Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.Der Entschädigungsanspruch wegen ungerechtfertigter Straf- und Untersuchungshaft. Der Juristentag hat sich nicht weniger als viermal mit unsrer Frage (oder Dem zwölften Juristentage wurde die Frage mit einer kleinen Änderung Mit der Frage der Entschädigung des Verurteilten, der nachträglich freige¬ Schon das Schicksal der beiden Fragen deutet darauf hin, daß die Be¬ Der Entschädigungsanspruch wegen ungerechtfertigter Straf- und Untersuchungshaft. Der Juristentag hat sich nicht weniger als viermal mit unsrer Frage (oder Dem zwölften Juristentage wurde die Frage mit einer kleinen Änderung Mit der Frage der Entschädigung des Verurteilten, der nachträglich freige¬ Schon das Schicksal der beiden Fragen deutet darauf hin, daß die Be¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0614" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/152538"/> <fw type="header" place="top"> Der Entschädigungsanspruch wegen ungerechtfertigter Straf- und Untersuchungshaft.</fw><lb/> <p xml:id="ID_2367"> Der Juristentag hat sich nicht weniger als viermal mit unsrer Frage (oder<lb/> unsern beideu Fragen) beschäftigt. Dem elfte» Juristentage lag die Frage vor:<lb/> „Soll im Falle der Freisprechung für die Untersuchungshaft eine Entschädigung<lb/> gewährt werden?" Nach langer Erörterung hatte schließlich die Versammlung<lb/> über nicht weniger als fünf verschiedne Anträge abzustimmen; alle fünf, sowohl<lb/> die die Frage mehr oder weniger bejahenden, als auch der sie verneinende,<lb/> wurden abgelehnt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2368"> Dem zwölften Juristentage wurde die Frage mit einer kleinen Änderung<lb/> gestellt: „Soll im Falle der Freisprechung (oder der Nichterhebung der An¬<lb/> klage) für die Untersuchungshaft eine Entschädigung gewährt werden?" Aber<lb/> auch diesmal vermochte keiner der für und wider gestellten Anträge eine Mehr¬<lb/> heit zu erzielen, die Frage kam in derselben Fassung, wie auf dem zwölften,<lb/> vor den dreizehnten Juristentag, und dieser machte sich endlich schlüssig. Nach¬<lb/> dem nämlich ein Antrag dahin: „Der Staat hat für die unverschuldet erlittene<lb/> Untersuchungshaft Entschädigung zu gewähren" mit kleiner Majorität abgelehnt<lb/> worden war, sprach sich eine „ganz überwiegende Majorität" für folgende Ant¬<lb/> wort auf die gestellte Frage aus: „Im Falle der Freisprechung oder der<lb/> Zurückziehung der Anklage ist für die erlittene Untersuchungshaft eine ange¬<lb/> messene Entschädigung zu leisten, es sei denn, daß der Angeklagte durch sein<lb/> Verschulden während des Verfahrens die Untersuchungshaft oder die Verlänge¬<lb/> rung derselben verursacht hat." In der Fragestellung wie in der Antwort ist,<lb/> wie die Verhandlungen ergeben, immer vorausgesetzt, daß die Entschädigung vom<lb/> Staat zu gewähren sei.</p><lb/> <p xml:id="ID_2369"> Mit der Frage der Entschädigung des Verurteilten, der nachträglich freige¬<lb/> sprochen wird, befaßte sich der sechzehnte Juristentag, der — zwar unter sehr von<lb/> einander abweichenden Vvtirungen der Redner, aber doch einstimmig oder nahezu<lb/> einstimmig — sich dahin aussprach: „Ist infolge einer Wiederaufnahme des Ver¬<lb/> fahrens zu Gunsten des Verurteilten auf Freisprechung desselben oder in An¬<lb/> wendung eines mildern Strafgesetzes auf eine geringere als die verbüßte Strafe<lb/> erkannt worden, so ist derselbe berechtigt, aus der Staatskasse eine Genug¬<lb/> thuung für die gänzlich oder teilweise verbüßte Strafe, sowie den Ersatz der<lb/> infolge.der Strafverbüßung entstandenen vermögensrechtlicheii Nachteile zu ver¬<lb/> langen. Der Anspruch entfällt fsoll heißen: fällt weg), wenn der Verurteilte<lb/> durch sein Verhalten während des Verfahrens die Verurteilung vorsätzlich oder<lb/> fahrlässig herbeigeführt hat."</p><lb/> <p xml:id="ID_2370" next="#ID_2371"> Schon das Schicksal der beiden Fragen deutet darauf hin, daß die Be¬<lb/> antwortung der einen Frage viel mehr Bedenken hat als die der andern: über<lb/> die Frage der Untersuchungshaft wurde erst bei der dritten Beratung des Ju¬<lb/> ristentages, und zwar unter sehr schwacher Beteiligung (es stimmten nur 52 Mit¬<lb/> glieder ab), ein positiver Beschluß erzielt; über die Frage der Strafhalt herrschte<lb/> schon bei der ersten Beratung nahezu Einstimmigkeit, nur bezüglich der zu Sta-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0614]
Der Entschädigungsanspruch wegen ungerechtfertigter Straf- und Untersuchungshaft.
