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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Vio erste Woche des neuen Ministeriums in Frankreich.

Auch in der Deputirtenkammer hatte sich das neue Kabinet guter Erfolge
zu erfreuen, indem es an einem Tage viermal eine starke Mehrheit von Stimmen
für sich hatte. Die republikanischen Gruppen stimmten geschlossen für das
Ministerium und gaben ihm damit ihr Vertrauen zu erkennen; während die
Gegner über nicht viel mehr als hundert Stimmen verfügten, erklärten sich 395
für die Regierung. Somit steht es sest, daß die Kammer in ihrer gegenwärtigen
Gemütsverfassung entschlossen ist, die Politiker zu unterstützen, die an das Staats¬
ruder Frankreichs getreten sind. Der Akt der Exekutivgewalt, der die Prinzen
des Hauses Orleans von ihren Posten im Staatsdienste entfernt, wird von
einer großen Majorität in der Landesvertretung durchaus gutgeheißen, und
dieselbe Majorität sieht den weitern Schritten der Regierung sür jetzt mit vollem
Vertrauen entgegen. Kurz, die Minister haben ihr Werk mit einem Triumph
über ihre Gegner begonnen, aber es ist abzuwarten, wie sie die dornigen innern
und auswärtigen Fragen, die der Lösung entgegensehen, behandeln werden.

Was die innern Fragen anlangt, so wird das Kabinet Ferry die von
den Radikalen und den Gambettisten gewünschte Revision der Verfassung aller
Wahrscheinlichkeit zufolge nicht so bald auf die Tagesordnung setzen. Die
Mehrheit der Minister ist einer gewissen Umbildung der Konstitution allerdings
keineswegs grundsätzlich abgeneigt, wohl aber meinen die betreffenden Herren,
daß der Augenblick sich zur Beschäftigung mit einer Frage von so hoher Wichtig¬
keit nicht eigne. Wie die Dinge gegenwärtig liegen, würde von ihr der Senat
am unmittelbarsten berührt werden, und es leidet kaum einen Zweifel, daß der¬
selbe jeden Vorschlag, der auf Beschränkung und Untergrabung seines Einflusses
gerichtet wäre, sofort mit großer Mehrheit zurückweisen würde. Unter diesen
Umständen kann mau nicht wohl annehmen, daß ein Kabinet, dessen Hauptauf¬
gabe darin besteht, Ordnung in eine fast chaotische Lage zu bringen, sich leichten
Herzens auf irgendwelche Unternehmungen einlassen wird, welche unausbleiblich
einen Konflikt herbeiführen würden, dessen Vermeidung im Interesse aller Wohl¬
gesinnten und Verständigen liegt. Andrerseits deuten Blätter, welche dem Mi¬
nisterium wohlwollen und ihm ein langes Leben wünschen, an, daß es nicht
abgeneigt sein werde, noch vor dem Jahre 1885, wo die gegenwärtige Kammer
eines natürlichen Todes sterben wird, eine ruhige und maßvolle Besprechung
der Revisionsfrage zu veranlassen.

In Betreff der auswärtigen Fragen sagt die ministerielle Erklärung, die
auswärtige Politik der Regierung könne, wie seit zwölf Jahren, mir eine fried¬
liche sein. Der Staat bedürfe in erster Linie Frieden, und auf dasselbe Ziel
richte sich das ernste Streben der Demokratie. Indeß sei eine friedfertige Po¬
litik noch keineswegs eine Politik der Unthätigkeit. "Überall, so heißt es weiter,
wo unsre Interessen und unsre Ehre engagirt sind, wollen und müssen wir für
Frankreich den Rang behaupten, welcher ihm gebührt. Gerade um unserm
Vaterlande moralisches Ansehen und Vertrauen unter den Völkern zu verschaffen,


Vio erste Woche des neuen Ministeriums in Frankreich.

Auch in der Deputirtenkammer hatte sich das neue Kabinet guter Erfolge
zu erfreuen, indem es an einem Tage viermal eine starke Mehrheit von Stimmen
für sich hatte. Die republikanischen Gruppen stimmten geschlossen für das
Ministerium und gaben ihm damit ihr Vertrauen zu erkennen; während die
Gegner über nicht viel mehr als hundert Stimmen verfügten, erklärten sich 395
für die Regierung. Somit steht es sest, daß die Kammer in ihrer gegenwärtigen
Gemütsverfassung entschlossen ist, die Politiker zu unterstützen, die an das Staats¬
ruder Frankreichs getreten sind. Der Akt der Exekutivgewalt, der die Prinzen
des Hauses Orleans von ihren Posten im Staatsdienste entfernt, wird von
einer großen Majorität in der Landesvertretung durchaus gutgeheißen, und
dieselbe Majorität sieht den weitern Schritten der Regierung sür jetzt mit vollem
Vertrauen entgegen. Kurz, die Minister haben ihr Werk mit einem Triumph
über ihre Gegner begonnen, aber es ist abzuwarten, wie sie die dornigen innern
und auswärtigen Fragen, die der Lösung entgegensehen, behandeln werden.

