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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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als illusionsarmer Theaterdirektor in die Einsamkeit zurücktrete, das hat meine
Seelenruhe nicht gestört, sondern bereichert. Wir sind zum Arbeiten da und
sind dazu bestimmt, uns abzunutzen. Auch die Frage ist müssig, ob man mit
sich zufrieden ist? Wer könnte das sein! Jeder muß sich eingestehen, er hätte
seine Schuldigkeit besser thun können. Mancher muß wohl auch sagen, er hätte
seine Fähigkeit besser verwerten können. Nein, dies letztere sag' ich nicht. Ich
bin im Gegenteile immer erstaunt gewesen, so viel verschiedenartiges aus mir
herauspumpen zu können und Ziele zu erreichen, welche weit über mein Ver¬
dienst hinausreichten. -- Ob ich wieder anfangen möchte, wenn mir fröhliche
Götter eine neue Jugend schenkten? -- O ja."

Nun, es ist ein tapferes Wort, dies "o ja," und ein erfreulicher Gegensatz zu
dem düstern Pessimismus und der trostlosen Lebensmüdigkeit des Tages. Der
Schriftsteller verrät damit, daß, wie auch immer das kritische Endurteil über
sein Wollen und seine Leistungen ausfallen möge, er manche Genugthuung auf
seinem Wege gefunden hat. Er läßt denn auch rückwärts ein Helles Licht über
die Bestrebungen und Erlebnisse fallen, über welche diese "Erinnerungen" be¬
richten. Es sind einigermaßen willkürliche Aufzeichnungen, um die es sich hier
handelt, der Lebensfaden zieht sich manchmal kaum bemerkbar durch sie hindurch,
und sie lösen sich in behagliche Plaudereien über Menschen und Dinge auf, mit
denen Laube in Berührung gekommen. Man möchte glauben, daß eine Anzahl
früher geschriebener Feuilletons zu diesen Erinnerungen verwendet worden seien,
bei der Skizze über den Fürsten Pückler-Muskau, welche den zweiten Teil ein¬
leitet, ist dies ganz gewiß der Fall. Im übrigen teilt Laube aus seinen Leip¬
ziger Erinnerungen der ersten vierziger Jahre nur geringes mit, was nicht schon
allgemein bekannt wäre. Er gedenkt bei dieser Gelegenheit auch der Gründung
der Grenzboten, von denen er wahrheitsgemäß berichtet, daß sie, sorgfältig und
gut geleitet, ein Vorbild für neue Zeitschriftenform gewesen, und daß es ein
Fehler seinerseits gewesen, eine rein belletristische Zeitschrift, wie die "Zeitung
für die elegante Welt" war, in den erregten vierziger Jahren noch einmal zu
übernehmen. Er verrät, daß er sich der ganzen Richtung gegenüber, welche
man damals der Literatur gegeben, im höchsten Maße unbehaglich gefühlt habe.
"In Leipzig stieg die radikale Richtung von Jahr zu Jahr, und selbst der
Schillerverein, welcher damals dort entstand, wurde ein Tummelplatz für die¬
selbe. Die Teilnahme am großen Dichter überhaupt wurde bald mißtrauisch
angesehen, wenn der Volks- und Freiheitsdichter Schiller nicht ausschließlich in
den Vordergrund gestellt wurde. Ein unscheinbarer Mann, Kassier am Leip¬
ziger Theater, wurde Bibliothekar des jungen Vereins, betonte den politischen
Charakter des Vereins mit glaubenssichcrem Nachdruck und entwickelte sich
langsam als Robert Blum. Bei Festessen und Begräbnissen enthüllte sich mehr
und mehr sein eigentümliches Redetalent, welches in breitem, fast singendem
Tone alles auf Volk und Freiheit bezog, alles! Die Dichtung, wie der Tod,


als illusionsarmer Theaterdirektor in die Einsamkeit zurücktrete, das hat meine
Seelenruhe nicht gestört, sondern bereichert. Wir sind zum Arbeiten da und
sind dazu bestimmt, uns abzunutzen. Auch die Frage ist müssig, ob man mit
sich zufrieden ist? Wer könnte das sein! Jeder muß sich eingestehen, er hätte
seine Schuldigkeit besser thun können. Mancher muß wohl auch sagen, er hätte
seine Fähigkeit besser verwerten können. Nein, dies letztere sag' ich nicht. Ich
bin im Gegenteile immer erstaunt gewesen, so viel verschiedenartiges aus mir
herauspumpen zu können und Ziele zu erreichen, welche weit über mein Ver¬
dienst hinausreichten. — Ob ich wieder anfangen möchte, wenn mir fröhliche
Götter eine neue Jugend schenkten? — O ja."

Nun, es ist ein tapferes Wort, dies „o ja," und ein erfreulicher Gegensatz zu
dem düstern Pessimismus und der trostlosen Lebensmüdigkeit des Tages. Der
Schriftsteller verrät damit, daß, wie auch immer das kritische Endurteil über
sein Wollen und seine Leistungen ausfallen möge, er manche Genugthuung auf
seinem Wege gefunden hat. Er läßt denn auch rückwärts ein Helles Licht über
die Bestrebungen und Erlebnisse fallen, über welche diese „Erinnerungen" be¬
richten. Es sind einigermaßen willkürliche Aufzeichnungen, um die es sich hier
handelt, der Lebensfaden zieht sich manchmal kaum bemerkbar durch sie hindurch,
und sie lösen sich in behagliche Plaudereien über Menschen und Dinge auf, mit
denen Laube in Berührung gekommen. Man möchte glauben, daß eine Anzahl
früher geschriebener Feuilletons zu diesen Erinnerungen verwendet worden seien,
bei der Skizze über den Fürsten Pückler-Muskau, welche den zweiten Teil ein¬
leitet, ist dies ganz gewiß der Fall. Im übrigen teilt Laube aus seinen Leip¬
ziger Erinnerungen der ersten vierziger Jahre nur geringes mit, was nicht schon
allgemein bekannt wäre. Er gedenkt bei dieser Gelegenheit auch der Gründung
der Grenzboten, von denen er wahrheitsgemäß berichtet, daß sie, sorgfältig und
gut geleitet, ein Vorbild für neue Zeitschriftenform gewesen, und daß es ein
Fehler seinerseits gewesen, eine rein belletristische Zeitschrift, wie die „Zeitung
für die elegante Welt" war, in den erregten vierziger Jahren noch einmal zu
übernehmen. Er verrät, daß er sich der ganzen Richtung gegenüber, welche
man damals der Literatur gegeben, im höchsten Maße unbehaglich gefühlt habe.
„In Leipzig stieg die radikale Richtung von Jahr zu Jahr, und selbst der
Schillerverein, welcher damals dort entstand, wurde ein Tummelplatz für die¬
selbe. Die Teilnahme am großen Dichter überhaupt wurde bald mißtrauisch
angesehen, wenn der Volks- und Freiheitsdichter Schiller nicht ausschließlich in
den Vordergrund gestellt wurde. Ein unscheinbarer Mann, Kassier am Leip¬
ziger Theater, wurde Bibliothekar des jungen Vereins, betonte den politischen
Charakter des Vereins mit glaubenssichcrem Nachdruck und entwickelte sich
langsam als Robert Blum. Bei Festessen und Begräbnissen enthüllte sich mehr
und mehr sein eigentümliches Redetalent, welches in breitem, fast singendem
Tone alles auf Volk und Freiheit bezog, alles! Die Dichtung, wie der Tod,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/573>, abgerufen am 25.08.2024.