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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altmschwerdt.

Und sie ist doch nur der Vorhof des neuen Jerusalem, entgegnete die
Shakerin, Welche Freude wird dort oben sein, wo sich der Geist mit jenen
Seligen vereint, deren Anblick wir hienieden nur durch einen Schleier wahrzu¬
nehmen vermögen.

Du weißt das gewiß, Schwester Elisabeth? fragte jene.

Schwester Marie, dieses Zimmer ist voll von Seraphim und Cherubim,
welche fingen und Reden halten, und sie versichern alle, daß wir, die Aufer¬
standenen, nur noch einen kleinen Schritt zu thun haben, um ihnen gleich
zu sein.

Der Kranken Brust hob sich mit einem leichten Seufzer, und ihre Augen
schweiften über die Gärten und Felder der schönen Landschaft hin.

Ich habe hier gern gelebt, hob sie wieder an. Eure Bäume sind grüner,
eure Rosen röter, euer Rasen weicher als irgendwo in irgendeinem Lande, das
ich sah. Aber es ist doch nicht mein Deutschland, und jetzt, wo ich von dannen
gehe, fühle ich das alte Heimweh stärker als jemals.

Die Art des Sprechens, wie das Aussehen der Redenden ließen erkennen,
daß sie von Geburt und Erziehung der Shakeriu fern stand, wie ihre Heimat
weit vom Hudson lag. Sie sprach das Englische mit einem Accent, der an
Norddeutschland erinnerte.

Die Shakerin strich ihr mit einer Zartheit, die sich mit ihrem beinahe
männlichen Aussehen kaum zu vereinigen schien, über die Stirn hin und sagte
mit mildem Tone: Es ist wohl nicht allein die Heimat, welche deine Seele be¬
kümmert, Schwester Marie. Aber sei getrost. Er ist mit Kleidern des Lichts
angethan und der Braut in das geheime Zimmer vorangegangen. Du wirst
ihm folgen. Für die Kinder der Wiedergeburt giebt es nicht das, was die
Heiden Tod nennen. Soll ich dir den Psalm von der ewigen Vereinigung vor¬
lesen?

Ich fürchte, Schwester Elisabeth, der Eindruck desselben auf meine Nerven
würde zu stark sein, entgegnete die blasse Dame mit einem matten Lächeln.
Wäre doch mein lieber Sohn hier! Diese letzten Worte schienen sich unwill¬
kürlich durch ihre Lippen Bahn zu brechen, als wären sie nicht das Ergebnis
der Überlegung, sondern ein tiefer Hcrzensgedanke, der nach Befreiung strebte.

Dein Sohn gehörte niemals recht zu uns, versetzte die Shakerin mit einem
Tone des Bedauerns und der Unzufriedenheit. Das heidnische Leben hat zuviel
Macht über ihn. Doch bitten wir alle häufig bei dem Friedensfürsten, daß er
ihn zurückführen möge zu den Stätten der Wiedergebornen.

Mein Sohn vollführte ein edles und hochherziges Werk, sagte die Ster¬
bende, indem ihre Wangen sich mit einem schwachen Rot färbten. Er ist
hinübergegangen in die alte Heimat, um für das Vaterland in einem gerechten
Kriege zu kämpfen.


Die Grafen von Altmschwerdt.

Und sie ist doch nur der Vorhof des neuen Jerusalem, entgegnete die
Shakerin, Welche Freude wird dort oben sein, wo sich der Geist mit jenen
Seligen vereint, deren Anblick wir hienieden nur durch einen Schleier wahrzu¬
nehmen vermögen.

Du weißt das gewiß, Schwester Elisabeth? fragte jene.

Schwester Marie, dieses Zimmer ist voll von Seraphim und Cherubim,
welche fingen und Reden halten, und sie versichern alle, daß wir, die Aufer¬
standenen, nur noch einen kleinen Schritt zu thun haben, um ihnen gleich
zu sein.

Der Kranken Brust hob sich mit einem leichten Seufzer, und ihre Augen
schweiften über die Gärten und Felder der schönen Landschaft hin.

Ich habe hier gern gelebt, hob sie wieder an. Eure Bäume sind grüner,
eure Rosen röter, euer Rasen weicher als irgendwo in irgendeinem Lande, das
ich sah. Aber es ist doch nicht mein Deutschland, und jetzt, wo ich von dannen
gehe, fühle ich das alte Heimweh stärker als jemals.

Die Art des Sprechens, wie das Aussehen der Redenden ließen erkennen,
daß sie von Geburt und Erziehung der Shakeriu fern stand, wie ihre Heimat
weit vom Hudson lag. Sie sprach das Englische mit einem Accent, der an
Norddeutschland erinnerte.

