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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Henri Regnault.

Vergleichen ist, daß er ein Vulkan war, der wohl einmal eine Flammensäule
emporstoßen konnte, der aber damit seine Kraft erschöpft hatte. Von Rom
hatte er ein halbvvlleudetes Gemälde "Judith und Holofernes" mitgebracht,
welches ihn unablässig beschäftigte, und daneben tauchte bereits der Gedanke an
eine "Salome" auf.

Als Inhaber des römischen Preises hatte er die Verpflichtung, nicht nur
alljährlich Probe" von dem Fortgange seiner Studien, sondern auch eine Kopie
nach dem Gemälde eines klassischen Meisters abzusenden. Für diesen letztern
Zweck wählte er das unter dem Namen I^s liiMWs (Die Lanzen) bekannte
Bild des Vclasquez im Museo del Prado in Madrid, welches, die Übergabe
von Breda darstellend, jenen Namen von den in die Höhe gerichteten Lanzen
der Leibgarde Spinolas erhalten hat. Die Wahl dieses Gemäldes, welches
einen historischen Vorgang einfach und schlicht erzählt, beweist, daß er sich
damals noch in der gleichsam epischen Stimmung befand, welche die Beschäf¬
tigung mit dem Bildnisse Prius in ihm, wenn auch nur vorübergehend, erzeugt
hatte. Eine Kopie von diplomatischer Treue vermochte er freilich nicht zu
liefern. Er nahm: an, daß die Zeit dem ursprünglichen Glänze der Farben
Abbruch gethan hätte, und malte das Bild so, wie er glaubte, daß es zu den
Zeiten des Velasquez ausgesehen haben würde. Es steckte in ihm ein gutes
Stück vou dem leidenschaftlichen Eifer jener politischen Parteien, die man, je
nach ihrem Vaterlande, Exaltados oder Progressionisten nannte. "In Spanien,"
sagt Charles Blanc treffend, "ist er ebensosehr und vielleicht noch mehr Spanier
als es Ribera und Zurbaran waren, was die outrirteu Aquarellen und die
furios hingeworfenen Gemälde beweisen, welche rohe Arragonier, Maultiertreiber
vou La Manea, schwarzbraune Andalusier, Bewohnerinnen von Madrid und
Basta darstellen. In Marokko ist er noch afrikanischer, noch mehr Araber,
Beduine, Maure als Delacroix." Im Frühling ging er wieder nach Rom
zurück, um seine zurückgebliebenen Sachen für den Transport nach Spanien zu
ordnen. Während dieser Zeit begann er seine "Salome," welche der erste
Schritt auf dem Wege war, den Regnault für den richtigen hielt. Es kam ihm
garnicht darauf an, den Vorgang nach der biblischen Überlieferung zu schildern.
Er ließ deshalb auch das Haupt Johannes des Täufers weg, das sich sonst
die Maler, welche an dieser Szene Gefallen fanden, niemals haben entgehen
lassen, und konzentrirte das Interesse allein auf die Gestalt der Salome, in welcher
er den Dänion der blutdürstigen Wollust mit einem infernalischen Raffinement
Personifizirte. Diese Absicht des Künstlers trat mit der Zeit so sehr in den Vorder¬
grund, daß er das ursprüngliche Motiv ganz vergaß. "Salome ist ein Name,"
schrieb er, "der nicht bizarr genug ist; ich möchte einen Namen haben, den niemand
aussprechen kann." Im Anfang des August ging er zum zweitenmal? nach Spanien
und zwar zunächst nach Alicante, wo er sich mit seinem Freunde Clairin eine Zeit
lang aufhielt. Dann begaben sich beide nach Granada, und hier, im Angesichte der


Henri Regnault.

Vergleichen ist, daß er ein Vulkan war, der wohl einmal eine Flammensäule
emporstoßen konnte, der aber damit seine Kraft erschöpft hatte. Von Rom
hatte er ein halbvvlleudetes Gemälde „Judith und Holofernes" mitgebracht,
welches ihn unablässig beschäftigte, und daneben tauchte bereits der Gedanke an
eine „Salome" auf.

