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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

sichtig hellen Element, das schmeichelnd um die rötlich gefärbten Spitzen der
schlanken weißen Finger floß und perlend über die schimmernde Haut hinlief.

Eberhardt betrachtete sie mit Bewunderung, und es vergingen beiden in dem
Gespräch, das sie miteinander führten und das, wovon sie auch immer reden
mochten, doch nur den einen wichtigen Gegenstand, ihre Liebe, zum Mittelpunkt
hatte, die Stunden dieses Nachmittags und Abends wie ein kurzer, seliger
Traum. Erst der tiefe Stand der Sonne, die sich zum Meere herabneigte und ein
rotgoldnes Licht zu verbreiten anfing, mahnte an die Rückkehr. Dorothea ge¬
dachte ihres Vaters, der vor Einbruch der Nacht nach Hause zu fahren ge¬
wünscht hatte, und sie gab das Zeichen zur Umkehr.

Ich wünschte wohl, wir könnten diese glückliche Fahrt in die Unendlichkeit
verlängern, sagte sie, aber wir dürfen Papa nicht ungeduldig werden lassen.
Lassen Sie uns die Segel wenden, mein Freund.

Der Wind, der ihnen beim Ausfahren gedient hatte, war mit dem Sinken
der Sonne etwas stärker geworden und etwas mehr nach Norden herumgegangen,
sodaß sie in größerer Schnelle das Land wieder erreichten als sie es verlassen
hatten. Es schienen an diesem Tage des Glückes selbst die Elemente ihrer Liebe
dienstbar zu sein. Eberhardt hob mit starkem Arm die teure Last vom Boote
auf den Sand und ein Schauer der Wonne durchbebte ihn, als er den Leib
der Geliebten umfaßte. Er bot ihr den Arm, um sie hinauf zum Hause zu
führen, während die Begleiter zurückblieben, mit dem Netz und dem Ergebnis
des Fanges beschäftigt.

Es war noch immer hell, obwohl die Sonne untergegangen war und nur
ein zartes Rot von unbeschreiblicher Weichheit den blassen Himmel im Westen
überzog. Diese duftige Färbung des abendlichen Lichtes schien das alte Gebäude
auf dem Hügel gleichsam zu erleichtern, indem sie seine schweren Steine als von
feinem, ätherischem Stoffe gebildet darstellte, und sie gab der ganzen Landschaft,
dem Garten, der Hügelreihe und dem fernen Walde eiuen besondern Reiz, indem
sie alle Umrisse milderte und das Land mit einem dem Meere entliehenen
schimmernden Schleier umhüllte. Eine kurze Minute noch blieben Eberhardt
und Dorothea vor der Hausthür stehen, an dem Platze, wo die alten Herren
zwischen den hölzernen Säulen gesessen hatten, und sie blickten trunkner Auges
in die weite Flut hinein, die sich, von dem Rosenrot der letzten Sonnenstrahlen
durchglüht, unermeßlich vor ihnen ausbreitete. Dorotheens Hand legte sich
fester auf seinen Arm.

O Dorothea, flüsterte er, ein Leben, das zusammengesetzt wäre aus lauter
Stunden wie diese, ungetrennt, auf immer vereinigt wir beiden -- welche Selig¬
keit könnte größer sein!

Er glaubte, daß dieser schöne Augenblick der letzte seines Zusammenseins
mit der Geliebten sein würde, und als beide in das Haus traten, wohin die
alten Herren sich schon seit zwei Stunden zurückgezogen hatten, wollte er sich


Die Grafen von Altenschwerdt.

sichtig hellen Element, das schmeichelnd um die rötlich gefärbten Spitzen der
schlanken weißen Finger floß und perlend über die schimmernde Haut hinlief.

Eberhardt betrachtete sie mit Bewunderung, und es vergingen beiden in dem
Gespräch, das sie miteinander führten und das, wovon sie auch immer reden
mochten, doch nur den einen wichtigen Gegenstand, ihre Liebe, zum Mittelpunkt
hatte, die Stunden dieses Nachmittags und Abends wie ein kurzer, seliger
Traum. Erst der tiefe Stand der Sonne, die sich zum Meere herabneigte und ein
rotgoldnes Licht zu verbreiten anfing, mahnte an die Rückkehr. Dorothea ge¬
dachte ihres Vaters, der vor Einbruch der Nacht nach Hause zu fahren ge¬
wünscht hatte, und sie gab das Zeichen zur Umkehr.

Ich wünschte wohl, wir könnten diese glückliche Fahrt in die Unendlichkeit
verlängern, sagte sie, aber wir dürfen Papa nicht ungeduldig werden lassen.
Lassen Sie uns die Segel wenden, mein Freund.

Der Wind, der ihnen beim Ausfahren gedient hatte, war mit dem Sinken
der Sonne etwas stärker geworden und etwas mehr nach Norden herumgegangen,
sodaß sie in größerer Schnelle das Land wieder erreichten als sie es verlassen
hatten. Es schienen an diesem Tage des Glückes selbst die Elemente ihrer Liebe
dienstbar zu sein. Eberhardt hob mit starkem Arm die teure Last vom Boote
auf den Sand und ein Schauer der Wonne durchbebte ihn, als er den Leib
der Geliebten umfaßte. Er bot ihr den Arm, um sie hinauf zum Hause zu
führen, während die Begleiter zurückblieben, mit dem Netz und dem Ergebnis
des Fanges beschäftigt.