Die Shakerin strich ihr mit einer Zartheit, die sich mit ihrem beinahe
männlichen Aussehen kaum zu vereinigen schien, über die Stirn hin und sagte
mit mildem Tone: Es ist wohl nicht allein die Heimat, welche deine Seele be¬
kümmert, Schwester Marie. Aber sei getrost. Er ist mit Kleidern des Lichts
angethan und der Braut in das geheime Zimmer vorangegangen. Du wirst
ihm folgen. Für die Kinder der Wiedergeburt giebt es nicht das, was die
Heiden Tod nennen. Soll ich dir den Psalm von der ewigen Vereinigung vor¬
lesen?

Ich fürchte, Schwester Elisabeth, der Eindruck desselben auf meine Nerven
würde zu stark sein, entgegnete die blasse Dame mit einem matten Lächeln.
Wäre doch mein lieber Sohn hier! Diese letzten Worte schienen sich unwill¬
kürlich durch ihre Lippen Bahn zu brechen, als wären sie nicht das Ergebnis
der Überlegung, sondern ein tiefer Hcrzensgedanke, der nach Befreiung strebte.

Dein Sohn gehörte niemals recht zu uns, versetzte die Shakerin mit einem
Tone des Bedauerns und der Unzufriedenheit. Das heidnische Leben hat zuviel
Macht über ihn. Doch bitten wir alle häufig bei dem Friedensfürsten, daß er
ihn zurückführen möge zu den Stätten der Wiedergebornen.

Mein Sohn vollführte ein edles und hochherziges Werk, sagte die Ster¬
bende, indem ihre Wangen sich mit einem schwachen Rot färbten. Er ist
hinübergegangen in die alte Heimat, um für das Vaterland in einem gerechten
Kriege zu kämpfen.


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[0054] Die Grafen von Altmschwerdt. Und sie ist doch nur der Vorhof des neuen Jerusalem, entgegnete die Shakerin, Welche Freude wird dort oben sein, wo sich der Geist mit jenen Seligen vereint, deren Anblick wir hienieden nur durch einen Schleier wahrzu¬ nehmen vermögen. Du weißt das gewiß, Schwester Elisabeth? fragte jene. Schwester Marie, dieses Zimmer ist voll von Seraphim und Cherubim, welche fingen und Reden halten, und sie versichern alle, daß wir, die Aufer¬ standenen, nur noch einen kleinen Schritt zu thun haben, um ihnen gleich zu sein. Der Kranken Brust hob sich mit einem leichten Seufzer, und ihre Augen schweiften über die Gärten und Felder der schönen Landschaft hin. Ich habe hier gern gelebt, hob sie wieder an. Eure Bäume sind grüner, eure Rosen röter, euer Rasen weicher als irgendwo in irgendeinem Lande, das ich sah. Aber es ist doch nicht mein Deutschland, und jetzt, wo ich von dannen gehe, fühle ich das alte Heimweh stärker als jemals. Die Art des Sprechens, wie das Aussehen der Redenden ließen erkennen, daß sie von Geburt und Erziehung der Shakeriu fern stand, wie ihre Heimat weit vom Hudson lag. Sie sprach das Englische mit einem Accent, der an Norddeutschland erinnerte. Die Shakerin strich ihr mit einer Zartheit, die sich mit ihrem beinahe männlichen Aussehen kaum zu vereinigen schien, über die Stirn hin und sagte mit mildem Tone: Es ist wohl nicht allein die Heimat, welche deine Seele be¬ kümmert, Schwester Marie. Aber sei getrost. Er ist mit Kleidern des Lichts angethan und der Braut in das geheime Zimmer vorangegangen. Du wirst ihm folgen. Für die Kinder der Wiedergeburt giebt es nicht das, was die Heiden Tod nennen. Soll ich dir den Psalm von der ewigen Vereinigung vor¬ lesen? Ich fürchte, Schwester Elisabeth, der Eindruck desselben auf meine Nerven würde zu stark sein, entgegnete die blasse Dame mit einem matten Lächeln. Wäre doch mein lieber Sohn hier! Diese letzten Worte schienen sich unwill¬ kürlich durch ihre Lippen Bahn zu brechen, als wären sie nicht das Ergebnis der Überlegung, sondern ein tiefer Hcrzensgedanke, der nach Befreiung strebte. Dein Sohn gehörte niemals recht zu uns, versetzte die Shakerin mit einem Tone des Bedauerns und der Unzufriedenheit. Das heidnische Leben hat zuviel Macht über ihn. Doch bitten wir alle häufig bei dem Friedensfürsten, daß er ihn zurückführen möge zu den Stätten der Wiedergebornen. Mein Sohn vollführte ein edles und hochherziges Werk, sagte die Ster¬ bende, indem ihre Wangen sich mit einem schwachen Rot färbten. Er ist hinübergegangen in die alte Heimat, um für das Vaterland in einem gerechten Kriege zu kämpfen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/54>, abgerufen am 23.07.2024.