Was die innern Fragen anlangt, so wird das Kabinet Ferry die von
den Radikalen und den Gambettisten gewünschte Revision der Verfassung aller
Wahrscheinlichkeit zufolge nicht so bald auf die Tagesordnung setzen. Die
Mehrheit der Minister ist einer gewissen Umbildung der Konstitution allerdings
keineswegs grundsätzlich abgeneigt, wohl aber meinen die betreffenden Herren,
daß der Augenblick sich zur Beschäftigung mit einer Frage von so hoher Wichtig¬
keit nicht eigne. Wie die Dinge gegenwärtig liegen, würde von ihr der Senat
am unmittelbarsten berührt werden, und es leidet kaum einen Zweifel, daß der¬
selbe jeden Vorschlag, der auf Beschränkung und Untergrabung seines Einflusses
gerichtet wäre, sofort mit großer Mehrheit zurückweisen würde. Unter diesen
Umständen kann mau nicht wohl annehmen, daß ein Kabinet, dessen Hauptauf¬
gabe darin besteht, Ordnung in eine fast chaotische Lage zu bringen, sich leichten
Herzens auf irgendwelche Unternehmungen einlassen wird, welche unausbleiblich
einen Konflikt herbeiführen würden, dessen Vermeidung im Interesse aller Wohl¬
gesinnten und Verständigen liegt. Andrerseits deuten Blätter, welche dem Mi¬
nisterium wohlwollen und ihm ein langes Leben wünschen, an, daß es nicht
abgeneigt sein werde, noch vor dem Jahre 1885, wo die gegenwärtige Kammer
eines natürlichen Todes sterben wird, eine ruhige und maßvolle Besprechung
der Revisionsfrage zu veranlassen.

In Betreff der auswärtigen Fragen sagt die ministerielle Erklärung, die
auswärtige Politik der Regierung könne, wie seit zwölf Jahren, mir eine fried¬
liche sein. Der Staat bedürfe in erster Linie Frieden, und auf dasselbe Ziel
richte sich das ernste Streben der Demokratie. Indeß sei eine friedfertige Po¬
litik noch keineswegs eine Politik der Unthätigkeit. „Überall, so heißt es weiter,
wo unsre Interessen und unsre Ehre engagirt sind, wollen und müssen wir für
Frankreich den Rang behaupten, welcher ihm gebührt. Gerade um unserm
Vaterlande moralisches Ansehen und Vertrauen unter den Völkern zu verschaffen,


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[0559] Vio erste Woche des neuen Ministeriums in Frankreich. Auch in der Deputirtenkammer hatte sich das neue Kabinet guter Erfolge zu erfreuen, indem es an einem Tage viermal eine starke Mehrheit von Stimmen für sich hatte. Die republikanischen Gruppen stimmten geschlossen für das Ministerium und gaben ihm damit ihr Vertrauen zu erkennen; während die Gegner über nicht viel mehr als hundert Stimmen verfügten, erklärten sich 395 für die Regierung. Somit steht es sest, daß die Kammer in ihrer gegenwärtigen Gemütsverfassung entschlossen ist, die Politiker zu unterstützen, die an das Staats¬ ruder Frankreichs getreten sind. Der Akt der Exekutivgewalt, der die Prinzen des Hauses Orleans von ihren Posten im Staatsdienste entfernt, wird von einer großen Majorität in der Landesvertretung durchaus gutgeheißen, und dieselbe Majorität sieht den weitern Schritten der Regierung sür jetzt mit vollem Vertrauen entgegen. Kurz, die Minister haben ihr Werk mit einem Triumph über ihre Gegner begonnen, aber es ist abzuwarten, wie sie die dornigen innern und auswärtigen Fragen, die der Lösung entgegensehen, behandeln werden. Was die innern Fragen anlangt, so wird das Kabinet Ferry die von den Radikalen und den Gambettisten gewünschte Revision der Verfassung aller Wahrscheinlichkeit zufolge nicht so bald auf die Tagesordnung setzen. Die Mehrheit der Minister ist einer gewissen Umbildung der Konstitution allerdings keineswegs grundsätzlich abgeneigt, wohl aber meinen die betreffenden Herren, daß der Augenblick sich zur Beschäftigung mit einer Frage von so hoher Wichtig¬ keit nicht eigne. Wie die Dinge gegenwärtig liegen, würde von ihr der Senat am unmittelbarsten berührt werden, und es leidet kaum einen Zweifel, daß der¬ selbe jeden Vorschlag, der auf Beschränkung und Untergrabung seines Einflusses gerichtet wäre, sofort mit großer Mehrheit zurückweisen würde. Unter diesen Umständen kann mau nicht wohl annehmen, daß ein Kabinet, dessen Hauptauf¬ gabe darin besteht, Ordnung in eine fast chaotische Lage zu bringen, sich leichten Herzens auf irgendwelche Unternehmungen einlassen wird, welche unausbleiblich einen Konflikt herbeiführen würden, dessen Vermeidung im Interesse aller Wohl¬ gesinnten und Verständigen liegt. Andrerseits deuten Blätter, welche dem Mi¬ nisterium wohlwollen und ihm ein langes Leben wünschen, an, daß es nicht abgeneigt sein werde, noch vor dem Jahre 1885, wo die gegenwärtige Kammer eines natürlichen Todes sterben wird, eine ruhige und maßvolle Besprechung der Revisionsfrage zu veranlassen. In Betreff der auswärtigen Fragen sagt die ministerielle Erklärung, die auswärtige Politik der Regierung könne, wie seit zwölf Jahren, mir eine fried¬ liche sein. Der Staat bedürfe in erster Linie Frieden, und auf dasselbe Ziel richte sich das ernste Streben der Demokratie. Indeß sei eine friedfertige Po¬ litik noch keineswegs eine Politik der Unthätigkeit. „Überall, so heißt es weiter, wo unsre Interessen und unsre Ehre engagirt sind, wollen und müssen wir für Frankreich den Rang behaupten, welcher ihm gebührt. Gerade um unserm Vaterlande moralisches Ansehen und Vertrauen unter den Völkern zu verschaffen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/559>, abgerufen am 22.07.2024.