Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.Die Grafen von Altenschwerdt. nehmen im Pfarrhause, wenig liebevolle Teilnahme. Mit kaltem Auge und Führe mich jetzt zunächst zum Hause des Claus Harmsen, sagte sie ge¬ Sie war angewidert von dem Anblick der kümmerlichen und unschönen Vor einem einstöckigen Bau inmitten eines Hofes, wo ein Schwein sich in Hier wohnt Claus Harmsen, sagte er grinsend. Es schien seinem Ver¬ Gräfin Sibylle gebot ihm, draußen zu warten, und öffnete die Hausthür, Ist Euer Mann nicht zu Hause, meine gute Frau? fragte sie. Was soll mein Mann? fragte das Frauenzimmer. Sie war mißtrauisch, Ich nehme Anteil an Eurer Armut, meine gute Frau, sagte Gräfin Si¬ Das Frauenzimmer, durch das hereinfallende Licht geblendet, hielt die Die Grafen von Altenschwerdt. nehmen im Pfarrhause, wenig liebevolle Teilnahme. Mit kaltem Auge und Führe mich jetzt zunächst zum Hause des Claus Harmsen, sagte sie ge¬ Sie war angewidert von dem Anblick der kümmerlichen und unschönen Vor einem einstöckigen Bau inmitten eines Hofes, wo ein Schwein sich in Hier wohnt Claus Harmsen, sagte er grinsend. Es schien seinem Ver¬ Gräfin Sibylle gebot ihm, draußen zu warten, und öffnete die Hausthür, Ist Euer Mann nicht zu Hause, meine gute Frau? fragte sie. Was soll mein Mann? fragte das Frauenzimmer. Sie war mißtrauisch, Ich nehme Anteil an Eurer Armut, meine gute Frau, sagte Gräfin Si¬ Das Frauenzimmer, durch das hereinfallende Licht geblendet, hielt die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0663" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/152636"/> <fw type="header" place="top"> Die Grafen von Altenschwerdt.</fw><lb/> <p xml:id="ID_2552" prev="#ID_2551"> nehmen im Pfarrhause, wenig liebevolle Teilnahme. Mit kaltem Auge und<lb/> kurzem Wort reichte sie den gebrechlichen Männern und zerlumpten Weibern,<lb/> die sie in den niedrigen, unreinlichen Räumen vorfand, eine Gabe und eilte,<lb/> wieder hinauszukommen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2553"> Führe mich jetzt zunächst zum Hause des Claus Harmsen, sagte sie ge¬<lb/> bieterisch zu dem Burschen, als sie die dritte Hütte verlassen hatte.</p><lb/> <p xml:id="ID_2554"> Sie war angewidert von dem Anblick der kümmerlichen und unschönen<lb/> Existenzen, von der Finsternis und dem Übeln Geruch der erbärmlichen Woh¬<lb/> nungen, die sie betreten hatte, und sie fühlte eine unsägliche Verachtung gegen<lb/> dies Volk mit seinen schlechten Manieren. Mit gerunzelten Brauen schritt sie<lb/> weiter, peinlich berührt von der Aufgabe, die sie sich gestellt hatte, doch fest<lb/> entschlossen, sie durchzuführen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2555"> Vor einem einstöckigen Bau inmitten eines Hofes, wo ein Schwein sich in<lb/> der Jaucheupfütze wälzte, blieb ihr Führer stehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2556"> Hier wohnt Claus Harmsen, sagte er grinsend. Es schien seinem Ver¬<lb/> ständnis der Gegensatz zwischen dem Ort der Handlung und der Person der<lb/> Wohlthäterin immer mehr als ein belustigender einzuleuchten, und er stand, die<lb/> Hände in den Hosentaschen, wie zu einer Gratisvorstellung von Dorfkomödianten<lb/> geladen da.</p><lb/> <p xml:id="ID_2557"> Gräfin Sibylle gebot ihm, draußen zu warten, und öffnete die Hausthür,<lb/> durch welche sie sofort in die Küche trat, einen gepflasterten Raum, wo an einem<lb/> kalten Herde ein junges Frauenzimmer mit einem Kinde an der Brust auf einem<lb/> Schemel saß. Zwei größere Kinder spielten am Boden mit einigen Ferkeln,<lb/> die beim Öffnen der Thür quiekend an der Gräfin vorbei ins Freie stürzten.<lb/> Die Küche war eng und nur schwach erhellt durch ein kleines Fenster, dessen<lb/> Scheiben von Staub und Spinnweben bedeckt waren. Gräfin Sibyllens erster<lb/> Gedanke war der des Erstaunens darüber, daß ein so kleiner Raum so ungeheuer<lb/> viel Schmutz zu beherbergen imstande sei.</p><lb/> <p xml:id="ID_2558"> Ist Euer Mann nicht zu Hause, meine gute Frau? fragte sie.</p><lb/> <p xml:id="ID_2559"> Was soll mein Mann? fragte das Frauenzimmer. Sie war mißtrauisch,<lb/> denn die Fragen nach ihrem Gatten von seiten Höhergestellter zeigten nach ihrer<lb/> Erfahrung nur bevorstehende Strafen an und wurden am besten durch die<lb/> äußerste Zurückhaltung beantwortet.</p><lb/> <p xml:id="ID_2560"> Ich nehme Anteil an Eurer Armut, meine gute Frau, sagte Gräfin Si¬<lb/> bylle, welche sich vorsichtiger Weise auf der Schwelle der offenen Thür hielt.<lb/> Es ist meine Absicht, Euch zu helfen, wenn ich kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_2561" next="#ID_2562"> Das Frauenzimmer, durch das hereinfallende Licht geblendet, hielt die<lb/> Hand über die Augen und starrte den Besuch schweigend an. Das blasse Ge¬<lb/> sicht des armen Weibes war nicht häßlich, und die melancholischen Augen hätten<lb/> wohl, wenn das Glück ihnen seinen Schein hätte verleihen wollen, angenehm<lb/> und lieblich blicken können. Aber das Elend hatte sie blöde gemacht und hatte</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0663]
Die Grafen von Altenschwerdt.
