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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Heinrich Laubes Lmmerimgen.

das Lebe" in all seinen Äußerungen, das menschliche Trachten in all seinen
Richtungen, alles ward i" dieselbe Furche gezogen und als Samen der Freiheit
gepriesen oder als Samen der Knechtschaft verdammt..... Robert Heller,
ein geistreicher, lebensvoller Schriftsteller, der damals in Leipzig eine Wochen¬
schrift "Rosen" herausgab, machte sich gern über dies volkstümliche Pathos
lustig, welches ihm, dem klassisch gebildeten Manne, niedrig vorkam. Er ver¬
langte auch für seinen fröhlichen Lebenssinn eine Berechtigung und schüttelte
ungläubig deu Kopf, wenn ich ihm sagte: "Dies Pathos des Kleon wird der
Welt noch viel zu schaffen geben!"

Die Skizze ist lebensvoll und anschaulich genug und vergegenwärtigt in
der That die wunderlichen Erscheinungen zu Ausgang der vierziger Jahre.
Aber der Widerwille gegen die widerwärtige Mischung der Tagespolitik mit
allen reinen Bildungselementen und allen Kulturaufgabcn, welche damals be¬
liebt wurde, nimmt sich seltsam im Munde des jungdeutschen Schriftstellers
ans. Hatte denn nicht die ganze Aufgabe oder wenigstens ein großer Teil der
Aufgabe der neuen Schule zwischen 1830 und 1840 darin bestanden, die Literatur
und die Kunst, die Wissenschaft wie die Gesellschaft der Tagestendenz dienstbar
zu machen? Hatte man sich nicht beeifert, die nlteu Götter zu zerschlagen und
selbst der Muse Goethes thönerne Füße anzudichten? Hatte nicht die Schrift¬
stellergruppe, welcher Laube angehörte, den Anfang damit gemacht, allen Ta¬
lenten, welche das Gebiet der Literatur betraten, jeder poetischen Natur den
Paß des Liberalismus gröblich abzufordern? Es ist allerdings wahr, daß
Laube einer der ersten war, welche die ganze Gefahr, die in diesem Treiben
lag, begriffen, und daß er bereits 1836 bei der Übernahme einer Redaktion er¬
klärte, daß er unter junger Literatur und moderner Schreibweise ausschließlich
ästhetische und künstlerische Bestrebungen verstehe. Aber wahr ist doch anch das
andre, daß die in den ersten dreißiger Jahren so eifrig ausgestreuten Saaten
jetzt in die Halme schössen, und daß auch damals, das heißt Mitte der vierziger
Jahre, Laube den jungdeutschen Ursprung nicht verleugnete. Seine Dramen
vom "Struensee" bis zu deu "Karlsschülern" wollten freilich in erster Linie
Theaterstücke, Arbeiten von solider, praktischer Bühnentechnik, mit allen Kunst-
griffen und Hilfsmitteln derselben sein; doch des Gewürzes der Tagesphrase,
der halbtendenziösen Anspielung, der falschen Beziehungen auf die Bewegung,
deren Ausschreitungen Laube fo peinlich berührten, konnten und wollten sie nicht
entraten.

Die Berichte Laubes über seinen Pariser Aufenthalt im Jahre 1847 geben
einige interessante Einzelheiten. Auffällig ist es freilich, wie Laube auch bei einem
längern Aufenthalte die französischen Dinge nur an der Oberfläche betrachtet
hat. Im Frühling 1847 stand es um die Herrschaft des "Bürgerkönigs" doch
etwa so, wie in den Jahren 1868 und 1869 um das Kaisertum des dritten
Napoleon. Es gehörte nicht allzuviel Eindringen in die Grundstimmung der


Heinrich Laubes Lmmerimgen.

das Lebe» in all seinen Äußerungen, das menschliche Trachten in all seinen
Richtungen, alles ward i» dieselbe Furche gezogen und als Samen der Freiheit
gepriesen oder als Samen der Knechtschaft verdammt..... Robert Heller,
ein geistreicher, lebensvoller Schriftsteller, der damals in Leipzig eine Wochen¬
schrift „Rosen" herausgab, machte sich gern über dies volkstümliche Pathos
lustig, welches ihm, dem klassisch gebildeten Manne, niedrig vorkam. Er ver¬
langte auch für seinen fröhlichen Lebenssinn eine Berechtigung und schüttelte
ungläubig deu Kopf, wenn ich ihm sagte: „Dies Pathos des Kleon wird der
Welt noch viel zu schaffen geben!"

Die Skizze ist lebensvoll und anschaulich genug und vergegenwärtigt in
der That die wunderlichen Erscheinungen zu Ausgang der vierziger Jahre.
Aber der Widerwille gegen die widerwärtige Mischung der Tagespolitik mit
allen reinen Bildungselementen und allen Kulturaufgabcn, welche damals be¬
liebt wurde, nimmt sich seltsam im Munde des jungdeutschen Schriftstellers
ans. Hatte denn nicht die ganze Aufgabe oder wenigstens ein großer Teil der
Aufgabe der neuen Schule zwischen 1830 und 1840 darin bestanden, die Literatur
und die Kunst, die Wissenschaft wie die Gesellschaft der Tagestendenz dienstbar
zu machen? Hatte man sich nicht beeifert, die nlteu Götter zu zerschlagen und
selbst der Muse Goethes thönerne Füße anzudichten? Hatte nicht die Schrift¬
stellergruppe, welcher Laube angehörte, den Anfang damit gemacht, allen Ta¬
lenten, welche das Gebiet der Literatur betraten, jeder poetischen Natur den
Paß des Liberalismus gröblich abzufordern? Es ist allerdings wahr, daß
Laube einer der ersten war, welche die ganze Gefahr, die in diesem Treiben
lag, begriffen, und daß er bereits 1836 bei der Übernahme einer Redaktion er¬
klärte, daß er unter junger Literatur und moderner Schreibweise ausschließlich
ästhetische und künstlerische Bestrebungen verstehe. Aber wahr ist doch anch das
andre, daß die in den ersten dreißiger Jahren so eifrig ausgestreuten Saaten
jetzt in die Halme schössen, und daß auch damals, das heißt Mitte der vierziger
Jahre, Laube den jungdeutschen Ursprung nicht verleugnete. Seine Dramen
vom „Struensee" bis zu deu „Karlsschülern" wollten freilich in erster Linie
Theaterstücke, Arbeiten von solider, praktischer Bühnentechnik, mit allen Kunst-
griffen und Hilfsmitteln derselben sein; doch des Gewürzes der Tagesphrase,
der halbtendenziösen Anspielung, der falschen Beziehungen auf die Bewegung,
deren Ausschreitungen Laube fo peinlich berührten, konnten und wollten sie nicht
entraten.

Die Berichte Laubes über seinen Pariser Aufenthalt im Jahre 1847 geben
einige interessante Einzelheiten. Auffällig ist es freilich, wie Laube auch bei einem
längern Aufenthalte die französischen Dinge nur an der Oberfläche betrachtet
hat. Im Frühling 1847 stand es um die Herrschaft des „Bürgerkönigs" doch
etwa so, wie in den Jahren 1868 und 1869 um das Kaisertum des dritten
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/574>, abgerufen am 25.08.2024.