Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Sie Grafen von Altenschwerdt.

Gesichtszügen, dem der spitze Hut keck auf dem bräunlichen Haar saß. Er
trug einen grünen Jagdkittel und am Gurt ein Waidmesser.

Daß doch so viel falsche Klugheit in der Welt ist und die Leute einander
so unnütz quälen! sagte Dorothea, als sie den Fußgänger hinter sich zurück¬
gelassen hatten. Da haben nun Millicent und dieser brave junge Mann, die wie
sür einander geschaffen sind, die größten Widerwärtigkeiten zu bekämpfen, weil
ihre Verwandten sichs in den Kopf gesetzt haben, das Mädchen solle eine
gute Partie machen. Giebt es denn nur eine bessere Partie, als eine Heirat
zwischen jungen Leuten, die einander herzlich zugethan sind? Ich sollte meinen,
daß selbst kleine und bedrängte äußere Verhältnisse sich angenehm und leicht ge¬
stalten müßten, wenn Mann und Frau mit frischer Lebenslust zugreifen. So¬
weit ich meinen Einfluß geltend machen kann, bin ich daher auch bestrebt, den
Weg sür Millicent und diesen jungen Mann zu ebnen.

Eberhardt dachte, daß diese herzliche Teilnahme am Geschick des Nächsten
ein edler Zug im Charakter des großherzigen Mädchens sei. Er erwiederte in
einer Weise, die seiner Sympathie mit ihren Anschauungen entsprach, und unter
einem Gespräche, welches nicht ohne einen geheimen und unausgesprochenen, aber
tiefinteressirendcn Hintergrund war, setzten sie ihren Weg fort, bis sie zu der Be¬
sitzung des Grafen kamen.

Sehen Sie dort die zackige Spitze auf der Höhe? sagte Dorothea, mit
der Reitpeitsche nach dem fernen Horizont zeigend. Jetzt eben weht der See¬
wind den Nebel fort -- da, jetzt ist sie schon wieder verschwunden. Das ist
die Stelle, wo der Graf sein Nest erbaut hat. Es ist ein trauriges Geschick,
das ihn dort in die Einsamkeit geführt hat, wohin wohl kaum je ein Fremder
kommt, abgelegen von den Straßen des Verkehrs. Wir selbst leben ein bischen
klösterlich, aber doch im Vergleich zum Grafen noch gesellig. Er sieht niemanden als
das Geschlecht der Degenhard, Großvater, Vater und den Sohn, den wir vorhin
im Walde begrüßten. Er besucht keinen Menschen außer uns, und wenn wir
auf Reisen sind, lebt er ganz einsam. Und doch hat er ein weiches Herz, ja,
ich möchte sagen, ein Herz, das zu weich ist für die harte Welt. Das
wissen diejenigen am besten, die in Not sind. Wie konnte es nur ein
Weib geben, das ihn betrügen, das die Liebe eines solchen Mannes verraten
konnte!

Diese Einsamkeit ist verführerisch für einen Mann von reichern Gefühl,
entgegnete Eberhardt. Ist nicht die Natur hier von einer erhabenen Größe?
Ich höre schon ganz leise das Rauschen des Meeres, und gewiß hat man bei
Heller Luft von jener Höhe einen weiten Blick über das Wasser hin. Ich muß
gestehen, daß ich mich wohl in die Lage eines Mannes hineindenken kann, der
die Menschen meidet, ohne sie zu hasse", der die Menschheit im ganzen liebt,
aber sich doch scheut, mit ihr im einzelnen zu Verkehren und den Umgang mit
der wahrhaftigen Natur vorzieht.


Sie Grafen von Altenschwerdt.

Gesichtszügen, dem der spitze Hut keck auf dem bräunlichen Haar saß. Er
trug einen grünen Jagdkittel und am Gurt ein Waidmesser.

Daß doch so viel falsche Klugheit in der Welt ist und die Leute einander
so unnütz quälen! sagte Dorothea, als sie den Fußgänger hinter sich zurück¬
gelassen hatten. Da haben nun Millicent und dieser brave junge Mann, die wie
sür einander geschaffen sind, die größten Widerwärtigkeiten zu bekämpfen, weil
ihre Verwandten sichs in den Kopf gesetzt haben, das Mädchen solle eine
gute Partie machen. Giebt es denn nur eine bessere Partie, als eine Heirat
zwischen jungen Leuten, die einander herzlich zugethan sind? Ich sollte meinen,
daß selbst kleine und bedrängte äußere Verhältnisse sich angenehm und leicht ge¬
stalten müßten, wenn Mann und Frau mit frischer Lebenslust zugreifen. So¬
weit ich meinen Einfluß geltend machen kann, bin ich daher auch bestrebt, den
Weg sür Millicent und diesen jungen Mann zu ebnen.

