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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

Der Blick der Shakerin nahm einen ernsten Ausdruck an, und ihre Lippen
bewegten sich ein wenig, als ob sie eine Entgegnung, die ihr auf der Zunge
schwebte, noch im letzten Augenblick zurückhielte. Dann sagte sie nach einer
Pause mit freundlichem Tone: Bitten wir für ihn, daß er dereinst auch den
Mut zu dem wahren Kampfe, zu dem Kampfe der Erlösung, finden möge!

Die blasse Dame erwiederte nichts mehr, doch richtete sie nach einer kleinen
Zeit ihre schönen und gleichsam verklärten Augen auf das Gesicht des alten
Negers und wies ihm mit einer Handbewegung ein Kästchen auf dem Tische in
der Ecke des Zimmers. Dieser Wink enthielt einen ihm verständlichen Befehl,
denn er ging auf das Kästchen zu, öffnete es und brachte der Dame ein kleines
Schlüsselbund.

Sie zeigte ihm den größten der in demselben befindlichen Schlüssel und
legte ihn in seine Hand.

Es waren nur wenig Möbel in dem Zimmer, und diese waren so einfach
und dabei so weiß und rein, wie nur das Herz einer stolzen Tanne ans ameri¬
kanischem Urwald ohne Politur und künstliche Farbe sein kann. In der einen
Ecke stand ein Bett mit Laken und Kissen von blütenfarbencm Glanz, in einer
andern der Tisch mit dem Kästchen, der auch noch ein Tintenfaß, eine englische
Bibel und eine kleine Auswahl deutscher Bücher trug, in einer dritten ein großer
Schrank. Nur noch vier Rohrstühle und einige kleinere Gegenstände, wie sie
den einfachsten Ansprüchen um Bequemlichkeit entsprechen, fanden sich außerdem
in dem großen, luftigen Gemach. Die Dielen, die Wände und die Decke waren
gleich dem Mobiliar aus dem schönsten Tannenholzc gearbeitet, sorgfältig zu¬
sammengefügt und ohne jeden Anstrich, ohne jeden Schmuck außer ihrer Frische
und Reinheit.

Aus dem Schranke holte der Neger jetzt, nachdem er ihn aufgeschlossen
hatte, eine Kassette hervor und stellte sie der Dame zur Hand, indem er einen
der Rohrstühle herbeitrug und sie darauf niedersetzte. Es war ein sehr ele¬
gantes und reich gearbeitetes Kistchen von dunkelm Holz mit Silberbeschlag,
und auf dem Deckel war in die zierliche Silberplatte ein Wappen eingegraben.

Die blasse Dame betrachtete die Kassette mit schwermütigen Blick, löste
dann einen kleinen Schlüssel aus dem Bunde, gab das Bund selbst der Shakerin
und sagte: Ich weiß, daß heute mein letzter Tag auf Erden ist. Mit diesen
Schlüsseln, Schwester Elisabeth, überliesere ich dir all mein Besitztum wie auch
dies Haus zu beliebigen: Gebrauch. Dir aber, mein alter, treuer Diener, über¬
gebe ich diese Kassette, damit du sie meinem Sohne bringst. Sie schloß bei
diesen Worten die Kassette auf, nahm einen seidenen Geldbeutel heraus, händigte
ihn dem Neger ein und fügte hinzu: Dieses Geld ist dein; es wird für deine
Reise genügen. Mein Sohn wird ferner für dich Sorge tragen.

Der Neger ergriff die Hand der Dame, welche in seiner gewaltigen schwarzen
Faust unendlich zart und schwach aussah, und drückte seine wulstigen roten Lippen


Die Grafen von Altenschwerdt.

Der Blick der Shakerin nahm einen ernsten Ausdruck an, und ihre Lippen
bewegten sich ein wenig, als ob sie eine Entgegnung, die ihr auf der Zunge
schwebte, noch im letzten Augenblick zurückhielte. Dann sagte sie nach einer
Pause mit freundlichem Tone: Bitten wir für ihn, daß er dereinst auch den
Mut zu dem wahren Kampfe, zu dem Kampfe der Erlösung, finden möge!

Die blasse Dame erwiederte nichts mehr, doch richtete sie nach einer kleinen
Zeit ihre schönen und gleichsam verklärten Augen auf das Gesicht des alten
Negers und wies ihm mit einer Handbewegung ein Kästchen auf dem Tische in
der Ecke des Zimmers. Dieser Wink enthielt einen ihm verständlichen Befehl,
denn er ging auf das Kästchen zu, öffnete es und brachte der Dame ein kleines
Schlüsselbund.

Sie zeigte ihm den größten der in demselben befindlichen Schlüssel und
legte ihn in seine Hand.

Es waren nur wenig Möbel in dem Zimmer, und diese waren so einfach
und dabei so weiß und rein, wie nur das Herz einer stolzen Tanne ans ameri¬
kanischem Urwald ohne Politur und künstliche Farbe sein kann. In der einen
Ecke stand ein Bett mit Laken und Kissen von blütenfarbencm Glanz, in einer
andern der Tisch mit dem Kästchen, der auch noch ein Tintenfaß, eine englische
Bibel und eine kleine Auswahl deutscher Bücher trug, in einer dritten ein großer
Schrank. Nur noch vier Rohrstühle und einige kleinere Gegenstände, wie sie
den einfachsten Ansprüchen um Bequemlichkeit entsprechen, fanden sich außerdem
in dem großen, luftigen Gemach. Die Dielen, die Wände und die Decke waren
gleich dem Mobiliar aus dem schönsten Tannenholzc gearbeitet, sorgfältig zu¬
sammengefügt und ohne jeden Anstrich, ohne jeden Schmuck außer ihrer Frische
und Reinheit.

