Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Goethe und die Koryphäen der heutigen Naturwissenschaft,

sprechender Erfahrungen, daß man sie wieder aufgeben muß. So kommt man
denn zu dem Schlüsse, daß die Art und Weise, wie materielle Bewegungen in
den Geist übergehen oder Geist Produziren, uns niemals klar werden wird, und
daß wir beruhigt sagen können: Ixiwimmus se iWorMmus -- ein unüber¬
trefflich passender Wahlspruch für philosophische Ignoranten! Weder davon,
daß diese Frage überhaupt falsch gestellt ist, noch davon, daß uns die von Kant
begründete transzendentale Methode zur Kenntnis der Gesetze des Denkens,
Erkennens und selbst des Gefühles führt, haben diese berühmten Herren eine
Ahnung.

Dem stolzen Verdikte Dubois-Reymonds, daß Goethes Farbenlehre längst
gerichtet sei, setzen wir die Behauptung entgegen, daß das Verständnis für
Goethes wissenschaftliche Verdienste bei den heutige" Koryphäen der Natur¬
wissenschaft mehr und mehr abgenommen hat, und zwar in dem Maße, als sie
sich der materialistischen Denkweise genähert haben. Will man nun unter den
entschieden ohne Verständnis einander gegenüberstehenden Parteien unparteiisch
entscheiden, wer Recht und wer Unrecht gehabt, so muß man zunächst sagen,
daß der Streit nur darum möglich war, weil beide, auf verschiednen philo¬
sophischen Anschauungen fußend, unter den Begriffen Licht und Farbe verschie¬
denes verstanden. Goethe war von seinem Standpunkte aus vollkommen im
Recht. Die Phänomene des Licht- und Farbenreiches waren für ihn nur den
Gesetzen und Eigentümlichkeiten unsrer Empfindung unterworfen, nicht mecha¬
nischen Gesetzen einer Lichtmaterie. Er sagte, daß Farbenempfindung nur ent¬
stehe, wenn Hell und Dunkel oder Weiß und Schwarz mit einander in Be¬
rührung kommen, die je nach den Umständen eine verschiedene Vermischung oder
Verbindung beider herbeiführe. So erklärte er die Abendröte und das Blau
des Himmels, und auch, vielleicht mit ein wenig Zwang, die Farben des Spek¬
trums, sowie überhaupt alle Dispersivnserscheinungen. Alle seine Erklärungen
gehen darauf hinaus, daß von diesen wenigen obersten UrPhänomenen alle andern
Licht- und Farbenerscheinungen im Zusammenhang als davon abgeleitet und
durch sie verständlich aufgefaßt werden müßten. Zu diesem Zwecke scheute er
niemals Mühe und Fleiß, weder in der Durchforschung der Literatur, noch in
der exaktesten Beobachtung zahlreicher Experimente. Alles, was von seiner
Scheu vor physikalischen Apparaten oder komplizirten Versuchen behauptet wird,
beruht auf bloßem Mißverständnis der angeführten Stellen aus dem Faust.
Seine zahlreichen Experimente sind musterhaft klar und nüchtern angestellt und
beschrieben, aber freilich immer nur zu dem Zwecke unternommen, um Gesetze
der Empfindung zu finden, nicht der Lichtmaterie.

Wie sehr Goethe diesen Standpunkt innehält, sieht man am deutlichsten
aus der entschiednen Art, in der er Schopenhauer desavouirt, als dieser
Goethes Farbenlehre in seiner plumpen Manier erläutert zu haben glaubte.
Goethe hatte gesagt: Wenn man durch ein Prisma ein weißes Viereck auf


Goethe und die Koryphäen der heutigen Naturwissenschaft,

sprechender Erfahrungen, daß man sie wieder aufgeben muß. So kommt man
denn zu dem Schlüsse, daß die Art und Weise, wie materielle Bewegungen in
den Geist übergehen oder Geist Produziren, uns niemals klar werden wird, und
daß wir beruhigt sagen können: Ixiwimmus se iWorMmus — ein unüber¬
trefflich passender Wahlspruch für philosophische Ignoranten! Weder davon,
daß diese Frage überhaupt falsch gestellt ist, noch davon, daß uns die von Kant
begründete transzendentale Methode zur Kenntnis der Gesetze des Denkens,
Erkennens und selbst des Gefühles führt, haben diese berühmten Herren eine
Ahnung.

