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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

Sie näherten sich jetzt einer Hügelkette, welche gleich einem Damme das
tiefliegende Land vor der in der Ferne brausenden See beschützte, und erblickten,
indem sie eine Biegung um die zunächst gelegene bewaldete Erhöhung machten,
die Ruine vor sich, deren obern zerrissenen Rand sie vorhin schon hatten empor¬
ragen sehen. Vor alten Zeiten mochte ein fester Platz, zur Verteidigung
gegen räuberische Anwohner der Küsten von Schweden und Norwegen geeignet,
hier gelegen haben, jetzt stand nur noch ein zerfallenes Gerippe von geringer
Ausdehnung dort, die Überbleibsel eines runden Thurmes, der mit einigen leeren
Fensterhöhlen in die See hinausschaute, während der übrige Bau wohl lange
schon seine einzelnen Bestandteile zur Errichtung der wenigen unscheinbaren Ge¬
bäude in der Nähe abgegeben oder dieselben im Zerfallen auf dem Hügel umher¬
gestreut hatte.

Es war ein Treiben und Wehen der Nebelmassen am Strande, ein Kampf
zwischen Wind und feuchter Luft, welcher noch nicht erkennen ließ, auf welche
Seite der Sieg sich neigen werde. Bald verdünnte sich das graue, wogende
Wolkenmeer und schien in die Höhe steigen zu wollen, bald senkte es sich wieder
herab und verhüllte den blitzenden Spiegel der See und die Umrisse der ent¬
legeneren Hügel.

Unmittelbar an die Ruine auf der Höhe lehnte sich ein einstöckiges Hans,
dessen Front nach dem Meere zu gerichtet war, und von diesem Hause aus zog
sich ein Garten, dessen einzelne Partien terrassenförmig über einander lagen, die
Hügelseite herab ins Thal. Doch nicht nach dem Meere hin und vor der Vorder¬
seite des Hauses lag der Garten, sondern der Besitzer hatte klüglich die Schatten¬
seite und den kalten Seewind vermieden und seine Anlagen landeinwärts gemacht,
sodaß die Sonne den Tag über darauf scheinen konnte. In dem Thale unten, dem
sich die kleine Kavalkade jetzt näherte, lagen noch mehrere Gebäude, von Garten
und Feld umgeben, verstreut, von denen einige offenbar Ställe und sonstige der
Wirtschaft dienende Baulichkeiten waren. Ein Streifen Wald schloß sich an diese
bebauten Landstücke an und führte von hier aus in weitem Bogen, zu immer
größerer Breite anwachsend, in das innere Land zurück. Gleich einem vorge¬
schobenen Posten der Kultur lag die Besitzung des Grafen von Franeker an der
Meeresküste, und als das Brausen der See nun aus der Nähe zum Ohre der
Herankommenden scholl und der Salzgeruch des Wassers deutlich ward, während
von lebenden Wesen nur ein Mövenpaar, mit weißen Flügeln über die Hügel
dahinscgelnd, sichtbar war, hatten sie das lebhafte Gefühl einer Einsamkeit voll
großartiger Eindrücke der Natur.

Auf Dorotheens Anweisung wollten sie zu dem ersten der im Thale liegenden
Häuser reiten, um dort ihre Pferde dem Schutze des alten Degenhard anzuver¬
trauen, aber indem sie an der Rotdornhecke vorüberritten, die den Garten
begrenzte, erblickten sie jenseits derselben den Grafen selbst, der auf den Spaten
gestützt in seiner ländlichen Arbeit innehielt und sie begrüßte. Eberhardt schwang


Die Grafen von Altenschwerdt.

Sie näherten sich jetzt einer Hügelkette, welche gleich einem Damme das
tiefliegende Land vor der in der Ferne brausenden See beschützte, und erblickten,
indem sie eine Biegung um die zunächst gelegene bewaldete Erhöhung machten,
die Ruine vor sich, deren obern zerrissenen Rand sie vorhin schon hatten empor¬
ragen sehen. Vor alten Zeiten mochte ein fester Platz, zur Verteidigung
gegen räuberische Anwohner der Küsten von Schweden und Norwegen geeignet,
hier gelegen haben, jetzt stand nur noch ein zerfallenes Gerippe von geringer
Ausdehnung dort, die Überbleibsel eines runden Thurmes, der mit einigen leeren
Fensterhöhlen in die See hinausschaute, während der übrige Bau wohl lange
schon seine einzelnen Bestandteile zur Errichtung der wenigen unscheinbaren Ge¬
bäude in der Nähe abgegeben oder dieselben im Zerfallen auf dem Hügel umher¬
gestreut hatte.

Es war ein Treiben und Wehen der Nebelmassen am Strande, ein Kampf
zwischen Wind und feuchter Luft, welcher noch nicht erkennen ließ, auf welche
Seite der Sieg sich neigen werde. Bald verdünnte sich das graue, wogende
Wolkenmeer und schien in die Höhe steigen zu wollen, bald senkte es sich wieder
herab und verhüllte den blitzenden Spiegel der See und die Umrisse der ent¬
legeneren Hügel.

