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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt,

Dort UM die Ecke herum liegt Fischbeck, sagte diese geschäftige Dame,
während sie eine Kanne mit Theeblättern, Kohlenbecken und Wasserkessel, sowie
rosigen Schinken, goldgelbe Butter und grobes und weißes Brot auf dem frisch-
weißen Tischtuch zurechtstellte. Wenn Sie um die Felsen herumfahren -- und
ein hübsches Boot dazu steht Ihnen jederzeit für mäßigen Preis zu Diensten --,
dann sehen Sie das berühmte Bad schon liegen. Es ist kaum anderthalb
Stunden von hier zu fahren bei gutem Wind. Es ist schrecklich, wie die Zeiten
sich ändern, und der Schwindel nimmt immer mehr zu. Es soll alles fein und
modern sein, und die Solidität geht ganz verloren. Ich frage, was hat denn
ein Kurgast dort, wenn er einen halben Thaler ohne Wein an der Table d'böte
bezahlen muß und bekommt ein Stückchen mageres Kuhfleisch und eine Suppe
so dünn wie Spülwasser und nachher ein süßes Gemenge, das sie Mehlspeise
nennen, das ich aber meinen Gästen nicht vorsetzen möchte. Nein, das ist bei
mir anders gewesen und ist auch jetzt noch anders und soll, so Gott will,
immer anders bleiben. Hier giebts keine Prellerei, und was bei mir aus Küche
und Keller kommt, das ist solid, und die Herren, die bei mir gewesen sind, die
könnens bezeugen.

Der Fremde antwortete nichts ans diese Reden, welche die Frau Zeysing
zum Lobe des frischen Herings und zur Schande des Badeorts Fischbeck zum
besten gab, nickte ihr aber mit einem freundlichen Lächeln zu, als sie sich zum
Gehen anschickte, bereitete sich den Thee, verzehrte sein Abendbrot, zog dann
eine Pfeife aus der Brusttasche seiner Bluse hervor, zündete sie an und rauchte,
den Blick dem Meere zugewandt, langsam und bedächtig, bis die Sonne völlig
untergegangen war und Finsternis sich über Land und Meer zu verbreiten
anfing. Mit einem Seufzer betrachtete er die erbleichende" Tinten der vorher
so glänzenden Landschaft, wie sie allmählich ihren leuchtenden Schimmer in
blasse, blaue Schleier hüllte und sich mit einförmigen Grau überzog. So ist
das Menschenleben, sagte er sich, wenn Jugendhoffnung und stolzer Ehrgeiz
daraus entschwunden sind. So bleich sind seine Farben, so eintönig das Grau,
welches alle kommenden Tage bedeckt. Ich habe genug von der Welt und
von der Kunst gelernt, um nun endlich einzusehen, daß ich nie ein wahrer
Künstler werden kann. Die Leute loben meine Bilder, kaufen sogar eins und
das andre, aber es ist jenes karge Lob und karge Geld, welche die Enttäuschung
eines Mannes bilden, der in seiner Kindheit ein Rubens und van Dhck zu sein
dachte. So ziehe ich um von Deutschland nach Italien, und von Italien
wieder nach Deutschland, von der See zu den Bergen und von den Bergen
zurück zur See. Aber es liegt nicht an den Studien. Die Natur um mich
herum thut schon ihre Schuldigkeit, wenn nur die Natur in mir es auch thäte.
Aber es fehlt, wie mir scheint, in meiner Mischung das Körnchen holden Wahn¬
sinns, welches, wie der Dichter behauptet, zum Genie gehört. Über das andre will
ich mich nicht grämen, obwohl es nicht schön ist, hier zu entsagen und dort auch.


Die Grafen von Altenschwerdt,

Dort UM die Ecke herum liegt Fischbeck, sagte diese geschäftige Dame,
während sie eine Kanne mit Theeblättern, Kohlenbecken und Wasserkessel, sowie
rosigen Schinken, goldgelbe Butter und grobes und weißes Brot auf dem frisch-
weißen Tischtuch zurechtstellte. Wenn Sie um die Felsen herumfahren — und
ein hübsches Boot dazu steht Ihnen jederzeit für mäßigen Preis zu Diensten —,
dann sehen Sie das berühmte Bad schon liegen. Es ist kaum anderthalb
Stunden von hier zu fahren bei gutem Wind. Es ist schrecklich, wie die Zeiten
sich ändern, und der Schwindel nimmt immer mehr zu. Es soll alles fein und
modern sein, und die Solidität geht ganz verloren. Ich frage, was hat denn
ein Kurgast dort, wenn er einen halben Thaler ohne Wein an der Table d'böte
bezahlen muß und bekommt ein Stückchen mageres Kuhfleisch und eine Suppe
so dünn wie Spülwasser und nachher ein süßes Gemenge, das sie Mehlspeise
nennen, das ich aber meinen Gästen nicht vorsetzen möchte. Nein, das ist bei
mir anders gewesen und ist auch jetzt noch anders und soll, so Gott will,
immer anders bleiben. Hier giebts keine Prellerei, und was bei mir aus Küche
und Keller kommt, das ist solid, und die Herren, die bei mir gewesen sind, die
könnens bezeugen.

Der Fremde antwortete nichts ans diese Reden, welche die Frau Zeysing
zum Lobe des frischen Herings und zur Schande des Badeorts Fischbeck zum
besten gab, nickte ihr aber mit einem freundlichen Lächeln zu, als sie sich zum
Gehen anschickte, bereitete sich den Thee, verzehrte sein Abendbrot, zog dann
eine Pfeife aus der Brusttasche seiner Bluse hervor, zündete sie an und rauchte,
den Blick dem Meere zugewandt, langsam und bedächtig, bis die Sonne völlig
untergegangen war und Finsternis sich über Land und Meer zu verbreiten
anfing. Mit einem Seufzer betrachtete er die erbleichende» Tinten der vorher
so glänzenden Landschaft, wie sie allmählich ihren leuchtenden Schimmer in
blasse, blaue Schleier hüllte und sich mit einförmigen Grau überzog. So ist
das Menschenleben, sagte er sich, wenn Jugendhoffnung und stolzer Ehrgeiz
daraus entschwunden sind. So bleich sind seine Farben, so eintönig das Grau,
welches alle kommenden Tage bedeckt. Ich habe genug von der Welt und
von der Kunst gelernt, um nun endlich einzusehen, daß ich nie ein wahrer
Künstler werden kann. Die Leute loben meine Bilder, kaufen sogar eins und
das andre, aber es ist jenes karge Lob und karge Geld, welche die Enttäuschung
eines Mannes bilden, der in seiner Kindheit ein Rubens und van Dhck zu sein
dachte. So ziehe ich um von Deutschland nach Italien, und von Italien
wieder nach Deutschland, von der See zu den Bergen und von den Bergen
zurück zur See. Aber es liegt nicht an den Studien. Die Natur um mich
herum thut schon ihre Schuldigkeit, wenn nur die Natur in mir es auch thäte.
Aber es fehlt, wie mir scheint, in meiner Mischung das Körnchen holden Wahn¬
sinns, welches, wie der Dichter behauptet, zum Genie gehört. Über das andre will
ich mich nicht grämen, obwohl es nicht schön ist, hier zu entsagen und dort auch.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/59>, abgerufen am 25.08.2024.