Dem stolzen Verdikte Dubois-Reymonds, daß Goethes Farbenlehre längst
gerichtet sei, setzen wir die Behauptung entgegen, daß das Verständnis für
Goethes wissenschaftliche Verdienste bei den heutige» Koryphäen der Natur¬
wissenschaft mehr und mehr abgenommen hat, und zwar in dem Maße, als sie
sich der materialistischen Denkweise genähert haben. Will man nun unter den
entschieden ohne Verständnis einander gegenüberstehenden Parteien unparteiisch
entscheiden, wer Recht und wer Unrecht gehabt, so muß man zunächst sagen,
daß der Streit nur darum möglich war, weil beide, auf verschiednen philo¬
sophischen Anschauungen fußend, unter den Begriffen Licht und Farbe verschie¬
denes verstanden. Goethe war von seinem Standpunkte aus vollkommen im
Recht. Die Phänomene des Licht- und Farbenreiches waren für ihn nur den
Gesetzen und Eigentümlichkeiten unsrer Empfindung unterworfen, nicht mecha¬
nischen Gesetzen einer Lichtmaterie. Er sagte, daß Farbenempfindung nur ent¬
stehe, wenn Hell und Dunkel oder Weiß und Schwarz mit einander in Be¬
rührung kommen, die je nach den Umständen eine verschiedene Vermischung oder
Verbindung beider herbeiführe. So erklärte er die Abendröte und das Blau
des Himmels, und auch, vielleicht mit ein wenig Zwang, die Farben des Spek¬
trums, sowie überhaupt alle Dispersivnserscheinungen. Alle seine Erklärungen
gehen darauf hinaus, daß von diesen wenigen obersten UrPhänomenen alle andern
Licht- und Farbenerscheinungen im Zusammenhang als davon abgeleitet und
durch sie verständlich aufgefaßt werden müßten. Zu diesem Zwecke scheute er
niemals Mühe und Fleiß, weder in der Durchforschung der Literatur, noch in
der exaktesten Beobachtung zahlreicher Experimente. Alles, was von seiner
Scheu vor physikalischen Apparaten oder komplizirten Versuchen behauptet wird,
beruht auf bloßem Mißverständnis der angeführten Stellen aus dem Faust.
Seine zahlreichen Experimente sind musterhaft klar und nüchtern angestellt und
beschrieben, aber freilich immer nur zu dem Zwecke unternommen, um Gesetze
der Empfindung zu finden, nicht der Lichtmaterie.

Wie sehr Goethe diesen Standpunkt innehält, sieht man am deutlichsten
aus der entschiednen Art, in der er Schopenhauer desavouirt, als dieser
Goethes Farbenlehre in seiner plumpen Manier erläutert zu haben glaubte.
Goethe hatte gesagt: Wenn man durch ein Prisma ein weißes Viereck auf


