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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Heinrich Laubes Erinnerungen.

Pariser Gesellschaft dazu, um das Ungewitter voraussehen zu könne". Laube
aber berichtet: "Mau mochte Hinsehen, wohin man wollte, man entdeckte im
Frühjahr 1847 nirgends in Paris Anzeichen für politische Änderung, am
wenigsten Anzeichen für eine mögliche Katastrophe. Das Regiment Louis
Philipp-Guizot hielt alles unter festem Banne, nud namentlich Guizot stand
in erstaunlichem Ansehen als überlegener Geist, welcher nicht mit sich handeln
ließe. Nur etwa Heine stimmte nicht ein in dies zuversichtliche Friedenskonzert.
Er meinte, die Franzosen ruhen nicht so lange. Fünfzehn Jahre haben sie den
alleinherrschenden Napoleon, fünfzehn Jahre die wiederkehrenden Bourbonen er¬
tragen, und jetzt schon siebzehn Jahre den vorsichtigen Orleans. Das wird un¬
natürlich, bald wird Feuer vom Himmel fallen, wenns auf der Pariser Erde
keines giebt! Aber das klang poetisch gemacht; jedermann schüttelte den Kopf
zu dieser ohnehin zerbrochenen Kassandra. Diese Kassandra aber schüttelte den
ihrigen zu den auswendigen Wahrsagern. Glaube ihnen nicht, sagte er, sie ver¬
stehen nicht einmal einen Titel zu macheu. I^hö elsve-s ac Otmrlös müssen deine
"Karlsschüler" heißen -- in Frankreich, anders nicht. Für solche Details hatte
er noch immer Aufmerksamkeit wie sonst. Wie sonst! Wochenlang suchte er
stets nach einem Beiworte in einem neuen Gedicht, und die Übersetzung der
"Karlsschüler" wollte er damals noch zustande bringen, ehe das Feuer vom
Himmel fiele und allen poetischen Späßen ein Ende machen würde. Denn dies
Feuer vom Himmel verzehrt uns poetische Taugenichtse alle, alle. Gott sei
voraus gedankt, mich zuerst. So sagte Heine, aber niemand glaubte ihm."

Es ist hübsch von Laube, daß er ganz ruhig durchblicken läßt, was ihn
damals in Paris ernster beschäftigt hat als der Stand der Regierung König
Louis Philipps und die Aussichten der französischen Demokratie. Er plante
eine Aufführung seines erfolgreichsten und in gewissem Sinne auch besten Schau¬
spiels "Die Karlsschüler" in französischer Übersetzung. Bei dem eigentümlichen
Verhältnis, in welchem die Jungdeutschen und hier Laube den andern voran
zur französischen Literatur standen, wäre ihm ein Pariser Bühnenerfolg wert¬
voller als jeder andre gewesen. Die Politik bekümmerte ihn viel weniger als
das Theater, und nur die Narren, denen der ganze Mensch in Zeitungsleserei
und Vereinsberedtscunkeit aufgegangen ist, werden ihm daraus eine" Vorwurf
machen. Bedenklicher ist nur, wie der Schriftsteller dann doch in die politische
Bewegung von 1848 eintritt. Er tagt mit im Vorparlament zu Frankfurt,
er geht dazwischen nach Wien, um seine "Karlsschüler" in Szene zu setzen, und
knüpft die ersten Beziehungen an, aus denen zwei Jahre später seine Ernennung
zum artistischen Direktor des Wiener Hofburgtheaters erwuchs, er läßt sich nebenher
zum Abgeordneten von Mögen in Böhmen für das deutsche Parlament wählen,
in dem er dann vom Juli oder August 1848 bis zum Mai 1849 gesessen hat.
Seine heimliche Prätendentenschaft auf die Direktion des Burgtheaters durfte
er dabei nicht verraten. "Warum denn? Meine norddeutschen Genossen hätten


Heinrich Laubes Erinnerungen.

Pariser Gesellschaft dazu, um das Ungewitter voraussehen zu könne». Laube
aber berichtet: „Mau mochte Hinsehen, wohin man wollte, man entdeckte im
Frühjahr 1847 nirgends in Paris Anzeichen für politische Änderung, am
wenigsten Anzeichen für eine mögliche Katastrophe. Das Regiment Louis
Philipp-Guizot hielt alles unter festem Banne, nud namentlich Guizot stand
in erstaunlichem Ansehen als überlegener Geist, welcher nicht mit sich handeln
ließe. Nur etwa Heine stimmte nicht ein in dies zuversichtliche Friedenskonzert.
Er meinte, die Franzosen ruhen nicht so lange. Fünfzehn Jahre haben sie den
alleinherrschenden Napoleon, fünfzehn Jahre die wiederkehrenden Bourbonen er¬
tragen, und jetzt schon siebzehn Jahre den vorsichtigen Orleans. Das wird un¬
natürlich, bald wird Feuer vom Himmel fallen, wenns auf der Pariser Erde
keines giebt! Aber das klang poetisch gemacht; jedermann schüttelte den Kopf
zu dieser ohnehin zerbrochenen Kassandra. Diese Kassandra aber schüttelte den
ihrigen zu den auswendigen Wahrsagern. Glaube ihnen nicht, sagte er, sie ver¬
stehen nicht einmal einen Titel zu macheu. I^hö elsve-s ac Otmrlös müssen deine
»Karlsschüler« heißen — in Frankreich, anders nicht. Für solche Details hatte
er noch immer Aufmerksamkeit wie sonst. Wie sonst! Wochenlang suchte er
stets nach einem Beiworte in einem neuen Gedicht, und die Übersetzung der
»Karlsschüler« wollte er damals noch zustande bringen, ehe das Feuer vom
Himmel fiele und allen poetischen Späßen ein Ende machen würde. Denn dies
Feuer vom Himmel verzehrt uns poetische Taugenichtse alle, alle. Gott sei
voraus gedankt, mich zuerst. So sagte Heine, aber niemand glaubte ihm."

