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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Heinrich Laubes Erinnerungen.

mich pflichtwidriger Parteilichkeit beschuldigt in den politischen Fragen. Sie
hatten ohnehin die schönste Neigung dazu, weil ich Österreich überhaupt günstiger
ansah als einer von ihnen. Ich wälzte die Erklärung auf Elbogen, welches
ich doch einigermaßen sachgemäß vertreten müsse. Sie lachten mich aus oder
bedauerten mich. Letzteres that ich selbst alle Tage drei Vierteljahre hindurch."
Die alte Gewohnheit, Poesie und Publizistik, Literatur und Politik zu mischen,
überall dabei zu sein und überall mitzureden, war eben i" jenen Tagen noch
übermächtig. Der politische Dilettantismus ist freilich durch das Entstehen eines
besondern Standes von "Parlamentariern" nicht beseitigt worden und Wahlen,
wie die Laubes in Elbogen, die er selbst in einem höchst ergötzlichen Genrebild
der "Erinnerungen" darstellt, mögen noch genug vorkommen. Aber als Annex
des "Berufsschriftstellers" wird wenigstens der "Berufspolitiker" nicht mehr an¬
gesehen.

"Die schwermütige Stimmung verließ mich nicht die neun Monate lang,
während welcher ich in jenem Parlamente saß und den Mund nur öffnete zu
Ja und Nein bei der Abstimmung. Es war mir nicht erreichbar, einen Moment
lang hoffnungsvoll aufzuatmen. Außer meiner Gefüngniszeit erinnere ich mich
keiner so langen Lebensepoche, in welcher ich so gleichmäßig gedrückt dahingelebt
Hütte. Es widerstrebte eben meiner Natur, ohne Aussicht auf Erfolg frisch zu
sein und ohne Erfolg hoffen zu können." Um so frischer fühlte sich unser Autor,
nachdem im Ausgang des Jahres 1849 seine Ernennung zum artistischen Leiter
des Hofburgtheaters nun endlich und wirklich erfolgt war. Von der wunder¬
lichen Art, mit der im damaligen Österreich wichtige Fragen erledigt und Ent-
scheidungen getroffen wurden, berichten Landes Erinnerungen S. 166 -- 159 des
zweiten Teils höchst charakteristisches. Zum Schluß der Darstellung seiner Ver¬
handlungen mit dem Grafen Grünne und dem Fürsten Schwarzenberg bemerkt
allerdings Laube selbst: "Das Wort ssdrsur stellte sich bei mir ein und das
Wort Leichtfertigkeit, aber ich mußte zugestehen, daß dieser muntere Naturalismus
recht bestechend erscheine in verwirrter Zeit. Man konnte an das leichte Talent
in der Literatur denken neben weitausholender philosophischer Kritik. Die Parole
dieser aristokratischen Courage lautete: Links und rechts gerade aus und in der
Mitte -- ebenfalls." Nach dem Rezept dieses muntern Naturalismus scheint
der Autor einen Teil seiner Bühnenleitung geführt zu haben. Freilich geben
die "Erinnerungen" darüber keinen vollen Aufschluß, Laube verweist für seine
gesamte Karriere als Theaterdirektor auf seine drei Bücher: "Das Wiener Hof-
burgthcater," "Das norddeutsche Theater," "Das Wiener Stadttheater," in
deren ersten beiden allerdings noch von einigen anderm, aber hauptsächlich doch
von seinen Direktionsmaßregeln und Engagements die Rede ist. Die Energie,
der Fleiß, die Geduld, die unermüdlich schaffende Lust am Neuen (im
Falle eines Theaterdirektors ist ja vieles alte neu), auf welche sich Laube in
seinen "Erinnerungen" beruft, wird wohl jeder zugestehen, welcher das letzte


Heinrich Laubes Erinnerungen.

mich pflichtwidriger Parteilichkeit beschuldigt in den politischen Fragen. Sie
hatten ohnehin die schönste Neigung dazu, weil ich Österreich überhaupt günstiger
ansah als einer von ihnen. Ich wälzte die Erklärung auf Elbogen, welches
ich doch einigermaßen sachgemäß vertreten müsse. Sie lachten mich aus oder
bedauerten mich. Letzteres that ich selbst alle Tage drei Vierteljahre hindurch."
Die alte Gewohnheit, Poesie und Publizistik, Literatur und Politik zu mischen,
überall dabei zu sein und überall mitzureden, war eben i« jenen Tagen noch
übermächtig. Der politische Dilettantismus ist freilich durch das Entstehen eines
besondern Standes von „Parlamentariern" nicht beseitigt worden und Wahlen,
wie die Laubes in Elbogen, die er selbst in einem höchst ergötzlichen Genrebild
der „Erinnerungen" darstellt, mögen noch genug vorkommen. Aber als Annex
des „Berufsschriftstellers" wird wenigstens der „Berufspolitiker" nicht mehr an¬
gesehen.

„Die schwermütige Stimmung verließ mich nicht die neun Monate lang,
während welcher ich in jenem Parlamente saß und den Mund nur öffnete zu
Ja und Nein bei der Abstimmung. Es war mir nicht erreichbar, einen Moment
lang hoffnungsvoll aufzuatmen. Außer meiner Gefüngniszeit erinnere ich mich
keiner so langen Lebensepoche, in welcher ich so gleichmäßig gedrückt dahingelebt
Hütte. Es widerstrebte eben meiner Natur, ohne Aussicht auf Erfolg frisch zu
sein und ohne Erfolg hoffen zu können." Um so frischer fühlte sich unser Autor,
nachdem im Ausgang des Jahres 1849 seine Ernennung zum artistischen Leiter
des Hofburgtheaters nun endlich und wirklich erfolgt war. Von der wunder¬
lichen Art, mit der im damaligen Österreich wichtige Fragen erledigt und Ent-
scheidungen getroffen wurden, berichten Landes Erinnerungen S. 166 — 159 des
zweiten Teils höchst charakteristisches. Zum Schluß der Darstellung seiner Ver¬
handlungen mit dem Grafen Grünne und dem Fürsten Schwarzenberg bemerkt
allerdings Laube selbst: „Das Wort ssdrsur stellte sich bei mir ein und das
Wort Leichtfertigkeit, aber ich mußte zugestehen, daß dieser muntere Naturalismus
recht bestechend erscheine in verwirrter Zeit. Man konnte an das leichte Talent
in der Literatur denken neben weitausholender philosophischer Kritik. Die Parole
dieser aristokratischen Courage lautete: Links und rechts gerade aus und in der
Mitte — ebenfalls." Nach dem Rezept dieses muntern Naturalismus scheint
der Autor einen Teil seiner Bühnenleitung geführt zu haben. Freilich geben
die „Erinnerungen" darüber keinen vollen Aufschluß, Laube verweist für seine
gesamte Karriere als Theaterdirektor auf seine drei Bücher: „Das Wiener Hof-
burgthcater," „Das norddeutsche Theater," „Das Wiener Stadttheater," in
deren ersten beiden allerdings noch von einigen anderm, aber hauptsächlich doch
von seinen Direktionsmaßregeln und Engagements die Rede ist. Die Energie,
der Fleiß, die Geduld, die unermüdlich schaffende Lust am Neuen (im
Falle eines Theaterdirektors ist ja vieles alte neu), auf welche sich Laube in
seinen „Erinnerungen" beruft, wird wohl jeder zugestehen, welcher das letzte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/576>, abgerufen am 25.08.2024.