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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Franzosen am Kongo und in Madagaskar.

geraten sein, wenn französische Musketiere oder Dragoner nicht bisweilen ein
paar Fremde umgebracht hätten, lediglich um die Welt an die Aufgabe zu er¬
innern, die einem edeln Volke zu Teil geworden ist. Unparteiische Beobachter
können etwas boshaft Humoristisches darin finden, daß, weil wir Frankreich am
Nil "ignorirt" haben, die Malagassen für solch unhöfliches Gebühren bestraft
werden müssen. Die Fürstin und die Bevölkerung der bedrohten Insel freilich
werden in der Thatsache, daß sie hingeschlachtet werden, weil in Kairo die
doppelte Kontrole ein Ende nahm und die Eitelkeit der Franzosen Genug¬
thuung dafür verlangt, gerade nichts erfreuliches erblicken und ebensowenig etwas
logisches.

So die englischen Spötter. Indeß, wenn auch der nächste Beweggrund
für diese plötzliche Thätigkeit der Franzosen im fernen Südosten neu ist, so hat
es doch schon oft Streit zwischen Frankreich und Madagaskar gegeben. Die
Franzosen landeten vor etwa zweihundertundfünfzig Jahren ans der Insel und
gründeten hier 1774 eine Niederlassung. Während des langen Krieges mit
Napoleon I. nahmen die Engländer ihnen ihr dortiges Fort und die benach¬
barten Inseln Mauritius und Reunion weg. Die letzter" erhielten sie beim
Frieden zurück, das Fort aber übergab man 1818 dem König Radama, um
ihn durch ein Geschenk zur Unterdrückung des Sklavenhandels zu bewegen.
Seine Nachfolgerin trieb 1835 die britischen Missionäre aus dem Lande und
begann eine Verfolgung der eingeborenen Christen und der fremden Ansiedler.
Dies führte 1845 zu einem englisch-französischen Angriff auf die Küstenstadt
Tamatave. Derselbe mißlang, und die Insel versank unter der Königin Nanavalo
wieder in Heidentum und Barbarei. 1855 unternahmen die Franzosen allein
eine neue Expedition gegen Madagaskar, erlitten aber eine Niederlage, und der
Kaiser Napoleon, damals vom Krimkriege stark in Anspruch genommen, verfolgte
die Sache nicht weiter. Seitdem hat der Westen die Insel unbehelligt gelassen.
Als die reaktionäre Königin starb, folgte ihr ihr Sohn, ein Christ und Freund
der Gesittung, und obwohl es gelegentlich zu Rückfällen und Aufständen kam,
sind die Zustände unter ihm und der jetzigen Herrscherin im ganzen befriedigend
gewesen. Man hat Missionäre geduldet, ja ermutigt, der Handel mit Europa
hat zugenommen, die Sklaverei ist beseitigt, die Zivilisation hat sich weithin
ausgebreitet. Die Franzosen behaupten nun, die gegenwärtige Beherrscherin der
Insel sei nur "Königin der Hovas," des mächtigsten Stammes der Malagassen,
und der Besitz ganz Madagaskars komme ihr rechtlich nicht zu. Das scheint
aber nur ein Kniff der französischen Diplomatie zu sein. In neueren Verträgen
werden die Vorgänger der jetzigen Königin entschieden als Souveräne der ge¬
samten Insel angesehen und behandelt, und zwar ohne irgendwelchen Vorbehalt.
Gewiß bestand das Reich von Madagaskar einmal aus einer Zahl von Stämmen,
die voneinander unabhängig waren, aber das war auch mit Frankreich und allen
andern europäischen Staaten einmal der Fall. Die Franzosen behaupten, ein


Die Franzosen am Kongo und in Madagaskar.

geraten sein, wenn französische Musketiere oder Dragoner nicht bisweilen ein
paar Fremde umgebracht hätten, lediglich um die Welt an die Aufgabe zu er¬
innern, die einem edeln Volke zu Teil geworden ist. Unparteiische Beobachter
können etwas boshaft Humoristisches darin finden, daß, weil wir Frankreich am
Nil „ignorirt" haben, die Malagassen für solch unhöfliches Gebühren bestraft
werden müssen. Die Fürstin und die Bevölkerung der bedrohten Insel freilich
werden in der Thatsache, daß sie hingeschlachtet werden, weil in Kairo die
doppelte Kontrole ein Ende nahm und die Eitelkeit der Franzosen Genug¬
thuung dafür verlangt, gerade nichts erfreuliches erblicken und ebensowenig etwas
logisches.

So die englischen Spötter. Indeß, wenn auch der nächste Beweggrund
für diese plötzliche Thätigkeit der Franzosen im fernen Südosten neu ist, so hat
es doch schon oft Streit zwischen Frankreich und Madagaskar gegeben. Die
Franzosen landeten vor etwa zweihundertundfünfzig Jahren ans der Insel und
gründeten hier 1774 eine Niederlassung. Während des langen Krieges mit
Napoleon I. nahmen die Engländer ihnen ihr dortiges Fort und die benach¬
barten Inseln Mauritius und Reunion weg. Die letzter» erhielten sie beim
Frieden zurück, das Fort aber übergab man 1818 dem König Radama, um
ihn durch ein Geschenk zur Unterdrückung des Sklavenhandels zu bewegen.
Seine Nachfolgerin trieb 1835 die britischen Missionäre aus dem Lande und
begann eine Verfolgung der eingeborenen Christen und der fremden Ansiedler.
Dies führte 1845 zu einem englisch-französischen Angriff auf die Küstenstadt
Tamatave. Derselbe mißlang, und die Insel versank unter der Königin Nanavalo
wieder in Heidentum und Barbarei. 1855 unternahmen die Franzosen allein
eine neue Expedition gegen Madagaskar, erlitten aber eine Niederlage, und der
Kaiser Napoleon, damals vom Krimkriege stark in Anspruch genommen, verfolgte
die Sache nicht weiter. Seitdem hat der Westen die Insel unbehelligt gelassen.
Als die reaktionäre Königin starb, folgte ihr ihr Sohn, ein Christ und Freund
der Gesittung, und obwohl es gelegentlich zu Rückfällen und Aufständen kam,
sind die Zustände unter ihm und der jetzigen Herrscherin im ganzen befriedigend
gewesen. Man hat Missionäre geduldet, ja ermutigt, der Handel mit Europa
hat zugenommen, die Sklaverei ist beseitigt, die Zivilisation hat sich weithin
ausgebreitet. Die Franzosen behaupten nun, die gegenwärtige Beherrscherin der
Insel sei nur „Königin der Hovas," des mächtigsten Stammes der Malagassen,
und der Besitz ganz Madagaskars komme ihr rechtlich nicht zu. Das scheint
aber nur ein Kniff der französischen Diplomatie zu sein. In neueren Verträgen
werden die Vorgänger der jetzigen Königin entschieden als Souveräne der ge¬
samten Insel angesehen und behandelt, und zwar ohne irgendwelchen Vorbehalt.
Gewiß bestand das Reich von Madagaskar einmal aus einer Zahl von Stämmen,
die voneinander unabhängig waren, aber das war auch mit Frankreich und allen
andern europäischen Staaten einmal der Fall. Die Franzosen behaupten, ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/672>, abgerufen am 23.07.2024.