Es war noch immer hell, obwohl die Sonne untergegangen war und nur
ein zartes Rot von unbeschreiblicher Weichheit den blassen Himmel im Westen
überzog. Diese duftige Färbung des abendlichen Lichtes schien das alte Gebäude
auf dem Hügel gleichsam zu erleichtern, indem sie seine schweren Steine als von
feinem, ätherischem Stoffe gebildet darstellte, und sie gab der ganzen Landschaft,
dem Garten, der Hügelreihe und dem fernen Walde eiuen besondern Reiz, indem
sie alle Umrisse milderte und das Land mit einem dem Meere entliehenen
schimmernden Schleier umhüllte. Eine kurze Minute noch blieben Eberhardt
und Dorothea vor der Hausthür stehen, an dem Platze, wo die alten Herren
zwischen den hölzernen Säulen gesessen hatten, und sie blickten trunkner Auges
in die weite Flut hinein, die sich, von dem Rosenrot der letzten Sonnenstrahlen
durchglüht, unermeßlich vor ihnen ausbreitete. Dorotheens Hand legte sich
fester auf seinen Arm.

O Dorothea, flüsterte er, ein Leben, das zusammengesetzt wäre aus lauter
Stunden wie diese, ungetrennt, auf immer vereinigt wir beiden — welche Selig¬
keit könnte größer sein!

Er glaubte, daß dieser schöne Augenblick der letzte seines Zusammenseins
mit der Geliebten sein würde, und als beide in das Haus traten, wohin die
alten Herren sich schon seit zwei Stunden zurückgezogen hatten, wollte er sich


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[0655] Die Grafen von Altenschwerdt. sichtig hellen Element, das schmeichelnd um die rötlich gefärbten Spitzen der schlanken weißen Finger floß und perlend über die schimmernde Haut hinlief. Eberhardt betrachtete sie mit Bewunderung, und es vergingen beiden in dem Gespräch, das sie miteinander führten und das, wovon sie auch immer reden mochten, doch nur den einen wichtigen Gegenstand, ihre Liebe, zum Mittelpunkt hatte, die Stunden dieses Nachmittags und Abends wie ein kurzer, seliger Traum. Erst der tiefe Stand der Sonne, die sich zum Meere herabneigte und ein rotgoldnes Licht zu verbreiten anfing, mahnte an die Rückkehr. Dorothea ge¬ dachte ihres Vaters, der vor Einbruch der Nacht nach Hause zu fahren ge¬ wünscht hatte, und sie gab das Zeichen zur Umkehr. Ich wünschte wohl, wir könnten diese glückliche Fahrt in die Unendlichkeit verlängern, sagte sie, aber wir dürfen Papa nicht ungeduldig werden lassen. Lassen Sie uns die Segel wenden, mein Freund. Der Wind, der ihnen beim Ausfahren gedient hatte, war mit dem Sinken der Sonne etwas stärker geworden und etwas mehr nach Norden herumgegangen, sodaß sie in größerer Schnelle das Land wieder erreichten als sie es verlassen hatten. Es schienen an diesem Tage des Glückes selbst die Elemente ihrer Liebe dienstbar zu sein. Eberhardt hob mit starkem Arm die teure Last vom Boote auf den Sand und ein Schauer der Wonne durchbebte ihn, als er den Leib der Geliebten umfaßte. Er bot ihr den Arm, um sie hinauf zum Hause zu führen, während die Begleiter zurückblieben, mit dem Netz und dem Ergebnis des Fanges beschäftigt. Es war noch immer hell, obwohl die Sonne untergegangen war und nur ein zartes Rot von unbeschreiblicher Weichheit den blassen Himmel im Westen überzog. Diese duftige Färbung des abendlichen Lichtes schien das alte Gebäude auf dem Hügel gleichsam zu erleichtern, indem sie seine schweren Steine als von feinem, ätherischem Stoffe gebildet darstellte, und sie gab der ganzen Landschaft, dem Garten, der Hügelreihe und dem fernen Walde eiuen besondern Reiz, indem sie alle Umrisse milderte und das Land mit einem dem Meere entliehenen schimmernden Schleier umhüllte. Eine kurze Minute noch blieben Eberhardt und Dorothea vor der Hausthür stehen, an dem Platze, wo die alten Herren zwischen den hölzernen Säulen gesessen hatten, und sie blickten trunkner Auges in die weite Flut hinein, die sich, von dem Rosenrot der letzten Sonnenstrahlen durchglüht, unermeßlich vor ihnen ausbreitete. Dorotheens Hand legte sich fester auf seinen Arm. O Dorothea, flüsterte er, ein Leben, das zusammengesetzt wäre aus lauter Stunden wie diese, ungetrennt, auf immer vereinigt wir beiden — welche Selig¬ keit könnte größer sein! Er glaubte, daß dieser schöne Augenblick der letzte seines Zusammenseins mit der Geliebten sein würde, und als beide in das Haus traten, wohin die alten Herren sich schon seit zwei Stunden zurückgezogen hatten, wollte er sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/655>, abgerufen am 25.08.2024.