Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.Goethe und die Koryphäen der heutigen Naturwissenschaft, Freilich hat schon kurze Zeit nachher Hobbes mit unerbittlicher Schärfe Vielleicht war eben die Stellung Goethes im praktischen Leben als Staats¬ Vor dem Richterstuhle Virchows (Goethe als Naturforscher, 1861) be¬ Goethe und die Koryphäen der heutigen Naturwissenschaft, Freilich hat schon kurze Zeit nachher Hobbes mit unerbittlicher Schärfe Vielleicht war eben die Stellung Goethes im praktischen Leben als Staats¬ Vor dem Richterstuhle Virchows (Goethe als Naturforscher, 1861) be¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0630" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/152570"/> <fw type="header" place="top"> Goethe und die Koryphäen der heutigen Naturwissenschaft,</fw><lb/> <p xml:id="ID_2418"> Freilich hat schon kurze Zeit nachher Hobbes mit unerbittlicher Schärfe<lb/> nachgewiesen, daß diese Prinzipien, wenn man sie als die einzig echten Prin¬<lb/> zipien der Wissenschaft proklamirt, nicht stille stehen bleiben bei der Zerstörung<lb/> der Autorität der Griechen und der mittelalterlichen Scholaster, wie Bacon es<lb/> aus praktischen Gründen gewünscht hatte, sondern daß sie notwendig auch die<lb/> Autorität derjenigen Gesetze zerstören müssen, welche die Ordnung des Staates<lb/> und der Gesellschaft aufrechterhalten. Mit nnwidersprechlicher Konsequenz müssen<lb/> sie zu den Prinzipien der Revolution fortschreiten, und es bleibt für die Auf¬<lb/> rechterhaltung der menschlichen Gesellschaftsordnung kein andres Mittel, als daß<lb/> der Staat als allverschliugeuder Leviathan mit tyrannischer Gewalt und eiserner<lb/> Fuchtel die Freiheit einschränkt und unterdrückt. (Vergl. Kuno Fischers Baco<lb/> von Verulam.) Diese Anschauungen sind ohne Zweifel noch bis auf den heutigen<lb/> Tag für die Entwicklung der politischen Verhältnisse und Anschauungen in Eng¬<lb/> land maßgebend gewesen. Aus ihnen entspringt die Theorie von dem feindlichen<lb/> Gegensatz der Interessen der Negierung und der Gesellschaft, die sich so schwer<lb/> und hoffentlich garnicht bei uns einbürgern will, weil die Entwicklung Deutsch¬<lb/> lands einen ganz andern Gang genommen hat als die Englands.</p><lb/> <p xml:id="ID_2419"> Vielleicht war eben die Stellung Goethes im praktischen Leben als Staats¬<lb/> mann in einem Kreise, der doch nicht ganz so unbedeutend war, wie man ge¬<lb/> wöhnlich annimmt, eine mitwirkende Ursache, daß er die Wissenschaft nicht allein<lb/> um der praktischen Erfolge willen, sondern in erster Linie als einen Weg zur<lb/> Erkenntnis der Wahrheit mit völliger Gleichgiltigkeit gegen praktische Erfolge<lb/> betrachtete. Als Staatsmann war er selbstverständlich auch nicht blind gegen<lb/> solche Erfolge, die sich aus der wissenschaftlichen Forschung ergaben — dafür<lb/> legt seine Verwaltung des Bergbaus bestimmtes Zeugnis ab; aber er hielt die<lb/> Prinzipien der Wissenschaft stets rein und hoch über den Interessen des prak¬<lb/> tischen Lebens. Wie das in der Farbenlehre sich geltend macht, darauf werden<lb/> wir später noch zurückkommen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2420" next="#ID_2421"> Vor dem Richterstuhle Virchows (Goethe als Naturforscher, 1861) be¬<lb/> steht der Dichter Goethe bedeutend besser als bei Helmholtz. Virchow, der<lb/> große Kenner organischer Formen, der selbst eine gewisse dichterische Erfindungs¬<lb/> gabe brauchte, um die Idee der organischen Einheit in der Zelle zu finden,<lb/> wurde durch Goethes Betrachtungsweise der organischen Natur sympathisch be¬<lb/> rührt. Er rühmt ihn als den „selbständigen Mitbegründer jener Methode,<lb/> welche man die genetische genannt hat, einer Methode, welche in ihrer An¬<lb/> wendung auf die Entwicklungsgeschichte schon vor ihm durch Caspar Friedrich<lb/> Wolf geübt worden war, welche jedoch durch Goethe eine ungeahnte Ausdehnung<lb/> und eine allgemeine Anerkennung erlangt hat, und welche schon durch ihn sogar<lb/> auf die Deutung pathologischer Dinge angewendet wurde." Auf die optischen<lb/> Studien ging Virchow nicht genauer ein, sondern verwies damit Goethe an<lb/> das Urteil von Helmholtz. Er selber aber brauchte die genetische Methode als</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0630]