Eberhardt dachte, daß diese herzliche Teilnahme am Geschick des Nächsten
ein edler Zug im Charakter des großherzigen Mädchens sei. Er erwiederte in
einer Weise, die seiner Sympathie mit ihren Anschauungen entsprach, und unter
einem Gespräche, welches nicht ohne einen geheimen und unausgesprochenen, aber
tiefinteressirendcn Hintergrund war, setzten sie ihren Weg fort, bis sie zu der Be¬
sitzung des Grafen kamen.

Sehen Sie dort die zackige Spitze auf der Höhe? sagte Dorothea, mit
der Reitpeitsche nach dem fernen Horizont zeigend. Jetzt eben weht der See¬
wind den Nebel fort — da, jetzt ist sie schon wieder verschwunden. Das ist
die Stelle, wo der Graf sein Nest erbaut hat. Es ist ein trauriges Geschick,
das ihn dort in die Einsamkeit geführt hat, wohin wohl kaum je ein Fremder
kommt, abgelegen von den Straßen des Verkehrs. Wir selbst leben ein bischen
klösterlich, aber doch im Vergleich zum Grafen noch gesellig. Er sieht niemanden als
das Geschlecht der Degenhard, Großvater, Vater und den Sohn, den wir vorhin
im Walde begrüßten. Er besucht keinen Menschen außer uns, und wenn wir
auf Reisen sind, lebt er ganz einsam. Und doch hat er ein weiches Herz, ja,
ich möchte sagen, ein Herz, das zu weich ist für die harte Welt. Das
wissen diejenigen am besten, die in Not sind. Wie konnte es nur ein
Weib geben, das ihn betrügen, das die Liebe eines solchen Mannes verraten
konnte!

