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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt,

Schneiders hätte bilden können. Aber es giebt Figuren von angeborner Vor¬
nehmheit der Bildung, sodaß ein simpler Anzug dadurch gleichsam veredelt und
gehoben wird. Die kluge Wirtin zum frischen Hering hatte genug Blick, um
dieses Ungeborne in dem fremden Maler zu entdecken, und sie dachte bei sich,
daß auch ein Prinz nicht schöner aussehen könne als dieser schlanke Fremde
mit der ruhigen Haltung, den großen, dunkelblauen Augen und dem feinen,
blonden Bart.

Meine gute Frau, sagte er endlich, vom Fenster zurücktretend, auf ihre
Anfragen wegen des Abendessens, ich sehe dort unten eine Bank unter dem
Lindenbaum, dorthin könnten Sie mir Thee bringen, der hier gewiß vorzüglich
sein wird.

Die Bank unter dem Lindenbaum, auf welcher sich der Fremde niederließ,
war in der That so gelegen, daß der Blick eines Malers dort entzückt werden
mußte. Das Land senkte sich sanft zum Meere ab, und ein weites Gebiet des
bewegten Elementes dehnte sich dort unten aus. Die Sonne war im Herab¬
steigen, und ihre Strahlen, durch Wolkenschleier gebrochen und in feinen Duft
gehüllt, färbten und erleuchteten den blanken Wasserspiegel in den verschiedensten
Tönen von Blau, Grün und Gold. Weiße Linien, durch die Kämme der Wogen
gezeichnet, zogen sich dazwischen und teilten das Meer gleichsam in Felder ab,
wie die Felder auf den Ebenen des Landes abgeteilt sind, nur in weit größerem
Maßstabe, in durchsichtigerem Farben und von einem flimmernden Glanz Über¬
gossen. Das dumpfe, regelmäßige Brausen, diese entzückende, beruhigende Stimme
des Meeres, die auf kein empfängliches Gemüt ihren großartigen Eindruck zu
üben verfehlt, drang zu dem Platz unter dem Baume empor und begleitete mit
seinem mächtigen Baß das Lispeln der Blätter, die der Abendwind bewegte.
Einzelne Segel, schneeweiß gleich Möven über der glitzernden Fläche schwebend,
verfolgten ihren stillen Pfad und zogen den Blick des Fremden mit sich, der,
d°en Kopf auf die Hand gestützt, sich dem Reize dieses Bildes hingab. Seitwärts
zur Rechten trat der dunkle Wald bis an das Wasser heran, und zur Linken
lag das freundliche Dorf, tiefer liegend als der Gasthof, eingebettet in grüne
Wiesen und Baumgruppen mit roten Ziegeldächern und behaglich wehenden
blauen Rauchfähnchen, die vor dein frischen Seewinde landeinwärts zogen.
schroff ansteigende, in der Abendsonne rötlich schimmernde Felsen von bizarrer
Form erhoben sich zwischen dem Dorfe und dem Meere zu beträchtlicher Höhe
und bildeten einen natürlichen Damm gegen hohe Wasserfluten, während sie zu¬
gleich mit ihren ragenden Spitzen und kahlen Flächen ein weithin sichtbares
Wahrzeichen der Gegend waren. Auf manchem Gemälde, das sich auf Reisen
durch die Ausstellungen Deutschlands befand, sind sie unter dieser oder jener
veränderten Form und Gruppirung zu erblicken gewesen, verewigt von den
Händen jener Künstler, -die zur lustigen Zeit des frischen Herings bei der Frau
Zeysing logirt hatten.


Die Grafen von Altenschwerdt,

Schneiders hätte bilden können. Aber es giebt Figuren von angeborner Vor¬
nehmheit der Bildung, sodaß ein simpler Anzug dadurch gleichsam veredelt und
gehoben wird. Die kluge Wirtin zum frischen Hering hatte genug Blick, um
dieses Ungeborne in dem fremden Maler zu entdecken, und sie dachte bei sich,
daß auch ein Prinz nicht schöner aussehen könne als dieser schlanke Fremde
mit der ruhigen Haltung, den großen, dunkelblauen Augen und dem feinen,
blonden Bart.

Meine gute Frau, sagte er endlich, vom Fenster zurücktretend, auf ihre
Anfragen wegen des Abendessens, ich sehe dort unten eine Bank unter dem
Lindenbaum, dorthin könnten Sie mir Thee bringen, der hier gewiß vorzüglich
sein wird.

Die Bank unter dem Lindenbaum, auf welcher sich der Fremde niederließ,
war in der That so gelegen, daß der Blick eines Malers dort entzückt werden
mußte. Das Land senkte sich sanft zum Meere ab, und ein weites Gebiet des
bewegten Elementes dehnte sich dort unten aus. Die Sonne war im Herab¬
steigen, und ihre Strahlen, durch Wolkenschleier gebrochen und in feinen Duft
gehüllt, färbten und erleuchteten den blanken Wasserspiegel in den verschiedensten
Tönen von Blau, Grün und Gold. Weiße Linien, durch die Kämme der Wogen
gezeichnet, zogen sich dazwischen und teilten das Meer gleichsam in Felder ab,
wie die Felder auf den Ebenen des Landes abgeteilt sind, nur in weit größerem
Maßstabe, in durchsichtigerem Farben und von einem flimmernden Glanz Über¬
gossen. Das dumpfe, regelmäßige Brausen, diese entzückende, beruhigende Stimme
des Meeres, die auf kein empfängliches Gemüt ihren großartigen Eindruck zu
üben verfehlt, drang zu dem Platz unter dem Baume empor und begleitete mit
seinem mächtigen Baß das Lispeln der Blätter, die der Abendwind bewegte.
Einzelne Segel, schneeweiß gleich Möven über der glitzernden Fläche schwebend,
verfolgten ihren stillen Pfad und zogen den Blick des Fremden mit sich, der,
d°en Kopf auf die Hand gestützt, sich dem Reize dieses Bildes hingab. Seitwärts
zur Rechten trat der dunkle Wald bis an das Wasser heran, und zur Linken
lag das freundliche Dorf, tiefer liegend als der Gasthof, eingebettet in grüne
Wiesen und Baumgruppen mit roten Ziegeldächern und behaglich wehenden
blauen Rauchfähnchen, die vor dein frischen Seewinde landeinwärts zogen.
schroff ansteigende, in der Abendsonne rötlich schimmernde Felsen von bizarrer
Form erhoben sich zwischen dem Dorfe und dem Meere zu beträchtlicher Höhe
und bildeten einen natürlichen Damm gegen hohe Wasserfluten, während sie zu¬
gleich mit ihren ragenden Spitzen und kahlen Flächen ein weithin sichtbares
Wahrzeichen der Gegend waren. Auf manchem Gemälde, das sich auf Reisen
durch die Ausstellungen Deutschlands befand, sind sie unter dieser oder jener
veränderten Form und Gruppirung zu erblicken gewesen, verewigt von den
Händen jener Künstler, -die zur lustigen Zeit des frischen Herings bei der Frau
Zeysing logirt hatten.


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[0058] Die Grafen von Altenschwerdt, Schneiders hätte bilden können. Aber es giebt Figuren von angeborner Vor¬ nehmheit der Bildung, sodaß ein simpler Anzug dadurch gleichsam veredelt und gehoben wird. Die kluge Wirtin zum frischen Hering hatte genug Blick, um dieses Ungeborne in dem fremden Maler zu entdecken, und sie dachte bei sich, daß auch ein Prinz nicht schöner aussehen könne als dieser schlanke Fremde mit der ruhigen Haltung, den großen, dunkelblauen Augen und dem feinen, blonden Bart. Meine gute Frau, sagte er endlich, vom Fenster zurücktretend, auf ihre Anfragen wegen des Abendessens, ich sehe dort unten eine Bank unter dem Lindenbaum, dorthin könnten Sie mir Thee bringen, der hier gewiß vorzüglich sein wird. Die Bank unter dem Lindenbaum, auf welcher sich der Fremde niederließ, war in der That so gelegen, daß der Blick eines Malers dort entzückt werden mußte. Das Land senkte sich sanft zum Meere ab, und ein weites Gebiet des bewegten Elementes dehnte sich dort unten aus. Die Sonne war im Herab¬ steigen, und ihre Strahlen, durch Wolkenschleier gebrochen und in feinen Duft gehüllt, färbten und erleuchteten den blanken Wasserspiegel in den verschiedensten Tönen von Blau, Grün und Gold. Weiße Linien, durch die Kämme der Wogen gezeichnet, zogen sich dazwischen und teilten das Meer gleichsam in Felder ab, wie die Felder auf den Ebenen des Landes abgeteilt sind, nur in weit größerem Maßstabe, in durchsichtigerem Farben und von einem flimmernden Glanz Über¬ gossen. Das dumpfe, regelmäßige Brausen, diese entzückende, beruhigende Stimme des Meeres, die auf kein empfängliches Gemüt ihren großartigen Eindruck zu üben verfehlt, drang zu dem Platz unter dem Baume empor und begleitete mit seinem mächtigen Baß das Lispeln der Blätter, die der Abendwind bewegte. Einzelne Segel, schneeweiß gleich Möven über der glitzernden Fläche schwebend, verfolgten ihren stillen Pfad und zogen den Blick des Fremden mit sich, der, d°en Kopf auf die Hand gestützt, sich dem Reize dieses Bildes hingab. Seitwärts zur Rechten trat der dunkle Wald bis an das Wasser heran, und zur Linken lag das freundliche Dorf, tiefer liegend als der Gasthof, eingebettet in grüne Wiesen und Baumgruppen mit roten Ziegeldächern und behaglich wehenden blauen Rauchfähnchen, die vor dein frischen Seewinde landeinwärts zogen. schroff ansteigende, in der Abendsonne rötlich schimmernde Felsen von bizarrer Form erhoben sich zwischen dem Dorfe und dem Meere zu beträchtlicher Höhe und bildeten einen natürlichen Damm gegen hohe Wasserfluten, während sie zu¬ gleich mit ihren ragenden Spitzen und kahlen Flächen ein weithin sichtbares Wahrzeichen der Gegend waren. Auf manchem Gemälde, das sich auf Reisen durch die Ausstellungen Deutschlands befand, sind sie unter dieser oder jener veränderten Form und Gruppirung zu erblicken gewesen, verewigt von den Händen jener Künstler, -die zur lustigen Zeit des frischen Herings bei der Frau Zeysing logirt hatten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/58>, abgerufen am 23.07.2024.