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0639" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/152588"/>
          <fw type="header" place="top"> Goethe und die Koryphäen der heutigen Naturwissenschaft,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2445" prev="#ID_2444"> sprechender Erfahrungen, daß man sie wieder aufgeben muß. So kommt man<lb/>
denn zu dem Schlüsse, daß die Art und Weise, wie materielle Bewegungen in<lb/>
den Geist übergehen oder Geist Produziren, uns niemals klar werden wird, und<lb/>
daß wir beruhigt sagen können: Ixiwimmus se iWorMmus &#x2014; ein unüber¬<lb/>
trefflich passender Wahlspruch für philosophische Ignoranten! Weder davon,<lb/>
daß diese Frage überhaupt falsch gestellt ist, noch davon, daß uns die von Kant<lb/>
begründete transzendentale Methode zur Kenntnis der Gesetze des Denkens,<lb/>
Erkennens und selbst des Gefühles führt, haben diese berühmten Herren eine<lb/>
Ahnung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2446"> Dem stolzen Verdikte Dubois-Reymonds, daß Goethes Farbenlehre längst<lb/>
gerichtet sei, setzen wir die Behauptung entgegen, daß das Verständnis für<lb/>
Goethes wissenschaftliche Verdienste bei den heutige» Koryphäen der Natur¬<lb/>
wissenschaft mehr und mehr abgenommen hat, und zwar in dem Maße, als sie<lb/>
sich der materialistischen Denkweise genähert haben. Will man nun unter den<lb/>
entschieden ohne Verständnis einander gegenüberstehenden Parteien unparteiisch<lb/>
entscheiden, wer Recht und wer Unrecht gehabt, so muß man zunächst sagen,<lb/>
daß der Streit nur darum möglich war, weil beide, auf verschiednen philo¬<lb/>
sophischen Anschauungen fußend, unter den Begriffen Licht und Farbe verschie¬<lb/>
denes verstanden. Goethe war von seinem Standpunkte aus vollkommen im<lb/>
Recht. Die Phänomene des Licht- und Farbenreiches waren für ihn nur den<lb/>
Gesetzen und Eigentümlichkeiten unsrer Empfindung unterworfen, nicht mecha¬<lb/>
nischen Gesetzen einer Lichtmaterie. Er sagte, daß Farbenempfindung nur ent¬<lb/>
stehe, wenn Hell und Dunkel oder Weiß und Schwarz mit einander in Be¬<lb/>
rührung kommen, die je nach den Umständen eine verschiedene Vermischung oder<lb/>
Verbindung beider herbeiführe. So erklärte er die Abendröte und das Blau<lb/>
des Himmels, und auch, vielleicht mit ein wenig Zwang, die Farben des Spek¬<lb/>
trums, sowie überhaupt alle Dispersivnserscheinungen. Alle seine Erklärungen<lb/>
gehen darauf hinaus, daß von diesen wenigen obersten UrPhänomenen alle andern<lb/>
Licht- und Farbenerscheinungen im Zusammenhang als davon abgeleitet und<lb/>
durch sie verständlich aufgefaßt werden müßten. Zu diesem Zwecke scheute er<lb/>
niemals Mühe und Fleiß, weder in der Durchforschung der Literatur, noch in<lb/>
der exaktesten Beobachtung zahlreicher Experimente. Alles, was von seiner<lb/>
Scheu vor physikalischen Apparaten oder komplizirten Versuchen behauptet wird,<lb/>
beruht auf bloßem Mißverständnis der angeführten Stellen aus dem Faust.<lb/>
Seine zahlreichen Experimente sind musterhaft klar und nüchtern angestellt und<lb/>
beschrieben, aber freilich immer nur zu dem Zwecke unternommen, um Gesetze<lb/>
der Empfindung zu finden, nicht der Lichtmaterie.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2447" next="#ID_2448"> Wie sehr Goethe diesen Standpunkt innehält, sieht man am deutlichsten<lb/>
aus der entschiednen Art, in der er Schopenhauer desavouirt, als dieser<lb/>
Goethes Farbenlehre in seiner plumpen Manier erläutert zu haben glaubte.<lb/>
Goethe hatte gesagt: Wenn man durch ein Prisma ein weißes Viereck auf</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0639] Goethe und die Koryphäen der heutigen Naturwissenschaft, sprechender Erfahrungen, daß man sie wieder aufgeben muß. So kommt man denn zu dem Schlüsse, daß die Art und Weise, wie materielle Bewegungen in den Geist übergehen oder Geist Produziren, uns niemals klar werden wird, und daß wir beruhigt sagen können: Ixiwimmus se iWorMmus — ein unüber¬ trefflich passender Wahlspruch für philosophische Ignoranten! Weder davon, daß diese Frage überhaupt falsch gestellt ist, noch davon, daß uns die von Kant begründete transzendentale Methode zur Kenntnis der Gesetze des Denkens, Erkennens und selbst des Gefühles führt, haben diese berühmten Herren eine Ahnung. Dem stolzen Verdikte Dubois-Reymonds, daß Goethes Farbenlehre längst gerichtet sei, setzen wir die Behauptung entgegen, daß das Verständnis für Goethes wissenschaftliche Verdienste bei den heutige» Koryphäen der Natur¬ wissenschaft mehr und mehr abgenommen hat, und zwar in dem Maße, als sie sich der materialistischen Denkweise genähert haben. Will man nun unter den entschieden ohne Verständnis einander gegenüberstehenden Parteien unparteiisch entscheiden, wer Recht und wer Unrecht gehabt, so muß man zunächst sagen, daß der Streit nur darum möglich war, weil beide, auf verschiednen philo¬ sophischen Anschauungen fußend, unter den Begriffen Licht und Farbe verschie¬ denes verstanden. Goethe war von seinem Standpunkte aus vollkommen im Recht. Die Phänomene des Licht- und Farbenreiches waren für ihn nur den Gesetzen und Eigentümlichkeiten unsrer Empfindung unterworfen, nicht mecha¬ nischen Gesetzen einer Lichtmaterie. Er sagte, daß Farbenempfindung nur ent¬ stehe, wenn Hell und Dunkel oder Weiß und Schwarz mit einander in Be¬ rührung kommen, die je nach den Umständen eine verschiedene Vermischung oder Verbindung beider herbeiführe. So erklärte er die Abendröte und das Blau des Himmels, und auch, vielleicht mit ein wenig Zwang, die Farben des Spek¬ trums, sowie überhaupt alle Dispersivnserscheinungen. Alle seine Erklärungen gehen darauf hinaus, daß von diesen wenigen obersten UrPhänomenen alle andern Licht- und Farbenerscheinungen im Zusammenhang als davon abgeleitet und durch sie verständlich aufgefaßt werden müßten. Zu diesem Zwecke scheute er niemals Mühe und Fleiß, weder in der Durchforschung der Literatur, noch in der exaktesten Beobachtung zahlreicher Experimente. Alles, was von seiner Scheu vor physikalischen Apparaten oder komplizirten Versuchen behauptet wird, beruht auf bloßem Mißverständnis der angeführten Stellen aus dem Faust. Seine zahlreichen Experimente sind musterhaft klar und nüchtern angestellt und beschrieben, aber freilich immer nur zu dem Zwecke unternommen, um Gesetze der Empfindung zu finden, nicht der Lichtmaterie. Wie sehr Goethe diesen Standpunkt innehält, sieht man am deutlichsten aus der entschiednen Art, in der er Schopenhauer desavouirt, als dieser Goethes Farbenlehre in seiner plumpen Manier erläutert zu haben glaubte. Goethe hatte gesagt: Wenn man durch ein Prisma ein weißes Viereck auf

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/639
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/639>, abgerufen am 23.07.2024.