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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Goethe und die Koryphäen der heutigen Naturroissenschaft,

sikern Verständnis zu finden, verbittert in Privatgesprächen mit intimen Freunden
wie Eckermann gelegentlich heftig wurde, so spricht das wohl dafür, daß er
leidenschaftlich auf seiner festen Überzeugung bestand, aber man darf es ihm nicht
so anrechnen, als wenn er auch im öffentlichen Kampfe sich nicht zu mäßigen
verstanden hätte. Einige Xenien sind vielleicht das bitterste, was er mit Absicht
in dieser Art veröffentlicht hat. Aber auch dabei muß man bedenken, daß er
ja keineswegs ganz im Unrecht war.

Er hatte völlig Recht in der Hauptsache, daß die Physiker das Licht und
die Farben materiell auffaßten, als etwas, was unabhängig von unsrer Em¬
pfindung in der Welt außer uns existire, und daß sie, wie wir nachgewiesen
haben, oft gegen besseres Wissen an dieser falschen Vorstellung festhielten. Er
hatte auch darin recht, daß in der Newtonschen Farbenlehre anfänglich mancher
Irrtum über erfahrungsmäßige Thatsachen wie über die Achromasie enthalten
war. Und niemand hat mit so eindringendem, vielseitigem Verständnis wie
Goethe auseinandergesetzt, daß eine Theorie mathematisch richtig und doch in
der Erfahrung falsch sein kann. Darum vergleicht er Newtons Lehre mit dem
astronomischen System von Tycho de Breche und trifft damit schlagend die
Emanationstheorie des Lichtes.

Daß ihm aber auch die Undulationstheorie zu materiell erschien und er
überhaupt garnichts gutes an den physikalischen Lehren übrig lassen wollte,
darin ging er ein wenig zu weit. Es fiel ihm nicht ein, daß man ein Be¬
dürfnis haben könne, die Möglichkeit der Raumanschauung zu erklären. Konform
mit Kant, wie er sich ohne detaillirte Kenntnis desselben hielt, fand er nichts
unbegreifliches in der Fähigkeit des Geistes, Gegenstände im Raum unmittelbar
wahrzunehmen. Daß dazu erst eine physikalische Verbindung zwischen den
Gegenständen und dem Auge stattfinden müsse, wollte er eben deswegen nicht
anerkennen, weil ihm diese Verbindung bestandig in Form von Hypothesen über
ein materielles Licht entgegengebracht wurde. Daß Lichtstrahlen, von den
Körpern ausgehend oder zurückgeworfen, ins Auge gelangen, von der Netzhaut
aufgenommen, durch den Sehnerv weiter befördert werden sollen, um im Gehirn
mit den Geistesfähigkeiten in Verbindung zu treten, hatte keinen Sinn für ihn,
wie es denn auch in der That sinnlos ist. Aber wenn er imstande gewesen
wäre, mit den heutigen Mitteln der Wissenschaft die Natur der Netzhaut und
des Nervensystems kennen zu lernen, so würde er sich nicht der notwendigen Ein¬
sicht verschlossen haben, daß, um eine Sinnesempfindung auszulösen, eine physische
Bewegung notwendig ist, mag sie nun von den innern Organen her, etwa aus
dem Blute, oder vom äußern Raume aus durch feinste Wellenschwingungen
die Nervensubstanz erregen. Die physische Erregung der Netzhaut fordert eine
Physische Verbindung zwischen den Gegenständen der Wahrnehmung und dem
Auge, und diese wird allerdings von der Undulationstheorie auf eine bewunderns¬
würdige Weise hergestellt. Die Theorie ist mustergiltig, sobald sie darauf ver-


Grenzbotm I. 1883. 30
Goethe und die Koryphäen der heutigen Naturroissenschaft,

sikern Verständnis zu finden, verbittert in Privatgesprächen mit intimen Freunden
wie Eckermann gelegentlich heftig wurde, so spricht das wohl dafür, daß er
leidenschaftlich auf seiner festen Überzeugung bestand, aber man darf es ihm nicht
so anrechnen, als wenn er auch im öffentlichen Kampfe sich nicht zu mäßigen
verstanden hätte. Einige Xenien sind vielleicht das bitterste, was er mit Absicht
in dieser Art veröffentlicht hat. Aber auch dabei muß man bedenken, daß er
ja keineswegs ganz im Unrecht war.

Er hatte völlig Recht in der Hauptsache, daß die Physiker das Licht und
die Farben materiell auffaßten, als etwas, was unabhängig von unsrer Em¬
pfindung in der Welt außer uns existire, und daß sie, wie wir nachgewiesen
haben, oft gegen besseres Wissen an dieser falschen Vorstellung festhielten. Er
hatte auch darin recht, daß in der Newtonschen Farbenlehre anfänglich mancher
Irrtum über erfahrungsmäßige Thatsachen wie über die Achromasie enthalten
war. Und niemand hat mit so eindringendem, vielseitigem Verständnis wie
Goethe auseinandergesetzt, daß eine Theorie mathematisch richtig und doch in
der Erfahrung falsch sein kann. Darum vergleicht er Newtons Lehre mit dem
astronomischen System von Tycho de Breche und trifft damit schlagend die
Emanationstheorie des Lichtes.

Daß ihm aber auch die Undulationstheorie zu materiell erschien und er
überhaupt garnichts gutes an den physikalischen Lehren übrig lassen wollte,
darin ging er ein wenig zu weit. Es fiel ihm nicht ein, daß man ein Be¬
dürfnis haben könne, die Möglichkeit der Raumanschauung zu erklären. Konform
mit Kant, wie er sich ohne detaillirte Kenntnis desselben hielt, fand er nichts
unbegreifliches in der Fähigkeit des Geistes, Gegenstände im Raum unmittelbar
wahrzunehmen. Daß dazu erst eine physikalische Verbindung zwischen den
Gegenständen und dem Auge stattfinden müsse, wollte er eben deswegen nicht
anerkennen, weil ihm diese Verbindung bestandig in Form von Hypothesen über
ein materielles Licht entgegengebracht wurde. Daß Lichtstrahlen, von den
Körpern ausgehend oder zurückgeworfen, ins Auge gelangen, von der Netzhaut
aufgenommen, durch den Sehnerv weiter befördert werden sollen, um im Gehirn
mit den Geistesfähigkeiten in Verbindung zu treten, hatte keinen Sinn für ihn,
wie es denn auch in der That sinnlos ist. Aber wenn er imstande gewesen
wäre, mit den heutigen Mitteln der Wissenschaft die Natur der Netzhaut und
des Nervensystems kennen zu lernen, so würde er sich nicht der notwendigen Ein¬
sicht verschlossen haben, daß, um eine Sinnesempfindung auszulösen, eine physische
Bewegung notwendig ist, mag sie nun von den innern Organen her, etwa aus
dem Blute, oder vom äußern Raume aus durch feinste Wellenschwingungen
die Nervensubstanz erregen. Die physische Erregung der Netzhaut fordert eine
Physische Verbindung zwischen den Gegenständen der Wahrnehmung und dem
Auge, und diese wird allerdings von der Undulationstheorie auf eine bewunderns¬
würdige Weise hergestellt. Die Theorie ist mustergiltig, sobald sie darauf ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/641>, abgerufen am 23.07.2024.