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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Der Entschädigungsanspruch wegen ungerechtfertigter Straf- und Untersuchungshaft.

dessen Schuld im Verlauf des Verfahrens nicht erwiesen werden konnte oder
dessen Unschuld später festgestellt wurde, in Untersuchungshaft genommen oder
zu Gefängnisstrafe verurteilt hat, ist rein juristisch nicht zu begreifen. Warum
soll es sich bei der widerrechtlichen Gefangenhaltung von feiten eines Richters
anders verhalten als bei irgend einem andern Delikt? Wenn ein Untersuchungs¬
richter sich vom Zorn hinreißen läßt, einem Beschuldigten einen Schlag ins
Gesicht versetzt und ihm dabei ein Auge ausschlägt, so ist er ganz gewiß schaden¬
ersatzpflichtig; aber wir zweifeln, ob die Herren Dr. Jaques und Genossen eine
Klage, sei es beim Zivil- oder beim Strafrichter, zulassen würden des Inhalts:
Der Staat hat mir durch seinen Beamten ein Auge ausgeschlagen, ich ver¬
lange von ihm Schadenersatz.

Man hat die Schadenersatzpflicht des Staates auch in der Art zu kon-
struiren versucht, daß man sie auf eine sogenannte oulxa in kli^knäo zurück¬
führte: der Staat sei haftbar, wenn und weil er einen ungeschickten Beamten
angestellt habe. Mit dieser Beweisführung kommt man aber um keinen Schritt
weiter: der "Staat" kann sich auch keiner Nachlässigkeit in Auswahl seiner Be¬
amten schuldig machen; es mag vorkommen, daß ein Minister seinem Landes¬
herrn einen unfähigen Bewerber zur Besetzung eines Amtes in Vorschlag bringt;
allein daraus würde sich höchstens eine Klage gegen den Minister ableiten lassen,
der die Ernennung des delinauirenden Beamten gegengezeichnet hat.

Nun sind wir keineswegs gemeint, die Sache hiermit für erledigt zu halten;
schon die Einmütigkeit, mit der der letzte Juristentag sich für die Haftpflicht des
Staates im Falle der Verurteilung eines Unschuldigen ausgesprochen hat, ist uns
ein Beweis, daß etwas geschehen muß, um die Frage zu erledigen und der, man
darf wohl sagen, allgemeinen Stimme gerecht zu werden, welche die Entschädigung
desjenigen fordert, der infolge irrigen Richterspruchs vielleicht jahrelang im Zucht¬
hause geschmachtet hat. Wenn nicht aus juristischen, so muß sich doch aus poli¬
tischen Gründen die Haftpflicht des Staates, wenigstens innerhalb gewisser
Grenzen, rechtfertigen lassen.

Soll eine Rechtspflicht des Staates zur Entschädigung wegen ungerecht¬
fertigter Freiheitsentziehung aufgestellt werden, so wird man sie immer nur
darauf gründen können, daß der Staat für die Fehler seiner Beamten einstehen
solle. Die allgemeine Frage, ob der Staat für Schäden und Nachteile, welche
die von ihm angestellten Beamten durch vorsätzliche oder kulpose Verletzung ihrer
Dienstpflichten einem Dritten zufügen, (unbedingt oder subsidiär) haften solle,
wurde vom Juristentag auch wiederholt erörtert. Allein die mit Mehrheit an¬
genommenen Resolutionen des sechsten und des neunten Juristentages kamen
nicht über die Formulirung des allgemeinen Prinzips hinaus, daß der Staat
sür Schäden und Nachteile, welche seine Beamten in der oben bezeichneten Weise
zufügen, direkt hasten solle. Namentlich sprechen sich die Resolutionen nicht
darüber aus, ob der Staat nur für grobe oder aber auch für leichte Fahr-


Der Entschädigungsanspruch wegen ungerechtfertigter Straf- und Untersuchungshaft.

dessen Schuld im Verlauf des Verfahrens nicht erwiesen werden konnte oder
dessen Unschuld später festgestellt wurde, in Untersuchungshaft genommen oder
zu Gefängnisstrafe verurteilt hat, ist rein juristisch nicht zu begreifen. Warum
soll es sich bei der widerrechtlichen Gefangenhaltung von feiten eines Richters
anders verhalten als bei irgend einem andern Delikt? Wenn ein Untersuchungs¬
richter sich vom Zorn hinreißen läßt, einem Beschuldigten einen Schlag ins
Gesicht versetzt und ihm dabei ein Auge ausschlägt, so ist er ganz gewiß schaden¬
ersatzpflichtig; aber wir zweifeln, ob die Herren Dr. Jaques und Genossen eine
Klage, sei es beim Zivil- oder beim Strafrichter, zulassen würden des Inhalts:
Der Staat hat mir durch seinen Beamten ein Auge ausgeschlagen, ich ver¬
lange von ihm Schadenersatz.

Man hat die Schadenersatzpflicht des Staates auch in der Art zu kon-
struiren versucht, daß man sie auf eine sogenannte oulxa in kli^knäo zurück¬
führte: der Staat sei haftbar, wenn und weil er einen ungeschickten Beamten
angestellt habe. Mit dieser Beweisführung kommt man aber um keinen Schritt
weiter: der „Staat" kann sich auch keiner Nachlässigkeit in Auswahl seiner Be¬
amten schuldig machen; es mag vorkommen, daß ein Minister seinem Landes¬
herrn einen unfähigen Bewerber zur Besetzung eines Amtes in Vorschlag bringt;
allein daraus würde sich höchstens eine Klage gegen den Minister ableiten lassen,
der die Ernennung des delinauirenden Beamten gegengezeichnet hat.

