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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altonschwordt.

sich vom Pferde, war Dorothea beim Absteigen behilflich, und beide traten,
nachdem sie die Zügel dem Reitknecht übergeben hatten, in den Garten ein.
Zwei riesige, langhaarige graue Hunde kamen vom Hause auf sie zugelaufen und
schmiegten sich, Dorothea erkennend, an ihre Knie.

Vor dem niedrigen Hause oben auf der Spitze des Hügels befand sich ein
Vorbau, der von zwei hölzernen Säulen getragen wurde, und der Graf setzte
sich mit seinem Besuche ans einer der Bänke nieder, die rund um die Säulen
angebracht waren. Von hier aus konnte man weithin die umliegende Land¬
schaft und das in tiefen Buchten laudcinwärtsdringende Meer überschauen, und
hier konnte man verstehen, was den alten General hatte bewegen können, diesen
Platz zum Ruhepunkte für sein verwundetes Herz zu wählen. Wie er so dasaß
in der groben Kleidung des Gärtners, mit dem blauen Kittel angethan, auf
dem weißen Haar den breitkrämpigen Strohhut, der ein so vornehmes Gesicht
beschattete, und wie seine klaren, milden Augen glänzten, indem er den jungen
Leuten die bemerkenswerten Punkte innerhalb des weiten Gesichtskreises wies,
bot er ein anschauliches Beispiel des edeln Mannes, der, vom Treiben der
Welt enttäuscht, zu den einfachen und untrüglichen Freuden der Natur zurückkehrt.

Dieser Eindruck ergänzte sich durch Betrachtung des innern Hauses, dessen
größeren Teil ein geräumiges Gemach mit drei Fenstern bildete, in welchem
die Bibliothek des alten Herrn sich befand. Er teilte seine stille Wohnung am
unermeßlichen, tröstlich rauschenden Meere mit den besten Geistern der Ver¬
gangenheit. Büchergestelle und Karten bedeckten die Wände, ein Globus und
physikalische Instrumente standen auf dem großen runden Tische in der Mitte
des Zimmers. Über dem Bureau an einer der schmaleren Wände hing ein
Bild, welches mit einem schwarzen Schleier verhüllt war.

In diesem Gemach führte der Graf Dorothea zu einem Lehnstuhl am
Fenster, während Eberhardt unter Leitung des ältern Degenhard, des Haushof¬
meisters und Wirtschaftsdirektors der kleinen Niederlassung, es unternahm, die
Ruine bis zu ihrem höchsten Punkte zu erklettern.

Die steinerne gewundene Treppe, welche in dem Thurme hinaufführte, hatte
so hohe Stufen und sah in ihrem verfallenen Zustande so bedenklich aus, daß
er einen zweifelnden Blick auf den alten Mann warf, der sich anschickte, ihm
voranzugehen, und denselben anhielt, indem er ihm die Hand auf die Schulter
legte.

Sie sind Großvater, mein Freund, sagte er, und Ihr Enkel ist schon ein
rüstiger Jäger. Wollen Sie die Last so hoher Jahre diesen bröckligen Steinen
anvertrauen?

Der Alte reckte sich stramm in die Höhe, so daß seine magere Gestalt,
die einem Skelett ähnlich in dem fadenscheinigen, haushofmeisterlichen schwarzen
Anzüge steckte, länger ward und an Eberhardts Statur hinanreichte. Er
schüttelte den Kopf und meinte stolz, daß seine Beine noch fest genug seien,


Die Grafen von Altonschwordt.

sich vom Pferde, war Dorothea beim Absteigen behilflich, und beide traten,
nachdem sie die Zügel dem Reitknecht übergeben hatten, in den Garten ein.
Zwei riesige, langhaarige graue Hunde kamen vom Hause auf sie zugelaufen und
schmiegten sich, Dorothea erkennend, an ihre Knie.

Vor dem niedrigen Hause oben auf der Spitze des Hügels befand sich ein
Vorbau, der von zwei hölzernen Säulen getragen wurde, und der Graf setzte
sich mit seinem Besuche ans einer der Bänke nieder, die rund um die Säulen
angebracht waren. Von hier aus konnte man weithin die umliegende Land¬
schaft und das in tiefen Buchten laudcinwärtsdringende Meer überschauen, und
hier konnte man verstehen, was den alten General hatte bewegen können, diesen
Platz zum Ruhepunkte für sein verwundetes Herz zu wählen. Wie er so dasaß
in der groben Kleidung des Gärtners, mit dem blauen Kittel angethan, auf
dem weißen Haar den breitkrämpigen Strohhut, der ein so vornehmes Gesicht
beschattete, und wie seine klaren, milden Augen glänzten, indem er den jungen
Leuten die bemerkenswerten Punkte innerhalb des weiten Gesichtskreises wies,
bot er ein anschauliches Beispiel des edeln Mannes, der, vom Treiben der
Welt enttäuscht, zu den einfachen und untrüglichen Freuden der Natur zurückkehrt.

