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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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verlieren, welches sie zwei oder drei Jahre lang sehen sollen." Regnault trug
sich also bereits mit Plänen, welche nachmals der abenteuerliche Russe Wereschagin
verwirklichte. Wenn Regnaults Laufbahn nicht ein so frühzeitiges Ende ge¬
funden Hütte, wäre er nach diesem Programm im günstigsten Falle ein Ethno¬
graph mit dem Pinsel oder, wie sich Claretin treffend ausdrückt, "ein Universal¬
lexikon der Farbe" geworden. Da er sich durch einen Sturz vom Pferde und
durch das römische Klima eine Erschütterung seiner Konstitution zugezogen hatte,
welche ihm gefährlich zu werden drohte, wurde die Erfüllung seiner Wünsche
erleichtert. Im September 1868 begab er sich nach Spanien. Anfangs machte
ihm die Roheit der Stierkämpfe einen peinlichen Eindruck. Aber zu gleicher
Zeit wurde sein Auge durch die farbige Pracht der Kostüme, welche die Pica-
dores trugen, versöhnt, und er gewöhnte sich so schnell an diese grausamen
Schauspiele, daß er den Plan faßte, eine Judith mit dem Haupte des Holo-
fernes zu malen. Er suchte in Madrid mit Vorliebe die Lokale auf, in welchen
sich das niedrige Volk, Droschkenkutscher, Portiers und Obsthändler, vergnügten.
"Schreckliche Physiognomien" bekam er da zu sehen, aber auch eine Volkssängerin
Doloris, deren Altstimme, deren Mund und Lippen, deren Haare "geringelt
wie Schlangen und von prächtigstem Schwarz" ihn derartig begeisterten, daß
er sie als Modell für seine Judith benutzen wollte. Goyas charaktervolle
Typen aus dem Volksleben haben ihn in erster Linie dazu veranlaßt, sich mit
den Gewohnheiten des Volkes vertraut zu machen. Daneben war er auch ein
gern gesehener Gast in den Salons der vornehmen Gesellschaft, in welcher er
einflußreiche Gönner fand, die auch seine Bekanntschaft mit dem General Prim
vermittelten. Im Salon von 1868 hatte er bereits durch ein weibliches Porträt
die Hoffnungen, welche man auf ihn gesetzt hatte, gerechtfertigt. Der Salon von
1869 führte ihn durch sein Nciterporträt des Generals Prim mit einem
Schlage in die Reihe der gefeiertsten Maler Frankreichs.

Regnault war während der Revolution in Madrid geblieben und hatte mit
Spannung die Ereignisse verfolgt, aus deren Mitte die Heldengestalt Juan
Prius hervortrat, dessen romantisches Leben die leicht entzündliche Phantasie
des jungen Malers in Flammen setzte. Er nannte in einem Briefe die Em¬
pörung der Spanier gegen die bourbonische Königin "eine Musterrevolution,
die erste kluge und vernünftige Revolution, welche es gegeben hat." Alles war
glatt und ruhig abgelaufen; nicht ein Tropfen Blut war geflossen. Aber
darum war der Jubel nicht minder laut und eifrig, welcher den siegreichen
Führer am 8. Oktober 1863 bei seinem Einzuge in Madrid empfing. Diesen
Moment des größten Enthusiasmus griff Regnault auf, nachdem er die Er¬
laubnis erhalten hatte, den General zu Porträtiren. Prim war ein Mann
von nur mittelgroßer Gestalt und von blasser Gesichtsfarbe, und deshalb be¬
diente sich Regnault eines schon von den antiken Künstlern, von den großen
Bildhauern der Renaissance, von Domtello und Verrocchio, auch von dem


Grenzboten I. 1383. 66
Henri Regnault.

verlieren, welches sie zwei oder drei Jahre lang sehen sollen." Regnault trug
sich also bereits mit Plänen, welche nachmals der abenteuerliche Russe Wereschagin
verwirklichte. Wenn Regnaults Laufbahn nicht ein so frühzeitiges Ende ge¬
funden Hütte, wäre er nach diesem Programm im günstigsten Falle ein Ethno¬
graph mit dem Pinsel oder, wie sich Claretin treffend ausdrückt, „ein Universal¬
lexikon der Farbe" geworden. Da er sich durch einen Sturz vom Pferde und
durch das römische Klima eine Erschütterung seiner Konstitution zugezogen hatte,
welche ihm gefährlich zu werden drohte, wurde die Erfüllung seiner Wünsche
erleichtert. Im September 1868 begab er sich nach Spanien. Anfangs machte
ihm die Roheit der Stierkämpfe einen peinlichen Eindruck. Aber zu gleicher
Zeit wurde sein Auge durch die farbige Pracht der Kostüme, welche die Pica-
dores trugen, versöhnt, und er gewöhnte sich so schnell an diese grausamen
Schauspiele, daß er den Plan faßte, eine Judith mit dem Haupte des Holo-
fernes zu malen. Er suchte in Madrid mit Vorliebe die Lokale auf, in welchen
sich das niedrige Volk, Droschkenkutscher, Portiers und Obsthändler, vergnügten.
„Schreckliche Physiognomien" bekam er da zu sehen, aber auch eine Volkssängerin
Doloris, deren Altstimme, deren Mund und Lippen, deren Haare „geringelt
wie Schlangen und von prächtigstem Schwarz" ihn derartig begeisterten, daß
er sie als Modell für seine Judith benutzen wollte. Goyas charaktervolle
Typen aus dem Volksleben haben ihn in erster Linie dazu veranlaßt, sich mit
den Gewohnheiten des Volkes vertraut zu machen. Daneben war er auch ein
gern gesehener Gast in den Salons der vornehmen Gesellschaft, in welcher er
einflußreiche Gönner fand, die auch seine Bekanntschaft mit dem General Prim
vermittelten. Im Salon von 1868 hatte er bereits durch ein weibliches Porträt
die Hoffnungen, welche man auf ihn gesetzt hatte, gerechtfertigt. Der Salon von
1869 führte ihn durch sein Nciterporträt des Generals Prim mit einem
Schlage in die Reihe der gefeiertsten Maler Frankreichs.