Unmittelbar an die Ruine auf der Höhe lehnte sich ein einstöckiges Hans,
dessen Front nach dem Meere zu gerichtet war, und von diesem Hause aus zog
sich ein Garten, dessen einzelne Partien terrassenförmig über einander lagen, die
Hügelseite herab ins Thal. Doch nicht nach dem Meere hin und vor der Vorder¬
seite des Hauses lag der Garten, sondern der Besitzer hatte klüglich die Schatten¬
seite und den kalten Seewind vermieden und seine Anlagen landeinwärts gemacht,
sodaß die Sonne den Tag über darauf scheinen konnte. In dem Thale unten, dem
sich die kleine Kavalkade jetzt näherte, lagen noch mehrere Gebäude, von Garten
und Feld umgeben, verstreut, von denen einige offenbar Ställe und sonstige der
Wirtschaft dienende Baulichkeiten waren. Ein Streifen Wald schloß sich an diese
bebauten Landstücke an und führte von hier aus in weitem Bogen, zu immer
größerer Breite anwachsend, in das innere Land zurück. Gleich einem vorge¬
schobenen Posten der Kultur lag die Besitzung des Grafen von Franeker an der
Meeresküste, und als das Brausen der See nun aus der Nähe zum Ohre der
Herankommenden scholl und der Salzgeruch des Wassers deutlich ward, während
von lebenden Wesen nur ein Mövenpaar, mit weißen Flügeln über die Hügel
dahinscgelnd, sichtbar war, hatten sie das lebhafte Gefühl einer Einsamkeit voll
großartiger Eindrücke der Natur.

Auf Dorotheens Anweisung wollten sie zu dem ersten der im Thale liegenden
Häuser reiten, um dort ihre Pferde dem Schutze des alten Degenhard anzuver¬
trauen, aber indem sie an der Rotdornhecke vorüberritten, die den Garten
begrenzte, erblickten sie jenseits derselben den Grafen selbst, der auf den Spaten
gestützt in seiner ländlichen Arbeit innehielt und sie begrüßte. Eberhardt schwang


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[0539] Die Grafen von Altenschwerdt. Sie näherten sich jetzt einer Hügelkette, welche gleich einem Damme das tiefliegende Land vor der in der Ferne brausenden See beschützte, und erblickten, indem sie eine Biegung um die zunächst gelegene bewaldete Erhöhung machten, die Ruine vor sich, deren obern zerrissenen Rand sie vorhin schon hatten empor¬ ragen sehen. Vor alten Zeiten mochte ein fester Platz, zur Verteidigung gegen räuberische Anwohner der Küsten von Schweden und Norwegen geeignet, hier gelegen haben, jetzt stand nur noch ein zerfallenes Gerippe von geringer Ausdehnung dort, die Überbleibsel eines runden Thurmes, der mit einigen leeren Fensterhöhlen in die See hinausschaute, während der übrige Bau wohl lange schon seine einzelnen Bestandteile zur Errichtung der wenigen unscheinbaren Ge¬ bäude in der Nähe abgegeben oder dieselben im Zerfallen auf dem Hügel umher¬ gestreut hatte. Es war ein Treiben und Wehen der Nebelmassen am Strande, ein Kampf zwischen Wind und feuchter Luft, welcher noch nicht erkennen ließ, auf welche Seite der Sieg sich neigen werde. Bald verdünnte sich das graue, wogende Wolkenmeer und schien in die Höhe steigen zu wollen, bald senkte es sich wieder herab und verhüllte den blitzenden Spiegel der See und die Umrisse der ent¬ legeneren Hügel. Unmittelbar an die Ruine auf der Höhe lehnte sich ein einstöckiges Hans, dessen Front nach dem Meere zu gerichtet war, und von diesem Hause aus zog sich ein Garten, dessen einzelne Partien terrassenförmig über einander lagen, die Hügelseite herab ins Thal. Doch nicht nach dem Meere hin und vor der Vorder¬ seite des Hauses lag der Garten, sondern der Besitzer hatte klüglich die Schatten¬ seite und den kalten Seewind vermieden und seine Anlagen landeinwärts gemacht, sodaß die Sonne den Tag über darauf scheinen konnte. In dem Thale unten, dem sich die kleine Kavalkade jetzt näherte, lagen noch mehrere Gebäude, von Garten und Feld umgeben, verstreut, von denen einige offenbar Ställe und sonstige der Wirtschaft dienende Baulichkeiten waren. Ein Streifen Wald schloß sich an diese bebauten Landstücke an und führte von hier aus in weitem Bogen, zu immer größerer Breite anwachsend, in das innere Land zurück. Gleich einem vorge¬ schobenen Posten der Kultur lag die Besitzung des Grafen von Franeker an der Meeresküste, und als das Brausen der See nun aus der Nähe zum Ohre der Herankommenden scholl und der Salzgeruch des Wassers deutlich ward, während von lebenden Wesen nur ein Mövenpaar, mit weißen Flügeln über die Hügel dahinscgelnd, sichtbar war, hatten sie das lebhafte Gefühl einer Einsamkeit voll großartiger Eindrücke der Natur. Auf Dorotheens Anweisung wollten sie zu dem ersten der im Thale liegenden Häuser reiten, um dort ihre Pferde dem Schutze des alten Degenhard anzuver¬ trauen, aber indem sie an der Rotdornhecke vorüberritten, die den Garten begrenzte, erblickten sie jenseits derselben den Grafen selbst, der auf den Spaten gestützt in seiner ländlichen Arbeit innehielt und sie begrüßte. Eberhardt schwang

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/539>, abgerufen am 23.07.2024.