Dieser Eindruck ergänzte sich durch Betrachtung des innern Hauses, dessen
größeren Teil ein geräumiges Gemach mit drei Fenstern bildete, in welchem
die Bibliothek des alten Herrn sich befand. Er teilte seine stille Wohnung am
unermeßlichen, tröstlich rauschenden Meere mit den besten Geistern der Ver¬
gangenheit. Büchergestelle und Karten bedeckten die Wände, ein Globus und
physikalische Instrumente standen auf dem großen runden Tische in der Mitte
des Zimmers. Über dem Bureau an einer der schmaleren Wände hing ein
Bild, welches mit einem schwarzen Schleier verhüllt war.

In diesem Gemach führte der Graf Dorothea zu einem Lehnstuhl am
Fenster, während Eberhardt unter Leitung des ältern Degenhard, des Haushof¬
meisters und Wirtschaftsdirektors der kleinen Niederlassung, es unternahm, die
Ruine bis zu ihrem höchsten Punkte zu erklettern.

Die steinerne gewundene Treppe, welche in dem Thurme hinaufführte, hatte
so hohe Stufen und sah in ihrem verfallenen Zustande so bedenklich aus, daß
er einen zweifelnden Blick auf den alten Mann warf, der sich anschickte, ihm
voranzugehen, und denselben anhielt, indem er ihm die Hand auf die Schulter
legte.

Sie sind Großvater, mein Freund, sagte er, und Ihr Enkel ist schon ein
rüstiger Jäger. Wollen Sie die Last so hoher Jahre diesen bröckligen Steinen
anvertrauen?

Der Alte reckte sich stramm in die Höhe, so daß seine magere Gestalt,
die einem Skelett ähnlich in dem fadenscheinigen, haushofmeisterlichen schwarzen
Anzüge steckte, länger ward und an Eberhardts Statur hinanreichte. Er
schüttelte den Kopf und meinte stolz, daß seine Beine noch fest genug seien,


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[0540] Die Grafen von Altonschwordt. sich vom Pferde, war Dorothea beim Absteigen behilflich, und beide traten, nachdem sie die Zügel dem Reitknecht übergeben hatten, in den Garten ein. Zwei riesige, langhaarige graue Hunde kamen vom Hause auf sie zugelaufen und schmiegten sich, Dorothea erkennend, an ihre Knie. Vor dem niedrigen Hause oben auf der Spitze des Hügels befand sich ein Vorbau, der von zwei hölzernen Säulen getragen wurde, und der Graf setzte sich mit seinem Besuche ans einer der Bänke nieder, die rund um die Säulen angebracht waren. Von hier aus konnte man weithin die umliegende Land¬ schaft und das in tiefen Buchten laudcinwärtsdringende Meer überschauen, und hier konnte man verstehen, was den alten General hatte bewegen können, diesen Platz zum Ruhepunkte für sein verwundetes Herz zu wählen. Wie er so dasaß in der groben Kleidung des Gärtners, mit dem blauen Kittel angethan, auf dem weißen Haar den breitkrämpigen Strohhut, der ein so vornehmes Gesicht beschattete, und wie seine klaren, milden Augen glänzten, indem er den jungen Leuten die bemerkenswerten Punkte innerhalb des weiten Gesichtskreises wies, bot er ein anschauliches Beispiel des edeln Mannes, der, vom Treiben der Welt enttäuscht, zu den einfachen und untrüglichen Freuden der Natur zurückkehrt. Dieser Eindruck ergänzte sich durch Betrachtung des innern Hauses, dessen größeren Teil ein geräumiges Gemach mit drei Fenstern bildete, in welchem die Bibliothek des alten Herrn sich befand. Er teilte seine stille Wohnung am unermeßlichen, tröstlich rauschenden Meere mit den besten Geistern der Ver¬ gangenheit. Büchergestelle und Karten bedeckten die Wände, ein Globus und physikalische Instrumente standen auf dem großen runden Tische in der Mitte des Zimmers. Über dem Bureau an einer der schmaleren Wände hing ein Bild, welches mit einem schwarzen Schleier verhüllt war. In diesem Gemach führte der Graf Dorothea zu einem Lehnstuhl am Fenster, während Eberhardt unter Leitung des ältern Degenhard, des Haushof¬ meisters und Wirtschaftsdirektors der kleinen Niederlassung, es unternahm, die Ruine bis zu ihrem höchsten Punkte zu erklettern. Die steinerne gewundene Treppe, welche in dem Thurme hinaufführte, hatte so hohe Stufen und sah in ihrem verfallenen Zustande so bedenklich aus, daß er einen zweifelnden Blick auf den alten Mann warf, der sich anschickte, ihm voranzugehen, und denselben anhielt, indem er ihm die Hand auf die Schulter legte. Sie sind Großvater, mein Freund, sagte er, und Ihr Enkel ist schon ein rüstiger Jäger. Wollen Sie die Last so hoher Jahre diesen bröckligen Steinen anvertrauen? Der Alte reckte sich stramm in die Höhe, so daß seine magere Gestalt, die einem Skelett ähnlich in dem fadenscheinigen, haushofmeisterlichen schwarzen Anzüge steckte, länger ward und an Eberhardts Statur hinanreichte. Er schüttelte den Kopf und meinte stolz, daß seine Beine noch fest genug seien,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/540>, abgerufen am 25.08.2024.