Der Juristentag hat sich nicht weniger als viermal mit unsrer Frage (oder
unsern beideu Fragen) beschäftigt. Dem elfte» Juristentage lag die Frage vor:
„Soll im Falle der Freisprechung für die Untersuchungshaft eine Entschädigung
gewährt werden?" Nach langer Erörterung hatte schließlich die Versammlung
über nicht weniger als fünf verschiedne Anträge abzustimmen; alle fünf, sowohl
die die Frage mehr oder weniger bejahenden, als auch der sie verneinende,
wurden abgelehnt.
Dem zwölften Juristentage wurde die Frage mit einer kleinen Änderung
gestellt: „Soll im Falle der Freisprechung (oder der Nichterhebung der An¬
klage) für die Untersuchungshaft eine Entschädigung gewährt werden?" Aber
auch diesmal vermochte keiner der für und wider gestellten Anträge eine Mehr¬
heit zu erzielen, die Frage kam in derselben Fassung, wie auf dem zwölften,
vor den dreizehnten Juristentag, und dieser machte sich endlich schlüssig. Nach¬
dem nämlich ein Antrag dahin: „Der Staat hat für die unverschuldet erlittene
Untersuchungshaft Entschädigung zu gewähren" mit kleiner Majorität abgelehnt
worden war, sprach sich eine „ganz überwiegende Majorität" für folgende Ant¬
wort auf die gestellte Frage aus: „Im Falle der Freisprechung oder der
Zurückziehung der Anklage ist für die erlittene Untersuchungshaft eine ange¬
messene Entschädigung zu leisten, es sei denn, daß der Angeklagte durch sein
Verschulden während des Verfahrens die Untersuchungshaft oder die Verlänge¬
rung derselben verursacht hat." In der Fragestellung wie in der Antwort ist,
wie die Verhandlungen ergeben, immer vorausgesetzt, daß die Entschädigung vom
Staat zu gewähren sei.
Mit der Frage der Entschädigung des Verurteilten, der nachträglich freige¬
sprochen wird, befaßte sich der sechzehnte Juristentag, der — zwar unter sehr von
einander abweichenden Vvtirungen der Redner, aber doch einstimmig oder nahezu
einstimmig — sich dahin aussprach: „Ist infolge einer Wiederaufnahme des Ver¬
fahrens zu Gunsten des Verurteilten auf Freisprechung desselben oder in An¬
wendung eines mildern Strafgesetzes auf eine geringere als die verbüßte Strafe
erkannt worden, so ist derselbe berechtigt, aus der Staatskasse eine Genug¬
thuung für die gänzlich oder teilweise verbüßte Strafe, sowie den Ersatz der
infolge.der Strafverbüßung entstandenen vermögensrechtlicheii Nachteile zu ver¬
langen. Der Anspruch entfällt fsoll heißen: fällt weg), wenn der Verurteilte
durch sein Verhalten während des Verfahrens die Verurteilung vorsätzlich oder
fahrlässig herbeigeführt hat."
Schon das Schicksal der beiden Fragen deutet darauf hin, daß die Be¬
antwortung der einen Frage viel mehr Bedenken hat als die der andern: über
die Frage der Untersuchungshaft wurde erst bei der dritten Beratung des Ju¬
ristentages, und zwar unter sehr schwacher Beteiligung (es stimmten nur 52 Mit¬
glieder ab), ein positiver Beschluß erzielt; über die Frage der Strafhalt herrschte
schon bei der ersten Beratung nahezu Einstimmigkeit, nur bezüglich der zu Sta-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |