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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Henri Regnault.

großen Maler des Landes, von Velasquez, mit Erfolg angewendeten Kunst¬
griffs. Er setzte die schmächtige Gestalt unbedeckten Hauptes auf einen mäch¬
tigen andalusischen Hengst von schwarzer Farbe und verlieh so dem Reiter den
heroischen Charakter, welchen die Natur seinem Äußern versagt hatte. Die
prächtigsten Pferde der königlichen Marseille waren dem Maler, der ohnehin
mit der Natur des edeln Tieres aufs innigste vertraut war, zur Verfügung
gestellt worden. Er schlug sein Atelier in einer Wagenremise auf, in deren
Nähe sich eine Reitbahn befand, in welcher ihm Stallknechte die Pferde vor¬
ritten, damit er ihre Bewegungen studiren konnte. Der Marschall hält auf
einer Anhöhe, über welche ein leichter Wind streicht, der mit seinen Haaren
und der Mähne des Pferdes spielt. Er hat mit kräftigem Ruck die Zügel
angezogen, sein Körper neigt sich etwas nach rückwärts, und das ungeduldige
Roß senkt, dem Drucke der Zügel wenn auch widerwillig gehorchend, sein
stolzes Haupt. Die dunkelgrüne Uniform ist bestaubt. Aber kräftig und mit
plastischer Ruhe heben sich Roß und Reiter von dem blauen Himmel und den
farbigen, bewegten Gruppen des Hintergrundes ab. Von der Anhöhe herab
bewegen sich nämlich die Soldaten der Revolutionsarmee der Ebene zu, wilde,
abenteuerliche Gestalten, die einen in Uniformen, die andern in malerischen
Lumpen, wie sie der Zufall zusammengewürfelt hatte, und über ihnen flattern
die bunten Fahnen in der Luft. Sie jauchzen ihrem Führer zu, welcher den
Ruhepunkt, den sichern Felsen in dieser bewegten Menge bildet. So gewann
dieses Bildnis zugleich einen historischen Charakter.

Aber der General selbst hatte für die großen Absichten des Malers kein Ver¬
ständnis und verweigerte ziemlich brüsk die Annahme des Porträts. Die Gründe,
weshalb er es ablehnte, sind nicht ganz bekannt. Der Hauptgrund war jedenfalls
der, daß der Marschall an der Soldateska im Hintergrunde Anstoß nahm, unter
welcher sich auch katalonische Bauern mit Dreschflegeln befanden. Er, der feine
Aristokrat, wollte nicht gern an den revolutionären Ursprung seiner Macht erinnert
sein. Auch fühlte sich seine Vorliebe für militärische Akkuratesse und Sauberkeit
durch die nachlässige Tracht und Haltung, welche Regnault als durch die Situation
begründet angenommen hatte, etwas verletzt. Er bestand auf einigen Änderungen,
und da sich Regnault nicht dazu verstehen wollte, behielt der Maler sein Bild.
Man darf wohl sagen, zum Glück, da das Meisterwerk des jungen Künstlers,
welches er durch seine spätern Arbeiten nicht wieder übertroffen hat, in eine
öffentliche Sammlung, erst in den Luxembourg, dann in das Louvre gekommen
ist und zugleich den Namen des Künstlers durch die Weltausstellungen von
Wien und Paris allgemein bekannt gemacht hat. Es ist eine jener Schöpfungen
vom Schlage des "Flosses der Medusa" und der "Barke des Dante," vor denen
man fühlt, daß in ihnen ein neuer Gedanke Gestalt gewonnen, daß in ihnen
el" reformatorischer Geist sein erstes Wort gesprochen hat. Aber Regnaults
fernere Laufbahn hat gezeigt, daß er mit jenen schöpferischen Genies nicht zu


Henri Regnault.

großen Maler des Landes, von Velasquez, mit Erfolg angewendeten Kunst¬
griffs. Er setzte die schmächtige Gestalt unbedeckten Hauptes auf einen mäch¬
tigen andalusischen Hengst von schwarzer Farbe und verlieh so dem Reiter den
heroischen Charakter, welchen die Natur seinem Äußern versagt hatte. Die
prächtigsten Pferde der königlichen Marseille waren dem Maler, der ohnehin
mit der Natur des edeln Tieres aufs innigste vertraut war, zur Verfügung
gestellt worden. Er schlug sein Atelier in einer Wagenremise auf, in deren
Nähe sich eine Reitbahn befand, in welcher ihm Stallknechte die Pferde vor¬
ritten, damit er ihre Bewegungen studiren konnte. Der Marschall hält auf
einer Anhöhe, über welche ein leichter Wind streicht, der mit seinen Haaren
und der Mähne des Pferdes spielt. Er hat mit kräftigem Ruck die Zügel
angezogen, sein Körper neigt sich etwas nach rückwärts, und das ungeduldige
Roß senkt, dem Drucke der Zügel wenn auch widerwillig gehorchend, sein
stolzes Haupt. Die dunkelgrüne Uniform ist bestaubt. Aber kräftig und mit
plastischer Ruhe heben sich Roß und Reiter von dem blauen Himmel und den
farbigen, bewegten Gruppen des Hintergrundes ab. Von der Anhöhe herab
bewegen sich nämlich die Soldaten der Revolutionsarmee der Ebene zu, wilde,
abenteuerliche Gestalten, die einen in Uniformen, die andern in malerischen
Lumpen, wie sie der Zufall zusammengewürfelt hatte, und über ihnen flattern
die bunten Fahnen in der Luft. Sie jauchzen ihrem Führer zu, welcher den
Ruhepunkt, den sichern Felsen in dieser bewegten Menge bildet. So gewann
dieses Bildnis zugleich einen historischen Charakter.

Aber der General selbst hatte für die großen Absichten des Malers kein Ver¬
ständnis und verweigerte ziemlich brüsk die Annahme des Porträts. Die Gründe,
weshalb er es ablehnte, sind nicht ganz bekannt. Der Hauptgrund war jedenfalls
der, daß der Marschall an der Soldateska im Hintergrunde Anstoß nahm, unter
welcher sich auch katalonische Bauern mit Dreschflegeln befanden. Er, der feine
Aristokrat, wollte nicht gern an den revolutionären Ursprung seiner Macht erinnert
sein. Auch fühlte sich seine Vorliebe für militärische Akkuratesse und Sauberkeit
durch die nachlässige Tracht und Haltung, welche Regnault als durch die Situation
begründet angenommen hatte, etwas verletzt. Er bestand auf einigen Änderungen,
und da sich Regnault nicht dazu verstehen wollte, behielt der Maler sein Bild.
Man darf wohl sagen, zum Glück, da das Meisterwerk des jungen Künstlers,
welches er durch seine spätern Arbeiten nicht wieder übertroffen hat, in eine
öffentliche Sammlung, erst in den Luxembourg, dann in das Louvre gekommen
ist und zugleich den Namen des Künstlers durch die Weltausstellungen von
Wien und Paris allgemein bekannt gemacht hat. Es ist eine jener Schöpfungen
vom Schlage des „Flosses der Medusa" und der „Barke des Dante," vor denen
man fühlt, daß in ihnen ein neuer Gedanke Gestalt gewonnen, daß in ihnen
el» reformatorischer Geist sein erstes Wort gesprochen hat. Aber Regnaults
fernere Laufbahn hat gezeigt, daß er mit jenen schöpferischen Genies nicht zu


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[0530] Henri Regnault. großen Maler des Landes, von Velasquez, mit Erfolg angewendeten Kunst¬ griffs. Er setzte die schmächtige Gestalt unbedeckten Hauptes auf einen mäch¬ tigen andalusischen Hengst von schwarzer Farbe und verlieh so dem Reiter den heroischen Charakter, welchen die Natur seinem Äußern versagt hatte. Die prächtigsten Pferde der königlichen Marseille waren dem Maler, der ohnehin mit der Natur des edeln Tieres aufs innigste vertraut war, zur Verfügung gestellt worden. Er schlug sein Atelier in einer Wagenremise auf, in deren Nähe sich eine Reitbahn befand, in welcher ihm Stallknechte die Pferde vor¬ ritten, damit er ihre Bewegungen studiren konnte. Der Marschall hält auf einer Anhöhe, über welche ein leichter Wind streicht, der mit seinen Haaren und der Mähne des Pferdes spielt. Er hat mit kräftigem Ruck die Zügel angezogen, sein Körper neigt sich etwas nach rückwärts, und das ungeduldige Roß senkt, dem Drucke der Zügel wenn auch widerwillig gehorchend, sein stolzes Haupt. Die dunkelgrüne Uniform ist bestaubt. Aber kräftig und mit plastischer Ruhe heben sich Roß und Reiter von dem blauen Himmel und den farbigen, bewegten Gruppen des Hintergrundes ab. Von der Anhöhe herab bewegen sich nämlich die Soldaten der Revolutionsarmee der Ebene zu, wilde, abenteuerliche Gestalten, die einen in Uniformen, die andern in malerischen Lumpen, wie sie der Zufall zusammengewürfelt hatte, und über ihnen flattern die bunten Fahnen in der Luft. Sie jauchzen ihrem Führer zu, welcher den Ruhepunkt, den sichern Felsen in dieser bewegten Menge bildet. So gewann dieses Bildnis zugleich einen historischen Charakter. Aber der General selbst hatte für die großen Absichten des Malers kein Ver¬ ständnis und verweigerte ziemlich brüsk die Annahme des Porträts. Die Gründe, weshalb er es ablehnte, sind nicht ganz bekannt. Der Hauptgrund war jedenfalls der, daß der Marschall an der Soldateska im Hintergrunde Anstoß nahm, unter welcher sich auch katalonische Bauern mit Dreschflegeln befanden. Er, der feine Aristokrat, wollte nicht gern an den revolutionären Ursprung seiner Macht erinnert sein. Auch fühlte sich seine Vorliebe für militärische Akkuratesse und Sauberkeit durch die nachlässige Tracht und Haltung, welche Regnault als durch die Situation begründet angenommen hatte, etwas verletzt. Er bestand auf einigen Änderungen, und da sich Regnault nicht dazu verstehen wollte, behielt der Maler sein Bild. Man darf wohl sagen, zum Glück, da das Meisterwerk des jungen Künstlers, welches er durch seine spätern Arbeiten nicht wieder übertroffen hat, in eine öffentliche Sammlung, erst in den Luxembourg, dann in das Louvre gekommen ist und zugleich den Namen des Künstlers durch die Weltausstellungen von Wien und Paris allgemein bekannt gemacht hat. Es ist eine jener Schöpfungen vom Schlage des „Flosses der Medusa" und der „Barke des Dante," vor denen man fühlt, daß in ihnen ein neuer Gedanke Gestalt gewonnen, daß in ihnen el» reformatorischer Geist sein erstes Wort gesprochen hat. Aber Regnaults fernere Laufbahn hat gezeigt, daß er mit jenen schöpferischen Genies nicht zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/530>, abgerufen am 23.07.2024.