darstellungen den gerechten nationalen Stolz<lb/>
desselben zu wecken dachte, so beklagte es doch noch Melanchthon als ein Unglück<lb/>
des deutschen Volkes, daß es zwar viel herrliche Fürsten hervorgebracht und<lb/>
ruhmwürdige Thaten vollführt habe, aber der literarischen Verherrlichung beider<lb/>
noch immer entbehre.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2611" next="#ID_2612"> Im Fortgange des Reformativnszeitalters überragen auch auf diesem Ge¬<lb/>
biete statt der nationalen je länger je mehr die religiösen, die konfessionellen,<lb/>
die theologischen Interessen, und die Geschichtschreibung, die in Wimpheling,<lb/>
Sebastian Frank und Aventin einen vielverheißenden Aufschwung genommen,<lb/>
wurde bald zur dienenden Magd der Theologie erniedrigt. Im siebzehnten<lb/>
Jahrhundert trat sie dann in ein ganz ähnliches Abhängigkeitsverhältnis zur<lb/>
Rechtswissenschaft, besonders zum Staats- und Völkerrecht in ihrer Anwendung<lb/>
ans Politik und Diplomatie. Sie verliert darüber so ganz die Fühlung mit</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0680] Über nationale Geschichtschreibung. als ob es nicht auch damals Historiker gegeben hätte, welche über die Grenzen der Stämme hinweg die deutsche Nation als eine Einheit erfaßten und in ihr die alles tragende Stütze für Weltstaat und Wcltkirche fahen — es genügt an Otto von Freising zu erinnern, der in seines großen Neffen, Kaiser Friedrichs I., Thaten die glorreiche Erneuerung der Herrlichkeit deutscher Nation darstellte, die er früher schon als entschwunden betrauert hatte, oder an den Mönch von Se. Blasien, der von der Stille seines Schwarzwälder Klosters aus mit stolzem, aber verständnisvollen Blicke die kühnen Bahnen verfolgte, welche die staufische Kaiserpolitik mit Heinrich VI. einschlug, und bei des gewaltigen Kaisers jähem Tode seinem Jammer über das damit hereinbrechende nationale Unglück in noch heute tief ergreifender Klage Ausdruck gab. National in der Auffassung und — im Sinne jener Zeit — auch in der Tendenz, sind diese Werke es doch nicht im Erfolge gewesen. Entbehrten sie doch schon der nationalen Sprache! Es bleibt doch immer eine höchst merkwürdige Thatsache und wirft ein grelles Licht auf das in der politischen Entwicklung des deutschen Mittelalters wesent¬ liche, daß in derselben Zeit, in der Wolfram von Eschenbach und Walther von der Vogelweide sangen, die Großthaten der dentschen Kaiser in Deutschland selbst nur in lateinischer Sprache für die Nachwelt erzählt wurden. Kaum kann es einen stärkern Beweis dafür geben, wie wenig das Volk als solches an dieser ganzen Kaiserpolitik beteiligt war, wie wenig dieselbe als nationale Sache gelten konnte, wie es sich trotz deutscher Kriege und Siege dabei doch eigentlich nur um römische Reminiscenzen und um internationale Ideale handelte. Eine Ahnung von der Bedeutung des Mittelalters erfüllte die Humanisten. Plante doch ihr kaiserlicher Gönner Maximilian die Abfassung eines nationalen Geschichstwerkes; „Bildersaal deutscher Ahnen" sollte dasselbe heißen. Ausgeführt worden ist es freilich nicht, trotz einiger vorbereitenden archivalischen Reisen und andern einleitenden Studien dazu. Wenn schon Willibald Pirkheimer in der Ge¬ schichte das vornehmste Mittel gefunden zu haben meinte zur Hebung der deutschen Nation und durch gute historische Darstellungen den gerechten nationalen Stolz desselben zu wecken dachte, so beklagte es doch noch Melanchthon als ein Unglück des deutschen Volkes, daß es zwar viel herrliche Fürsten hervorgebracht und ruhmwürdige Thaten vollführt habe, aber der literarischen Verherrlichung beider noch immer entbehre. Im Fortgange des Reformativnszeitalters überragen auch auf diesem Ge¬ biete statt der nationalen je länger je mehr die religiösen, die konfessionellen, die theologischen Interessen, und die Geschichtschreibung, die in Wimpheling, Sebastian Frank und Aventin einen vielverheißenden Aufschwung genommen, wurde bald zur dienenden Magd der Theologie erniedrigt. Im siebzehnten Jahrhundert trat sie dann in ein ganz ähnliches Abhängigkeitsverhältnis zur Rechtswissenschaft, besonders zum Staats- und Völkerrecht in ihrer Anwendung ans Politik und Diplomatie. Sie verliert darüber so ganz die Fühlung mit

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/680
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/680>, abgerufen am 23.07.2024.