Goethe und die Koryphäen der heutigen Naturwissenschaft,
Freilich hat schon kurze Zeit nachher Hobbes mit unerbittlicher Schärfe
nachgewiesen, daß diese Prinzipien, wenn man sie als die einzig echten Prin¬
zipien der Wissenschaft proklamirt, nicht stille stehen bleiben bei der Zerstörung
der Autorität der Griechen und der mittelalterlichen Scholaster, wie Bacon es
aus praktischen Gründen gewünscht hatte, sondern daß sie notwendig auch die
Autorität derjenigen Gesetze zerstören müssen, welche die Ordnung des Staates
und der Gesellschaft aufrechterhalten. Mit nnwidersprechlicher Konsequenz müssen
sie zu den Prinzipien der Revolution fortschreiten, und es bleibt für die Auf¬
rechterhaltung der menschlichen Gesellschaftsordnung kein andres Mittel, als daß
der Staat als allverschliugeuder Leviathan mit tyrannischer Gewalt und eiserner
Fuchtel die Freiheit einschränkt und unterdrückt. (Vergl. Kuno Fischers Baco
von Verulam.) Diese Anschauungen sind ohne Zweifel noch bis auf den heutigen
Tag für die Entwicklung der politischen Verhältnisse und Anschauungen in Eng¬
land maßgebend gewesen. Aus ihnen entspringt die Theorie von dem feindlichen
Gegensatz der Interessen der Negierung und der Gesellschaft, die sich so schwer
und hoffentlich garnicht bei uns einbürgern will, weil die Entwicklung Deutsch¬
lands einen ganz andern Gang genommen hat als die Englands.
Vielleicht war eben die Stellung Goethes im praktischen Leben als Staats¬
mann in einem Kreise, der doch nicht ganz so unbedeutend war, wie man ge¬
wöhnlich annimmt, eine mitwirkende Ursache, daß er die Wissenschaft nicht allein
um der praktischen Erfolge willen, sondern in erster Linie als einen Weg zur
Erkenntnis der Wahrheit mit völliger Gleichgiltigkeit gegen praktische Erfolge
betrachtete. Als Staatsmann war er selbstverständlich auch nicht blind gegen
solche Erfolge, die sich aus der wissenschaftlichen Forschung ergaben — dafür
legt seine Verwaltung des Bergbaus bestimmtes Zeugnis ab; aber er hielt die
Prinzipien der Wissenschaft stets rein und hoch über den Interessen des prak¬
tischen Lebens. Wie das in der Farbenlehre sich geltend macht, darauf werden
wir später noch zurückkommen.
Vor dem Richterstuhle Virchows (Goethe als Naturforscher, 1861) be¬
steht der Dichter Goethe bedeutend besser als bei Helmholtz. Virchow, der
große Kenner organischer Formen, der selbst eine gewisse dichterische Erfindungs¬
gabe brauchte, um die Idee der organischen Einheit in der Zelle zu finden,
wurde durch Goethes Betrachtungsweise der organischen Natur sympathisch be¬
rührt. Er rühmt ihn als den „selbständigen Mitbegründer jener Methode,
welche man die genetische genannt hat, einer Methode, welche in ihrer An¬
wendung auf die Entwicklungsgeschichte schon vor ihm durch Caspar Friedrich
Wolf geübt worden war, welche jedoch durch Goethe eine ungeahnte Ausdehnung
und eine allgemeine Anerkennung erlangt hat, und welche schon durch ihn sogar
auf die Deutung pathologischer Dinge angewendet wurde." Auf die optischen
Studien ging Virchow nicht genauer ein, sondern verwies damit Goethe an
das Urteil von Helmholtz. Er selber aber brauchte die genetische Methode als
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |