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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Heinrich Laubes Erinnerungen,

Vierteljahrhundert literarischer und künstlerischer Entwicklung genauer kennt.
Auch gegen die Prinzipien, zu denen sich Laube noch jetzt beim Rückblick auf
seine gesamte dramaturgische Thätigkeit bekennt, läßt sich wenig einwenden.
"Mir war jedes Genre recht, nur ein Stück mußte es sein," sagt er mit Goethe.
Und "ich gestehe ganz offenherzig, daß ich lieber Geld ausgebe für einen guten
Schauspieler als für eine schöne Dekoration. Ich tadle mich ganz ehrlich selbst
darüber, daß ich zu unaufmerksam war und bin für den äußerlichen Schimmer
der Sonne. Unaufmerksam bis zur Fehlerhaftigkeit. Aber den prinzipiell ge¬
suchten szenischen Luxus und die Tapezier-Dramaturgie halte ich für eine Schä¬
digung des Dramas," fügt er hinzu. Wer möchte, wer wird widersprechen?
Aber die Frage ist die, ob Laubes Direktion thatsächlich den Intentionen ent¬
sprochen hat, welche die Erinnerungen hervorheben. Und hier kann es ohne
einige Randglossen nicht abgehen. Es ist wahr, daß die prinzipielle Ausschlie¬
ßung einer berechtigten Richtung und Kraft von der Hofburgbühue nicht nach¬
gewiesen werden kann. Es mag sein, daß die Alltagsmcmier, die theatralische Fa¬
brikation mit poetischem Anflug ä, 1" Mvsenthal mit derbprosaischen: Anstrich
Z, ig. Birchpfeiffer nicht entbehrt werden konnte. Es ist endlich möglich, daß
Laube bei seiner Auswahl der mit Vorliebe von ihn gepflegten französischen
Sittenkvmödien viel wählerischer zu Werke gegangen ist, als man annahm, ob-
schon ans seiner Rechtfertigung seines Verfahrens der Pferdefuß herausschaue.
"Das Zedern gegen französische Stücke geht zumeist von deutschen Schriftstellern
aus, deren Stücke nicht angenommen werden zur Aufführung, und von Kritikern,
welche in kleinen Städten leben. Diese letztern eifern auch nicht ohne Berech¬
tigung. Viele französische Stücke wirken auf das Publikum in kleinen Städten
anstößig, weil die Lebensanschauung dort enger ist. Der Kritiker empfindet den
Übelstand und verurteilt ehrlich das ganze Genre. Sähe er das Stück inmitten
des Publikums einer großen Stadt, welches viel mannichfaltiger ist und welches
schwierige moralische Vorgänge täglich neben sich erlebt und deshalb nicht fanatisch
den Stab über kritische Fragen bricht, dann würde auch sein Urteil anders
lauten." Wer hörte hier nicht den Wiener, der von Alters her gern einen
Pariser vorstellte, wer erinnerte sich nicht, daß die Ideale der jungdeutschen
Autoren im Grunde nie zwischen Rhein und Oder, sondern meist an der Seine ge¬
wachsen waren? Doch dies beiseite, so bleiben Hauptfragen, die auf die Autorität
dieser "Erinnerungen" hin nicht beantwortet werden können. Wenn alle Bestre¬
bungen der dramatischen Dichtung berücksichtigt worden sind -- in welchem Geiste
ist dies geschehen, und hat der Wunsch obgewaltet, Darsteller und Publikum zu
deu reineren Höhen der Produktion zu erheben? Ist dafür gesorgt worden, daß die
Alltagskost, die theatralische Durchschnittswaare gegolten hat, was sie wert ist,
daß wenigstens das Bewußtsein des Edlem und schönern von ihr nicht er¬
drückt ward? Oder ists gegangen, wie anderwärts auch, daß Shakespeare zum
Aushängeschilde gebraucht wurde und jeder moderne Poet (dem freilich leicht zu


Grenzboten I. 1S83. 72
Heinrich Laubes Erinnerungen,

Vierteljahrhundert literarischer und künstlerischer Entwicklung genauer kennt.
Auch gegen die Prinzipien, zu denen sich Laube noch jetzt beim Rückblick auf
seine gesamte dramaturgische Thätigkeit bekennt, läßt sich wenig einwenden.
„Mir war jedes Genre recht, nur ein Stück mußte es sein," sagt er mit Goethe.
Und „ich gestehe ganz offenherzig, daß ich lieber Geld ausgebe für einen guten
Schauspieler als für eine schöne Dekoration. Ich tadle mich ganz ehrlich selbst
darüber, daß ich zu unaufmerksam war und bin für den äußerlichen Schimmer
der Sonne. Unaufmerksam bis zur Fehlerhaftigkeit. Aber den prinzipiell ge¬
suchten szenischen Luxus und die Tapezier-Dramaturgie halte ich für eine Schä¬
digung des Dramas," fügt er hinzu. Wer möchte, wer wird widersprechen?
Aber die Frage ist die, ob Laubes Direktion thatsächlich den Intentionen ent¬
sprochen hat, welche die Erinnerungen hervorheben. Und hier kann es ohne
einige Randglossen nicht abgehen. Es ist wahr, daß die prinzipielle Ausschlie¬
ßung einer berechtigten Richtung und Kraft von der Hofburgbühue nicht nach¬
gewiesen werden kann. Es mag sein, daß die Alltagsmcmier, die theatralische Fa¬
brikation mit poetischem Anflug ä, 1» Mvsenthal mit derbprosaischen: Anstrich
Z, ig. Birchpfeiffer nicht entbehrt werden konnte. Es ist endlich möglich, daß
Laube bei seiner Auswahl der mit Vorliebe von ihn gepflegten französischen
Sittenkvmödien viel wählerischer zu Werke gegangen ist, als man annahm, ob-
schon ans seiner Rechtfertigung seines Verfahrens der Pferdefuß herausschaue.
„Das Zedern gegen französische Stücke geht zumeist von deutschen Schriftstellern
aus, deren Stücke nicht angenommen werden zur Aufführung, und von Kritikern,
welche in kleinen Städten leben. Diese letztern eifern auch nicht ohne Berech¬
tigung. Viele französische Stücke wirken auf das Publikum in kleinen Städten
anstößig, weil die Lebensanschauung dort enger ist. Der Kritiker empfindet den
Übelstand und verurteilt ehrlich das ganze Genre. Sähe er das Stück inmitten
des Publikums einer großen Stadt, welches viel mannichfaltiger ist und welches
schwierige moralische Vorgänge täglich neben sich erlebt und deshalb nicht fanatisch
den Stab über kritische Fragen bricht, dann würde auch sein Urteil anders
lauten." Wer hörte hier nicht den Wiener, der von Alters her gern einen
Pariser vorstellte, wer erinnerte sich nicht, daß die Ideale der jungdeutschen
Autoren im Grunde nie zwischen Rhein und Oder, sondern meist an der Seine ge¬
wachsen waren? Doch dies beiseite, so bleiben Hauptfragen, die auf die Autorität
dieser „Erinnerungen" hin nicht beantwortet werden können. Wenn alle Bestre¬
bungen der dramatischen Dichtung berücksichtigt worden sind — in welchem Geiste
ist dies geschehen, und hat der Wunsch obgewaltet, Darsteller und Publikum zu
deu reineren Höhen der Produktion zu erheben? Ist dafür gesorgt worden, daß die
Alltagskost, die theatralische Durchschnittswaare gegolten hat, was sie wert ist,
daß wenigstens das Bewußtsein des Edlem und schönern von ihr nicht er¬
drückt ward? Oder ists gegangen, wie anderwärts auch, daß Shakespeare zum
Aushängeschilde gebraucht wurde und jeder moderne Poet (dem freilich leicht zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/577>, abgerufen am 25.08.2024.