Diese Einsamkeit ist verführerisch für einen Mann von reichern Gefühl,
entgegnete Eberhardt. Ist nicht die Natur hier von einer erhabenen Größe?
Ich höre schon ganz leise das Rauschen des Meeres, und gewiß hat man bei
Heller Luft von jener Höhe einen weiten Blick über das Wasser hin. Ich muß
gestehen, daß ich mich wohl in die Lage eines Mannes hineindenken kann, der
die Menschen meidet, ohne sie zu hasse«, der die Menschheit im ganzen liebt,
aber sich doch scheut, mit ihr im einzelnen zu Verkehren und den Umgang mit
der wahrhaftigen Natur vorzieht.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0538" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/152386"/>
            <fw type="header" place="top"> Sie Grafen von Altenschwerdt.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_2013" prev="#ID_2012"> Gesichtszügen, dem der spitze Hut keck auf dem bräunlichen Haar saß. Er<lb/>
trug einen grünen Jagdkittel und am Gurt ein Waidmesser.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2014"> Daß doch so viel falsche Klugheit in der Welt ist und die Leute einander<lb/>
so unnütz quälen! sagte Dorothea, als sie den Fußgänger hinter sich zurück¬<lb/>
gelassen hatten. Da haben nun Millicent und dieser brave junge Mann, die wie<lb/>
sür einander geschaffen sind, die größten Widerwärtigkeiten zu bekämpfen, weil<lb/>
ihre Verwandten sichs in den Kopf gesetzt haben, das Mädchen solle eine<lb/>
gute Partie machen. Giebt es denn nur eine bessere Partie, als eine Heirat<lb/>
zwischen jungen Leuten, die einander herzlich zugethan sind? Ich sollte meinen,<lb/>
daß selbst kleine und bedrängte äußere Verhältnisse sich angenehm und leicht ge¬<lb/>
stalten müßten, wenn Mann und Frau mit frischer Lebenslust zugreifen. So¬<lb/>
weit ich meinen Einfluß geltend machen kann, bin ich daher auch bestrebt, den<lb/>
Weg sür Millicent und diesen jungen Mann zu ebnen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2015"> Eberhardt dachte, daß diese herzliche Teilnahme am Geschick des Nächsten<lb/>
ein edler Zug im Charakter des großherzigen Mädchens sei. Er erwiederte in<lb/>
einer Weise, die seiner Sympathie mit ihren Anschauungen entsprach, und unter<lb/>
einem Gespräche, welches nicht ohne einen geheimen und unausgesprochenen, aber<lb/>
tiefinteressirendcn Hintergrund war, setzten sie ihren Weg fort, bis sie zu der Be¬<lb/>
sitzung des Grafen kamen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2016"> Sehen Sie dort die zackige Spitze auf der Höhe? sagte Dorothea, mit<lb/>
der Reitpeitsche nach dem fernen Horizont zeigend. Jetzt eben weht der See¬<lb/>
wind den Nebel fort &#x2014; da, jetzt ist sie schon wieder verschwunden. Das ist<lb/>
die Stelle, wo der Graf sein Nest erbaut hat. Es ist ein trauriges Geschick,<lb/>
das ihn dort in die Einsamkeit geführt hat, wohin wohl kaum je ein Fremder<lb/>
kommt, abgelegen von den Straßen des Verkehrs. Wir selbst leben ein bischen<lb/>
klösterlich, aber doch im Vergleich zum Grafen noch gesellig. Er sieht niemanden als<lb/>
das Geschlecht der Degenhard, Großvater, Vater und den Sohn, den wir vorhin<lb/>
im Walde begrüßten. Er besucht keinen Menschen außer uns, und wenn wir<lb/>
auf Reisen sind, lebt er ganz einsam. Und doch hat er ein weiches Herz, ja,<lb/>
ich möchte sagen, ein Herz, das zu weich ist für die harte Welt. Das<lb/>
wissen diejenigen am besten, die in Not sind. Wie konnte es nur ein<lb/>
Weib geben, das ihn betrügen, das die Liebe eines solchen Mannes verraten<lb/>
konnte!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2017"> Diese Einsamkeit ist verführerisch für einen Mann von reichern Gefühl,<lb/>
entgegnete Eberhardt. Ist nicht die Natur hier von einer erhabenen Größe?<lb/>
Ich höre schon ganz leise das Rauschen des Meeres, und gewiß hat man bei<lb/>
Heller Luft von jener Höhe einen weiten Blick über das Wasser hin. Ich muß<lb/>
gestehen, daß ich mich wohl in die Lage eines Mannes hineindenken kann, der<lb/>
die Menschen meidet, ohne sie zu hasse«, der die Menschheit im ganzen liebt,<lb/>
aber sich doch scheut, mit ihr im einzelnen zu Verkehren und den Umgang mit<lb/>
der wahrhaftigen Natur vorzieht.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0538] Sie Grafen von Altenschwerdt. Gesichtszügen, dem der spitze Hut keck auf dem bräunlichen Haar saß. Er trug einen grünen Jagdkittel und am Gurt ein Waidmesser. Daß doch so viel falsche Klugheit in der Welt ist und die Leute einander so unnütz quälen! sagte Dorothea, als sie den Fußgänger hinter sich zurück¬ gelassen hatten. Da haben nun Millicent und dieser brave junge Mann, die wie sür einander geschaffen sind, die größten Widerwärtigkeiten zu bekämpfen, weil ihre Verwandten sichs in den Kopf gesetzt haben, das Mädchen solle eine gute Partie machen. Giebt es denn nur eine bessere Partie, als eine Heirat zwischen jungen Leuten, die einander herzlich zugethan sind? Ich sollte meinen, daß selbst kleine und bedrängte äußere Verhältnisse sich angenehm und leicht ge¬ stalten müßten, wenn Mann und Frau mit frischer Lebenslust zugreifen. So¬ weit ich meinen Einfluß geltend machen kann, bin ich daher auch bestrebt, den Weg sür Millicent und diesen jungen Mann zu ebnen. Eberhardt dachte, daß diese herzliche Teilnahme am Geschick des Nächsten ein edler Zug im Charakter des großherzigen Mädchens sei. Er erwiederte in einer Weise, die seiner Sympathie mit ihren Anschauungen entsprach, und unter einem Gespräche, welches nicht ohne einen geheimen und unausgesprochenen, aber tiefinteressirendcn Hintergrund war, setzten sie ihren Weg fort, bis sie zu der Be¬ sitzung des Grafen kamen. Sehen Sie dort die zackige Spitze auf der Höhe? sagte Dorothea, mit der Reitpeitsche nach dem fernen Horizont zeigend. Jetzt eben weht der See¬ wind den Nebel fort — da, jetzt ist sie schon wieder verschwunden. Das ist die Stelle, wo der Graf sein Nest erbaut hat. Es ist ein trauriges Geschick, das ihn dort in die Einsamkeit geführt hat, wohin wohl kaum je ein Fremder kommt, abgelegen von den Straßen des Verkehrs. Wir selbst leben ein bischen klösterlich, aber doch im Vergleich zum Grafen noch gesellig. Er sieht niemanden als das Geschlecht der Degenhard, Großvater, Vater und den Sohn, den wir vorhin im Walde begrüßten. Er besucht keinen Menschen außer uns, und wenn wir auf Reisen sind, lebt er ganz einsam. Und doch hat er ein weiches Herz, ja, ich möchte sagen, ein Herz, das zu weich ist für die harte Welt. Das wissen diejenigen am besten, die in Not sind. Wie konnte es nur ein Weib geben, das ihn betrügen, das die Liebe eines solchen Mannes verraten konnte! Diese Einsamkeit ist verführerisch für einen Mann von reichern Gefühl, entgegnete Eberhardt. Ist nicht die Natur hier von einer erhabenen Größe? Ich höre schon ganz leise das Rauschen des Meeres, und gewiß hat man bei Heller Luft von jener Höhe einen weiten Blick über das Wasser hin. Ich muß gestehen, daß ich mich wohl in die Lage eines Mannes hineindenken kann, der die Menschen meidet, ohne sie zu hasse«, der die Menschheit im ganzen liebt, aber sich doch scheut, mit ihr im einzelnen zu Verkehren und den Umgang mit der wahrhaftigen Natur vorzieht.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/538
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/538>, abgerufen am 23.07.2024.