Es ist hübsch von Laube, daß er ganz ruhig durchblicken läßt, was ihn
damals in Paris ernster beschäftigt hat als der Stand der Regierung König
Louis Philipps und die Aussichten der französischen Demokratie. Er plante
eine Aufführung seines erfolgreichsten und in gewissem Sinne auch besten Schau¬
spiels „Die Karlsschüler" in französischer Übersetzung. Bei dem eigentümlichen
Verhältnis, in welchem die Jungdeutschen und hier Laube den andern voran
zur französischen Literatur standen, wäre ihm ein Pariser Bühnenerfolg wert¬
voller als jeder andre gewesen. Die Politik bekümmerte ihn viel weniger als
das Theater, und nur die Narren, denen der ganze Mensch in Zeitungsleserei
und Vereinsberedtscunkeit aufgegangen ist, werden ihm daraus eine» Vorwurf
machen. Bedenklicher ist nur, wie der Schriftsteller dann doch in die politische
Bewegung von 1848 eintritt. Er tagt mit im Vorparlament zu Frankfurt,
er geht dazwischen nach Wien, um seine „Karlsschüler" in Szene zu setzen, und
knüpft die ersten Beziehungen an, aus denen zwei Jahre später seine Ernennung
zum artistischen Direktor des Wiener Hofburgtheaters erwuchs, er läßt sich nebenher
zum Abgeordneten von Mögen in Böhmen für das deutsche Parlament wählen,
in dem er dann vom Juli oder August 1848 bis zum Mai 1849 gesessen hat.
Seine heimliche Prätendentenschaft auf die Direktion des Burgtheaters durfte
er dabei nicht verraten. „Warum denn? Meine norddeutschen Genossen hätten


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[0575] Heinrich Laubes Erinnerungen. Pariser Gesellschaft dazu, um das Ungewitter voraussehen zu könne». Laube aber berichtet: „Mau mochte Hinsehen, wohin man wollte, man entdeckte im Frühjahr 1847 nirgends in Paris Anzeichen für politische Änderung, am wenigsten Anzeichen für eine mögliche Katastrophe. Das Regiment Louis Philipp-Guizot hielt alles unter festem Banne, nud namentlich Guizot stand in erstaunlichem Ansehen als überlegener Geist, welcher nicht mit sich handeln ließe. Nur etwa Heine stimmte nicht ein in dies zuversichtliche Friedenskonzert. Er meinte, die Franzosen ruhen nicht so lange. Fünfzehn Jahre haben sie den alleinherrschenden Napoleon, fünfzehn Jahre die wiederkehrenden Bourbonen er¬ tragen, und jetzt schon siebzehn Jahre den vorsichtigen Orleans. Das wird un¬ natürlich, bald wird Feuer vom Himmel fallen, wenns auf der Pariser Erde keines giebt! Aber das klang poetisch gemacht; jedermann schüttelte den Kopf zu dieser ohnehin zerbrochenen Kassandra. Diese Kassandra aber schüttelte den ihrigen zu den auswendigen Wahrsagern. Glaube ihnen nicht, sagte er, sie ver¬ stehen nicht einmal einen Titel zu macheu. I^hö elsve-s ac Otmrlös müssen deine »Karlsschüler« heißen — in Frankreich, anders nicht. Für solche Details hatte er noch immer Aufmerksamkeit wie sonst. Wie sonst! Wochenlang suchte er stets nach einem Beiworte in einem neuen Gedicht, und die Übersetzung der »Karlsschüler« wollte er damals noch zustande bringen, ehe das Feuer vom Himmel fiele und allen poetischen Späßen ein Ende machen würde. Denn dies Feuer vom Himmel verzehrt uns poetische Taugenichtse alle, alle. Gott sei voraus gedankt, mich zuerst. So sagte Heine, aber niemand glaubte ihm." Es ist hübsch von Laube, daß er ganz ruhig durchblicken läßt, was ihn damals in Paris ernster beschäftigt hat als der Stand der Regierung König Louis Philipps und die Aussichten der französischen Demokratie. Er plante eine Aufführung seines erfolgreichsten und in gewissem Sinne auch besten Schau¬ spiels „Die Karlsschüler" in französischer Übersetzung. Bei dem eigentümlichen Verhältnis, in welchem die Jungdeutschen und hier Laube den andern voran zur französischen Literatur standen, wäre ihm ein Pariser Bühnenerfolg wert¬ voller als jeder andre gewesen. Die Politik bekümmerte ihn viel weniger als das Theater, und nur die Narren, denen der ganze Mensch in Zeitungsleserei und Vereinsberedtscunkeit aufgegangen ist, werden ihm daraus eine» Vorwurf machen. Bedenklicher ist nur, wie der Schriftsteller dann doch in die politische Bewegung von 1848 eintritt. Er tagt mit im Vorparlament zu Frankfurt, er geht dazwischen nach Wien, um seine „Karlsschüler" in Szene zu setzen, und knüpft die ersten Beziehungen an, aus denen zwei Jahre später seine Ernennung zum artistischen Direktor des Wiener Hofburgtheaters erwuchs, er läßt sich nebenher zum Abgeordneten von Mögen in Böhmen für das deutsche Parlament wählen, in dem er dann vom Juli oder August 1848 bis zum Mai 1849 gesessen hat. Seine heimliche Prätendentenschaft auf die Direktion des Burgtheaters durfte er dabei nicht verraten. „Warum denn? Meine norddeutschen Genossen hätten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/575>, abgerufen am 25.08.2024.