Aus dem Schranke holte der Neger jetzt, nachdem er ihn aufgeschlossen
hatte, eine Kassette hervor und stellte sie der Dame zur Hand, indem er einen
der Rohrstühle herbeitrug und sie darauf niedersetzte. Es war ein sehr ele¬
gantes und reich gearbeitetes Kistchen von dunkelm Holz mit Silberbeschlag,
und auf dem Deckel war in die zierliche Silberplatte ein Wappen eingegraben.

Die blasse Dame betrachtete die Kassette mit schwermütigen Blick, löste
dann einen kleinen Schlüssel aus dem Bunde, gab das Bund selbst der Shakerin
und sagte: Ich weiß, daß heute mein letzter Tag auf Erden ist. Mit diesen
Schlüsseln, Schwester Elisabeth, überliesere ich dir all mein Besitztum wie auch
dies Haus zu beliebigen: Gebrauch. Dir aber, mein alter, treuer Diener, über¬
gebe ich diese Kassette, damit du sie meinem Sohne bringst. Sie schloß bei
diesen Worten die Kassette auf, nahm einen seidenen Geldbeutel heraus, händigte
ihn dem Neger ein und fügte hinzu: Dieses Geld ist dein; es wird für deine
Reise genügen. Mein Sohn wird ferner für dich Sorge tragen.

Der Neger ergriff die Hand der Dame, welche in seiner gewaltigen schwarzen
Faust unendlich zart und schwach aussah, und drückte seine wulstigen roten Lippen


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[0055] Die Grafen von Altenschwerdt. Der Blick der Shakerin nahm einen ernsten Ausdruck an, und ihre Lippen bewegten sich ein wenig, als ob sie eine Entgegnung, die ihr auf der Zunge schwebte, noch im letzten Augenblick zurückhielte. Dann sagte sie nach einer Pause mit freundlichem Tone: Bitten wir für ihn, daß er dereinst auch den Mut zu dem wahren Kampfe, zu dem Kampfe der Erlösung, finden möge! Die blasse Dame erwiederte nichts mehr, doch richtete sie nach einer kleinen Zeit ihre schönen und gleichsam verklärten Augen auf das Gesicht des alten Negers und wies ihm mit einer Handbewegung ein Kästchen auf dem Tische in der Ecke des Zimmers. Dieser Wink enthielt einen ihm verständlichen Befehl, denn er ging auf das Kästchen zu, öffnete es und brachte der Dame ein kleines Schlüsselbund. Sie zeigte ihm den größten der in demselben befindlichen Schlüssel und legte ihn in seine Hand. Es waren nur wenig Möbel in dem Zimmer, und diese waren so einfach und dabei so weiß und rein, wie nur das Herz einer stolzen Tanne ans ameri¬ kanischem Urwald ohne Politur und künstliche Farbe sein kann. In der einen Ecke stand ein Bett mit Laken und Kissen von blütenfarbencm Glanz, in einer andern der Tisch mit dem Kästchen, der auch noch ein Tintenfaß, eine englische Bibel und eine kleine Auswahl deutscher Bücher trug, in einer dritten ein großer Schrank. Nur noch vier Rohrstühle und einige kleinere Gegenstände, wie sie den einfachsten Ansprüchen um Bequemlichkeit entsprechen, fanden sich außerdem in dem großen, luftigen Gemach. Die Dielen, die Wände und die Decke waren gleich dem Mobiliar aus dem schönsten Tannenholzc gearbeitet, sorgfältig zu¬ sammengefügt und ohne jeden Anstrich, ohne jeden Schmuck außer ihrer Frische und Reinheit. Aus dem Schranke holte der Neger jetzt, nachdem er ihn aufgeschlossen hatte, eine Kassette hervor und stellte sie der Dame zur Hand, indem er einen der Rohrstühle herbeitrug und sie darauf niedersetzte. Es war ein sehr ele¬ gantes und reich gearbeitetes Kistchen von dunkelm Holz mit Silberbeschlag, und auf dem Deckel war in die zierliche Silberplatte ein Wappen eingegraben. Die blasse Dame betrachtete die Kassette mit schwermütigen Blick, löste dann einen kleinen Schlüssel aus dem Bunde, gab das Bund selbst der Shakerin und sagte: Ich weiß, daß heute mein letzter Tag auf Erden ist. Mit diesen Schlüsseln, Schwester Elisabeth, überliesere ich dir all mein Besitztum wie auch dies Haus zu beliebigen: Gebrauch. Dir aber, mein alter, treuer Diener, über¬ gebe ich diese Kassette, damit du sie meinem Sohne bringst. Sie schloß bei diesen Worten die Kassette auf, nahm einen seidenen Geldbeutel heraus, händigte ihn dem Neger ein und fügte hinzu: Dieses Geld ist dein; es wird für deine Reise genügen. Mein Sohn wird ferner für dich Sorge tragen. Der Neger ergriff die Hand der Dame, welche in seiner gewaltigen schwarzen Faust unendlich zart und schwach aussah, und drückte seine wulstigen roten Lippen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/55>, abgerufen am 23.07.2024.