Regnault war während der Revolution in Madrid geblieben und hatte mit
Spannung die Ereignisse verfolgt, aus deren Mitte die Heldengestalt Juan
Prius hervortrat, dessen romantisches Leben die leicht entzündliche Phantasie
des jungen Malers in Flammen setzte. Er nannte in einem Briefe die Em¬
pörung der Spanier gegen die bourbonische Königin „eine Musterrevolution,
die erste kluge und vernünftige Revolution, welche es gegeben hat." Alles war
glatt und ruhig abgelaufen; nicht ein Tropfen Blut war geflossen. Aber
darum war der Jubel nicht minder laut und eifrig, welcher den siegreichen
Führer am 8. Oktober 1863 bei seinem Einzuge in Madrid empfing. Diesen
Moment des größten Enthusiasmus griff Regnault auf, nachdem er die Er¬
laubnis erhalten hatte, den General zu Porträtiren. Prim war ein Mann
von nur mittelgroßer Gestalt und von blasser Gesichtsfarbe, und deshalb be¬
diente sich Regnault eines schon von den antiken Künstlern, von den großen
Bildhauern der Renaissance, von Domtello und Verrocchio, auch von dem


Grenzboten I. 1383. 66
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[0529] Henri Regnault. verlieren, welches sie zwei oder drei Jahre lang sehen sollen." Regnault trug sich also bereits mit Plänen, welche nachmals der abenteuerliche Russe Wereschagin verwirklichte. Wenn Regnaults Laufbahn nicht ein so frühzeitiges Ende ge¬ funden Hütte, wäre er nach diesem Programm im günstigsten Falle ein Ethno¬ graph mit dem Pinsel oder, wie sich Claretin treffend ausdrückt, „ein Universal¬ lexikon der Farbe" geworden. Da er sich durch einen Sturz vom Pferde und durch das römische Klima eine Erschütterung seiner Konstitution zugezogen hatte, welche ihm gefährlich zu werden drohte, wurde die Erfüllung seiner Wünsche erleichtert. Im September 1868 begab er sich nach Spanien. Anfangs machte ihm die Roheit der Stierkämpfe einen peinlichen Eindruck. Aber zu gleicher Zeit wurde sein Auge durch die farbige Pracht der Kostüme, welche die Pica- dores trugen, versöhnt, und er gewöhnte sich so schnell an diese grausamen Schauspiele, daß er den Plan faßte, eine Judith mit dem Haupte des Holo- fernes zu malen. Er suchte in Madrid mit Vorliebe die Lokale auf, in welchen sich das niedrige Volk, Droschkenkutscher, Portiers und Obsthändler, vergnügten. „Schreckliche Physiognomien" bekam er da zu sehen, aber auch eine Volkssängerin Doloris, deren Altstimme, deren Mund und Lippen, deren Haare „geringelt wie Schlangen und von prächtigstem Schwarz" ihn derartig begeisterten, daß er sie als Modell für seine Judith benutzen wollte. Goyas charaktervolle Typen aus dem Volksleben haben ihn in erster Linie dazu veranlaßt, sich mit den Gewohnheiten des Volkes vertraut zu machen. Daneben war er auch ein gern gesehener Gast in den Salons der vornehmen Gesellschaft, in welcher er einflußreiche Gönner fand, die auch seine Bekanntschaft mit dem General Prim vermittelten. Im Salon von 1868 hatte er bereits durch ein weibliches Porträt die Hoffnungen, welche man auf ihn gesetzt hatte, gerechtfertigt. Der Salon von 1869 führte ihn durch sein Nciterporträt des Generals Prim mit einem Schlage in die Reihe der gefeiertsten Maler Frankreichs. Regnault war während der Revolution in Madrid geblieben und hatte mit Spannung die Ereignisse verfolgt, aus deren Mitte die Heldengestalt Juan Prius hervortrat, dessen romantisches Leben die leicht entzündliche Phantasie des jungen Malers in Flammen setzte. Er nannte in einem Briefe die Em¬ pörung der Spanier gegen die bourbonische Königin „eine Musterrevolution, die erste kluge und vernünftige Revolution, welche es gegeben hat." Alles war glatt und ruhig abgelaufen; nicht ein Tropfen Blut war geflossen. Aber darum war der Jubel nicht minder laut und eifrig, welcher den siegreichen Führer am 8. Oktober 1863 bei seinem Einzuge in Madrid empfing. Diesen Moment des größten Enthusiasmus griff Regnault auf, nachdem er die Er¬ laubnis erhalten hatte, den General zu Porträtiren. Prim war ein Mann von nur mittelgroßer Gestalt und von blasser Gesichtsfarbe, und deshalb be¬ diente sich Regnault eines schon von den antiken Künstlern, von den großen Bildhauern der Renaissance, von Domtello und Verrocchio, auch von dem Grenzboten I. 1383. 66

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/529>, abgerufen am 25.08.2024.