nehmen im Pfarrhause, wenig liebevolle Teilnahme. Mit kaltem Auge und
kurzem Wort reichte sie den gebrechlichen Männern und zerlumpten Weibern,
die sie in den niedrigen, unreinlichen Räumen vorfand, eine Gabe und eilte,
wieder hinauszukommen.
Führe mich jetzt zunächst zum Hause des Claus Harmsen, sagte sie ge¬
bieterisch zu dem Burschen, als sie die dritte Hütte verlassen hatte.
Sie war angewidert von dem Anblick der kümmerlichen und unschönen
Existenzen, von der Finsternis und dem Übeln Geruch der erbärmlichen Woh¬
nungen, die sie betreten hatte, und sie fühlte eine unsägliche Verachtung gegen
dies Volk mit seinen schlechten Manieren. Mit gerunzelten Brauen schritt sie
weiter, peinlich berührt von der Aufgabe, die sie sich gestellt hatte, doch fest
entschlossen, sie durchzuführen.
Vor einem einstöckigen Bau inmitten eines Hofes, wo ein Schwein sich in
der Jaucheupfütze wälzte, blieb ihr Führer stehen.
Hier wohnt Claus Harmsen, sagte er grinsend. Es schien seinem Ver¬
ständnis der Gegensatz zwischen dem Ort der Handlung und der Person der
Wohlthäterin immer mehr als ein belustigender einzuleuchten, und er stand, die
Hände in den Hosentaschen, wie zu einer Gratisvorstellung von Dorfkomödianten
geladen da.
Gräfin Sibylle gebot ihm, draußen zu warten, und öffnete die Hausthür,
durch welche sie sofort in die Küche trat, einen gepflasterten Raum, wo an einem
kalten Herde ein junges Frauenzimmer mit einem Kinde an der Brust auf einem
Schemel saß. Zwei größere Kinder spielten am Boden mit einigen Ferkeln,
die beim Öffnen der Thür quiekend an der Gräfin vorbei ins Freie stürzten.
Die Küche war eng und nur schwach erhellt durch ein kleines Fenster, dessen
Scheiben von Staub und Spinnweben bedeckt waren. Gräfin Sibyllens erster
Gedanke war der des Erstaunens darüber, daß ein so kleiner Raum so ungeheuer
viel Schmutz zu beherbergen imstande sei.
Ist Euer Mann nicht zu Hause, meine gute Frau? fragte sie.
Was soll mein Mann? fragte das Frauenzimmer. Sie war mißtrauisch,
denn die Fragen nach ihrem Gatten von seiten Höhergestellter zeigten nach ihrer
Erfahrung nur bevorstehende Strafen an und wurden am besten durch die
äußerste Zurückhaltung beantwortet.
Ich nehme Anteil an Eurer Armut, meine gute Frau, sagte Gräfin Si¬
bylle, welche sich vorsichtiger Weise auf der Schwelle der offenen Thür hielt.
Es ist meine Absicht, Euch zu helfen, wenn ich kann.
Das Frauenzimmer, durch das hereinfallende Licht geblendet, hielt die
Hand über die Augen und starrte den Besuch schweigend an. Das blasse Ge¬
sicht des armen Weibes war nicht häßlich, und die melancholischen Augen hätten
wohl, wenn das Glück ihnen seinen Schein hätte verleihen wollen, angenehm
und lieblich blicken können. Aber das Elend hatte sie blöde gemacht und hatte
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |