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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

Aber nein! Wenn sie an eine Äußerung ihres verstorbenen Gemahls zurück¬
dachte, die dieser vor unendlicher Zeit einmal im Zorne gethan hatte, die ihr
aber unvergeßlich geblieben war, so konnte sie sich einer solchen Hoffnung nicht
hingeben, Sie sah jenen Augenblick noch lebhaft vor sich, wo sie in einer Szene
ehelichen Zwistes ihm sein Verhältnis zu Marie Eschenburg vorgeworfen und
in Hinsicht auf diese und deren Sohn Ausdrücke gebraucht hatte, die bestimmt
waren, ihren Gemahl zu kränken und jene zu beschimpfen. Wenn es wirklich
jemanden giebt, hatte er in äußerster Aufregung geäußert, auf den die Namen
passen, die du gebrauchst, so ist es niemand anders als du selbst und deine
Brut! Jener aber gebührt dein Titel und und unser Vermögen! Mancher
Tag und manche Nacht war seit jener Minute verflossen, aber diese Worte und
der Blick des Grafen waren noch so hörbar und so sichtbar für sie, als seien
sie erst gestern auf sie gefallen. Sie hatte sie niemals verziehen, und sie
konnte nie mehr ohne Furcht an jene beiden denken, die sie immer gehaßt
hatte. Nimmermehr wollte sie die Hand zur Versöhnung bieten.

Sie blickte seitwärts nach ihrem Sohne hin, der besonders im Profil mit
dem schwach entwickelten Kinn und den üppigen Lippen soviel Ähnlichkeit mit
seinem Vater hatte, und sie sah wieder jenen Verstorbenen vor sich, den sie
wohl oft zu beherrschen geglaubt hatte in seiner weiche" Nachgiebigkeit, der
aber immer wieder in unberechenbarem Aufflammen einer neuen Idee ihr Joch
abgeschüttelt und sich gefürchtet gemacht hatte. Jener sonderbare Charakter mit
seiner Liebe zum Schönen, seiner feinen Klugheit, seiner maßlosen Leidenschaft¬
lichkeit und seinem Mangel an Beharrlichkeit schien ihr nur zu sehr auf den
Sohn vererbt zu sein. Sie preßte die Lippe" verächtlich zusammen, wenn sie
bedachte, was dieser Sohn ihr jetzt sein könnte, wenn er so wäre wie sie selber,
entschlossen, zuverlässig und thatkräftig. Aber so, wie er war, konnte sie nicht
daran denken, ihn zum Genossen ihrer Gedanken zu machen. Sie mußte allem
denken und allein handeln, und ihre Liebe zu ihrem Sohne mußte, obwohl er
jetzt ein Mann war, noch immer jene beschützende Liebe sein, die sie dem Kinde
gewidmet hatte. Sie mußte deu bevorstehenden Kampf für ihn und für sich
selbst aufnehme".

Aber wie? Was sollte sie thu"? Sollte sie warte", bis sie angegriffen
wurde? Für Gräfin Sibyllenü nervöses Temperament paßte das Warten nicht.
Sie wollte dein Angriff zuvorkommen. Sie wollte in der sichern Erwartung,
daß sie einer Anfechtung ihrer Stellung n"d ihres Besitzes entgegengehe, die
erste auf dem Kampfplatze sein.

Sie war ungeduldig, wieder nach Hause zu kommen, als ob sie dort Rat
finden würde, was zu thun sei. Der Wagen schien ihr gleich einer Schnecke
vorwärts zu kriechen, und sie rief dein Kutscher nach langer Stille so plötzlich
ein antreibendes Wort zu, daß sowohl Dietrich wie Fräulein Glock, die sich in
stiller Zufriedenheit einander heimlich ansahen, überrascht und erschrocken zu¬
sammenführen.


Die Grafen von Altenschwerdt.

Aber nein! Wenn sie an eine Äußerung ihres verstorbenen Gemahls zurück¬
dachte, die dieser vor unendlicher Zeit einmal im Zorne gethan hatte, die ihr
aber unvergeßlich geblieben war, so konnte sie sich einer solchen Hoffnung nicht
hingeben, Sie sah jenen Augenblick noch lebhaft vor sich, wo sie in einer Szene
ehelichen Zwistes ihm sein Verhältnis zu Marie Eschenburg vorgeworfen und
in Hinsicht auf diese und deren Sohn Ausdrücke gebraucht hatte, die bestimmt
waren, ihren Gemahl zu kränken und jene zu beschimpfen. Wenn es wirklich
jemanden giebt, hatte er in äußerster Aufregung geäußert, auf den die Namen
passen, die du gebrauchst, so ist es niemand anders als du selbst und deine
Brut! Jener aber gebührt dein Titel und und unser Vermögen! Mancher
Tag und manche Nacht war seit jener Minute verflossen, aber diese Worte und
der Blick des Grafen waren noch so hörbar und so sichtbar für sie, als seien
sie erst gestern auf sie gefallen. Sie hatte sie niemals verziehen, und sie
konnte nie mehr ohne Furcht an jene beiden denken, die sie immer gehaßt
hatte. Nimmermehr wollte sie die Hand zur Versöhnung bieten.

Sie blickte seitwärts nach ihrem Sohne hin, der besonders im Profil mit
dem schwach entwickelten Kinn und den üppigen Lippen soviel Ähnlichkeit mit
seinem Vater hatte, und sie sah wieder jenen Verstorbenen vor sich, den sie
wohl oft zu beherrschen geglaubt hatte in seiner weiche» Nachgiebigkeit, der
aber immer wieder in unberechenbarem Aufflammen einer neuen Idee ihr Joch
abgeschüttelt und sich gefürchtet gemacht hatte. Jener sonderbare Charakter mit
seiner Liebe zum Schönen, seiner feinen Klugheit, seiner maßlosen Leidenschaft¬
lichkeit und seinem Mangel an Beharrlichkeit schien ihr nur zu sehr auf den
Sohn vererbt zu sein. Sie preßte die Lippe» verächtlich zusammen, wenn sie
bedachte, was dieser Sohn ihr jetzt sein könnte, wenn er so wäre wie sie selber,
entschlossen, zuverlässig und thatkräftig. Aber so, wie er war, konnte sie nicht
daran denken, ihn zum Genossen ihrer Gedanken zu machen. Sie mußte allem
denken und allein handeln, und ihre Liebe zu ihrem Sohne mußte, obwohl er
jetzt ein Mann war, noch immer jene beschützende Liebe sein, die sie dem Kinde
gewidmet hatte. Sie mußte deu bevorstehenden Kampf für ihn und für sich
selbst aufnehme».

Aber wie? Was sollte sie thu»? Sollte sie warte», bis sie angegriffen
wurde? Für Gräfin Sibyllenü nervöses Temperament paßte das Warten nicht.
Sie wollte dein Angriff zuvorkommen. Sie wollte in der sichern Erwartung,
daß sie einer Anfechtung ihrer Stellung n»d ihres Besitzes entgegengehe, die
erste auf dem Kampfplatze sein.

Sie war ungeduldig, wieder nach Hause zu kommen, als ob sie dort Rat
finden würde, was zu thun sei. Der Wagen schien ihr gleich einer Schnecke
vorwärts zu kriechen, und sie rief dein Kutscher nach langer Stille so plötzlich
ein antreibendes Wort zu, daß sowohl Dietrich wie Fräulein Glock, die sich in
stiller Zufriedenheit einander heimlich ansahen, überrascht und erschrocken zu¬
sammenführen.


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[0598] Die Grafen von Altenschwerdt. Aber nein! Wenn sie an eine Äußerung ihres verstorbenen Gemahls zurück¬ dachte, die dieser vor unendlicher Zeit einmal im Zorne gethan hatte, die ihr aber unvergeßlich geblieben war, so konnte sie sich einer solchen Hoffnung nicht hingeben, Sie sah jenen Augenblick noch lebhaft vor sich, wo sie in einer Szene ehelichen Zwistes ihm sein Verhältnis zu Marie Eschenburg vorgeworfen und in Hinsicht auf diese und deren Sohn Ausdrücke gebraucht hatte, die bestimmt waren, ihren Gemahl zu kränken und jene zu beschimpfen. Wenn es wirklich jemanden giebt, hatte er in äußerster Aufregung geäußert, auf den die Namen passen, die du gebrauchst, so ist es niemand anders als du selbst und deine Brut! Jener aber gebührt dein Titel und und unser Vermögen! Mancher Tag und manche Nacht war seit jener Minute verflossen, aber diese Worte und der Blick des Grafen waren noch so hörbar und so sichtbar für sie, als seien sie erst gestern auf sie gefallen. Sie hatte sie niemals verziehen, und sie konnte nie mehr ohne Furcht an jene beiden denken, die sie immer gehaßt hatte. Nimmermehr wollte sie die Hand zur Versöhnung bieten. Sie blickte seitwärts nach ihrem Sohne hin, der besonders im Profil mit dem schwach entwickelten Kinn und den üppigen Lippen soviel Ähnlichkeit mit seinem Vater hatte, und sie sah wieder jenen Verstorbenen vor sich, den sie wohl oft zu beherrschen geglaubt hatte in seiner weiche» Nachgiebigkeit, der aber immer wieder in unberechenbarem Aufflammen einer neuen Idee ihr Joch abgeschüttelt und sich gefürchtet gemacht hatte. Jener sonderbare Charakter mit seiner Liebe zum Schönen, seiner feinen Klugheit, seiner maßlosen Leidenschaft¬ lichkeit und seinem Mangel an Beharrlichkeit schien ihr nur zu sehr auf den Sohn vererbt zu sein. Sie preßte die Lippe» verächtlich zusammen, wenn sie bedachte, was dieser Sohn ihr jetzt sein könnte, wenn er so wäre wie sie selber, entschlossen, zuverlässig und thatkräftig. Aber so, wie er war, konnte sie nicht daran denken, ihn zum Genossen ihrer Gedanken zu machen. Sie mußte allem denken und allein handeln, und ihre Liebe zu ihrem Sohne mußte, obwohl er jetzt ein Mann war, noch immer jene beschützende Liebe sein, die sie dem Kinde gewidmet hatte. Sie mußte deu bevorstehenden Kampf für ihn und für sich selbst aufnehme». Aber wie? Was sollte sie thu»? Sollte sie warte», bis sie angegriffen wurde? Für Gräfin Sibyllenü nervöses Temperament paßte das Warten nicht. Sie wollte dein Angriff zuvorkommen. Sie wollte in der sichern Erwartung, daß sie einer Anfechtung ihrer Stellung n»d ihres Besitzes entgegengehe, die erste auf dem Kampfplatze sein. Sie war ungeduldig, wieder nach Hause zu kommen, als ob sie dort Rat finden würde, was zu thun sei. Der Wagen schien ihr gleich einer Schnecke vorwärts zu kriechen, und sie rief dein Kutscher nach langer Stille so plötzlich ein antreibendes Wort zu, daß sowohl Dietrich wie Fräulein Glock, die sich in stiller Zufriedenheit einander heimlich ansahen, überrascht und erschrocken zu¬ sammenführen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/598>, abgerufen am 03.07.2024.