Nun sind wir keineswegs gemeint, die Sache hiermit für erledigt zu halten;
schon die Einmütigkeit, mit der der letzte Juristentag sich für die Haftpflicht des
Staates im Falle der Verurteilung eines Unschuldigen ausgesprochen hat, ist uns
ein Beweis, daß etwas geschehen muß, um die Frage zu erledigen und der, man
darf wohl sagen, allgemeinen Stimme gerecht zu werden, welche die Entschädigung
desjenigen fordert, der infolge irrigen Richterspruchs vielleicht jahrelang im Zucht¬
hause geschmachtet hat. Wenn nicht aus juristischen, so muß sich doch aus poli¬
tischen Gründen die Haftpflicht des Staates, wenigstens innerhalb gewisser
Grenzen, rechtfertigen lassen.

Soll eine Rechtspflicht des Staates zur Entschädigung wegen ungerecht¬
fertigter Freiheitsentziehung aufgestellt werden, so wird man sie immer nur
darauf gründen können, daß der Staat für die Fehler seiner Beamten einstehen
solle. Die allgemeine Frage, ob der Staat für Schäden und Nachteile, welche
die von ihm angestellten Beamten durch vorsätzliche oder kulpose Verletzung ihrer
Dienstpflichten einem Dritten zufügen, (unbedingt oder subsidiär) haften solle,
wurde vom Juristentag auch wiederholt erörtert. Allein die mit Mehrheit an¬
genommenen Resolutionen des sechsten und des neunten Juristentages kamen
nicht über die Formulirung des allgemeinen Prinzips hinaus, daß der Staat
sür Schäden und Nachteile, welche seine Beamten in der oben bezeichneten Weise
zufügen, direkt hasten solle. Namentlich sprechen sich die Resolutionen nicht
darüber aus, ob der Staat nur für grobe oder aber auch für leichte Fahr-


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[0616] Der Entschädigungsanspruch wegen ungerechtfertigter Straf- und Untersuchungshaft. dessen Schuld im Verlauf des Verfahrens nicht erwiesen werden konnte oder dessen Unschuld später festgestellt wurde, in Untersuchungshaft genommen oder zu Gefängnisstrafe verurteilt hat, ist rein juristisch nicht zu begreifen. Warum soll es sich bei der widerrechtlichen Gefangenhaltung von feiten eines Richters anders verhalten als bei irgend einem andern Delikt? Wenn ein Untersuchungs¬ richter sich vom Zorn hinreißen läßt, einem Beschuldigten einen Schlag ins Gesicht versetzt und ihm dabei ein Auge ausschlägt, so ist er ganz gewiß schaden¬ ersatzpflichtig; aber wir zweifeln, ob die Herren Dr. Jaques und Genossen eine Klage, sei es beim Zivil- oder beim Strafrichter, zulassen würden des Inhalts: Der Staat hat mir durch seinen Beamten ein Auge ausgeschlagen, ich ver¬ lange von ihm Schadenersatz. Man hat die Schadenersatzpflicht des Staates auch in der Art zu kon- struiren versucht, daß man sie auf eine sogenannte oulxa in kli^knäo zurück¬ führte: der Staat sei haftbar, wenn und weil er einen ungeschickten Beamten angestellt habe. Mit dieser Beweisführung kommt man aber um keinen Schritt weiter: der „Staat" kann sich auch keiner Nachlässigkeit in Auswahl seiner Be¬ amten schuldig machen; es mag vorkommen, daß ein Minister seinem Landes¬ herrn einen unfähigen Bewerber zur Besetzung eines Amtes in Vorschlag bringt; allein daraus würde sich höchstens eine Klage gegen den Minister ableiten lassen, der die Ernennung des delinauirenden Beamten gegengezeichnet hat. Nun sind wir keineswegs gemeint, die Sache hiermit für erledigt zu halten; schon die Einmütigkeit, mit der der letzte Juristentag sich für die Haftpflicht des Staates im Falle der Verurteilung eines Unschuldigen ausgesprochen hat, ist uns ein Beweis, daß etwas geschehen muß, um die Frage zu erledigen und der, man darf wohl sagen, allgemeinen Stimme gerecht zu werden, welche die Entschädigung desjenigen fordert, der infolge irrigen Richterspruchs vielleicht jahrelang im Zucht¬ hause geschmachtet hat. Wenn nicht aus juristischen, so muß sich doch aus poli¬ tischen Gründen die Haftpflicht des Staates, wenigstens innerhalb gewisser Grenzen, rechtfertigen lassen. Soll eine Rechtspflicht des Staates zur Entschädigung wegen ungerecht¬ fertigter Freiheitsentziehung aufgestellt werden, so wird man sie immer nur darauf gründen können, daß der Staat für die Fehler seiner Beamten einstehen solle. Die allgemeine Frage, ob der Staat für Schäden und Nachteile, welche die von ihm angestellten Beamten durch vorsätzliche oder kulpose Verletzung ihrer Dienstpflichten einem Dritten zufügen, (unbedingt oder subsidiär) haften solle, wurde vom Juristentag auch wiederholt erörtert. Allein die mit Mehrheit an¬ genommenen Resolutionen des sechsten und des neunten Juristentages kamen nicht über die Formulirung des allgemeinen Prinzips hinaus, daß der Staat sür Schäden und Nachteile, welche seine Beamten in der oben bezeichneten Weise zufügen, direkt hasten solle. Namentlich sprechen sich die Resolutionen nicht darüber aus, ob der Staat nur für grobe oder aber auch für leichte Fahr-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/616>, abgerufen am 23.07.2024.