Als Inhaber des römischen Preises hatte er die Verpflichtung, nicht nur
alljährlich Probe» von dem Fortgange seiner Studien, sondern auch eine Kopie
nach dem Gemälde eines klassischen Meisters abzusenden. Für diesen letztern
Zweck wählte er das unter dem Namen I^s liiMWs (Die Lanzen) bekannte
Bild des Vclasquez im Museo del Prado in Madrid, welches, die Übergabe
von Breda darstellend, jenen Namen von den in die Höhe gerichteten Lanzen
der Leibgarde Spinolas erhalten hat. Die Wahl dieses Gemäldes, welches
einen historischen Vorgang einfach und schlicht erzählt, beweist, daß er sich
damals noch in der gleichsam epischen Stimmung befand, welche die Beschäf¬
tigung mit dem Bildnisse Prius in ihm, wenn auch nur vorübergehend, erzeugt
hatte. Eine Kopie von diplomatischer Treue vermochte er freilich nicht zu
liefern. Er nahm: an, daß die Zeit dem ursprünglichen Glänze der Farben
Abbruch gethan hätte, und malte das Bild so, wie er glaubte, daß es zu den
Zeiten des Velasquez ausgesehen haben würde. Es steckte in ihm ein gutes
Stück vou dem leidenschaftlichen Eifer jener politischen Parteien, die man, je
nach ihrem Vaterlande, Exaltados oder Progressionisten nannte. „In Spanien,"
sagt Charles Blanc treffend, „ist er ebensosehr und vielleicht noch mehr Spanier
als es Ribera und Zurbaran waren, was die outrirteu Aquarellen und die
furios hingeworfenen Gemälde beweisen, welche rohe Arragonier, Maultiertreiber
vou La Manea, schwarzbraune Andalusier, Bewohnerinnen von Madrid und
Basta darstellen. In Marokko ist er noch afrikanischer, noch mehr Araber,
Beduine, Maure als Delacroix." Im Frühling ging er wieder nach Rom
zurück, um seine zurückgebliebenen Sachen für den Transport nach Spanien zu
ordnen. Während dieser Zeit begann er seine „Salome," welche der erste
Schritt auf dem Wege war, den Regnault für den richtigen hielt. Es kam ihm
garnicht darauf an, den Vorgang nach der biblischen Überlieferung zu schildern.
Er ließ deshalb auch das Haupt Johannes des Täufers weg, das sich sonst
die Maler, welche an dieser Szene Gefallen fanden, niemals haben entgehen
lassen, und konzentrirte das Interesse allein auf die Gestalt der Salome, in welcher
er den Dänion der blutdürstigen Wollust mit einem infernalischen Raffinement
Personifizirte. Diese Absicht des Künstlers trat mit der Zeit so sehr in den Vorder¬
grund, daß er das ursprüngliche Motiv ganz vergaß. „Salome ist ein Name,"
schrieb er, „der nicht bizarr genug ist; ich möchte einen Namen haben, den niemand
aussprechen kann." Im Anfang des August ging er zum zweitenmal? nach Spanien
und zwar zunächst nach Alicante, wo er sich mit seinem Freunde Clairin eine Zeit
lang aufhielt. Dann begaben sich beide nach Granada, und hier, im Angesichte der


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[0531] Henri Regnault. Vergleichen ist, daß er ein Vulkan war, der wohl einmal eine Flammensäule emporstoßen konnte, der aber damit seine Kraft erschöpft hatte. Von Rom hatte er ein halbvvlleudetes Gemälde „Judith und Holofernes" mitgebracht, welches ihn unablässig beschäftigte, und daneben tauchte bereits der Gedanke an eine „Salome" auf. Als Inhaber des römischen Preises hatte er die Verpflichtung, nicht nur alljährlich Probe» von dem Fortgange seiner Studien, sondern auch eine Kopie nach dem Gemälde eines klassischen Meisters abzusenden. Für diesen letztern Zweck wählte er das unter dem Namen I^s liiMWs (Die Lanzen) bekannte Bild des Vclasquez im Museo del Prado in Madrid, welches, die Übergabe von Breda darstellend, jenen Namen von den in die Höhe gerichteten Lanzen der Leibgarde Spinolas erhalten hat. Die Wahl dieses Gemäldes, welches einen historischen Vorgang einfach und schlicht erzählt, beweist, daß er sich damals noch in der gleichsam epischen Stimmung befand, welche die Beschäf¬ tigung mit dem Bildnisse Prius in ihm, wenn auch nur vorübergehend, erzeugt hatte. Eine Kopie von diplomatischer Treue vermochte er freilich nicht zu liefern. Er nahm: an, daß die Zeit dem ursprünglichen Glänze der Farben Abbruch gethan hätte, und malte das Bild so, wie er glaubte, daß es zu den Zeiten des Velasquez ausgesehen haben würde. Es steckte in ihm ein gutes Stück vou dem leidenschaftlichen Eifer jener politischen Parteien, die man, je nach ihrem Vaterlande, Exaltados oder Progressionisten nannte. „In Spanien," sagt Charles Blanc treffend, „ist er ebensosehr und vielleicht noch mehr Spanier als es Ribera und Zurbaran waren, was die outrirteu Aquarellen und die furios hingeworfenen Gemälde beweisen, welche rohe Arragonier, Maultiertreiber vou La Manea, schwarzbraune Andalusier, Bewohnerinnen von Madrid und Basta darstellen. In Marokko ist er noch afrikanischer, noch mehr Araber, Beduine, Maure als Delacroix." Im Frühling ging er wieder nach Rom zurück, um seine zurückgebliebenen Sachen für den Transport nach Spanien zu ordnen. Während dieser Zeit begann er seine „Salome," welche der erste Schritt auf dem Wege war, den Regnault für den richtigen hielt. Es kam ihm garnicht darauf an, den Vorgang nach der biblischen Überlieferung zu schildern. Er ließ deshalb auch das Haupt Johannes des Täufers weg, das sich sonst die Maler, welche an dieser Szene Gefallen fanden, niemals haben entgehen lassen, und konzentrirte das Interesse allein auf die Gestalt der Salome, in welcher er den Dänion der blutdürstigen Wollust mit einem infernalischen Raffinement Personifizirte. Diese Absicht des Künstlers trat mit der Zeit so sehr in den Vorder¬ grund, daß er das ursprüngliche Motiv ganz vergaß. „Salome ist ein Name," schrieb er, „der nicht bizarr genug ist; ich möchte einen Namen haben, den niemand aussprechen kann." Im Anfang des August ging er zum zweitenmal? nach Spanien und zwar zunächst nach Alicante, wo er sich mit seinem Freunde Clairin eine Zeit lang aufhielt. Dann begaben sich beide nach Granada, und hier, im Angesichte der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/531>, abgerufen am 23.07.2024.