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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Henri Regnault.

Modellirung und in ihrer Bewegung, Das Kolorit, mit welchem diese Formen
bekleidet sind, dient mir dazu, um sie besser hervortreten zu lassen. Ganz im
Gegenteil verherrlichte die Schule, von welcher sich Regnault treiben ließ und
deren glänzendes und gefeiertes Haupt er werden sollte, eine Kunst, welche den
Literaturen in Zeiten des Verfalles gleicht, in welchen die Würde des Inhalts
unter dem Flitter des Stils verschwindet," Diese für die ganze moderne Historien¬
malerei Frankreichs zutreffende Kritik aus der Feder eiues Franzosen ist umso wert¬
voller, als die meisten Franzosen gar kein Auge, gar kein Verständnis für die schiefe
Ebene haben, auf welcher sich ihre Historienmalerei abwärts bewegt, gar kein
Gefühl für die widerwärtige Blut- und Leichenmalerei, welcher Regnault und
alle übrigen mit leidenschaftlicher Hingabe huldigten und huldigen, Charles
Biene nennt selbst Paul de Saint-Victor einen Kritiker mit scharfem Blicke, weil
er darauf hingewiesen hat, daß Henri Regnault, ein junger Mann von liebe¬
vollem Charakter und von hingebender Güte für seine Freunde, eine sonderbare
Vorliebe für Szenen des Mordes hatte. Mit einem bis zu dem feinsten Raf¬
finement zarten Pinsel liebte er es, blutige Dramen zu malen, den Blitz schnei¬
diger Schwerter und das Grausen abgeschlagener Köpfe. Mit einem Kolorit,
welches heiter und festlich, herb und köstlich zugleich war, stellt er mit Vorliebe
den maurischen Henker dar, welcher nach einer Hinrichtung seinen Säbel ab¬
wischt, und die Tänzerin Salome, welche mit lüsternem Lächeln auf die Ent¬
hauptung Johannes des Täufers wartet.

Neguaults kurze Lebensgeschichte, vor allem aber seine brieflichen Auf¬
zeichnungen lehren uns, daß er trotz großer Gemütstiefe als Künstler der spe¬
zifisch malerischen Anschauung folgte, welche nur die Oberfläche der Dinge streift.
Seine Leidenschaft war nur Strohfeuer, sie kam meist aus dem Grunde eines
Feuergeistes herauf^ nicht die verzehrende, aber immer sich erneuende Flamme
des Genies war sein Leitstern, sondern die Caprice lind Nervosität, welche sein
Auge unersättlich machten und ihn in ungemessene Formen trieben. Geboren
am 30. Oktober 1843 in Paris als der Sohn eines hervorragenden Chemikers,
der später Direktor der Porzcllanmamifaktur in Sevres wurde, gab er schon
frühzeitig Beweise eines ungewöhnlichen Talentes, indem er, wie Gerieault, mit
welchem er auch in seinem kurzen, meteorartigen Lebenslaufe und in der Kühnheit
seiner realistischen Bestrebungen Ähnlichkeiten hat, Tiere, besonders Pferde zeichnete.
Seine Schulstudieu wurden jedoch durch den leidenschaftlichen Trieb zum Zeichnen
nicht vernachlässigt. Als er sie beendet hatte, trat er in das Atelier von Lamothe,
eines Schülers von Ingres. Hier erwarteten ihn nur Enttäuschungen, da die
stilisirende Methode seines Lehrers den auf eigene Hand in den zoologischen
Gärten und Tierställen gewonnenen Naturstudien entgegenlief. Sein Auge
sehnte sich nach der Farbe, und er hielt sich deshalb mehr an die Koloristen
des Louvre, Rubens, Tizian und Veronese, als an das freudlose und frostige
Rezept seines Lehrers. Solange er sich aus Respekt an die Unterweisungen des


Henri Regnault.

Modellirung und in ihrer Bewegung, Das Kolorit, mit welchem diese Formen
bekleidet sind, dient mir dazu, um sie besser hervortreten zu lassen. Ganz im
Gegenteil verherrlichte die Schule, von welcher sich Regnault treiben ließ und
deren glänzendes und gefeiertes Haupt er werden sollte, eine Kunst, welche den
Literaturen in Zeiten des Verfalles gleicht, in welchen die Würde des Inhalts
unter dem Flitter des Stils verschwindet," Diese für die ganze moderne Historien¬
malerei Frankreichs zutreffende Kritik aus der Feder eiues Franzosen ist umso wert¬
voller, als die meisten Franzosen gar kein Auge, gar kein Verständnis für die schiefe
Ebene haben, auf welcher sich ihre Historienmalerei abwärts bewegt, gar kein
Gefühl für die widerwärtige Blut- und Leichenmalerei, welcher Regnault und
alle übrigen mit leidenschaftlicher Hingabe huldigten und huldigen, Charles
Biene nennt selbst Paul de Saint-Victor einen Kritiker mit scharfem Blicke, weil
er darauf hingewiesen hat, daß Henri Regnault, ein junger Mann von liebe¬
vollem Charakter und von hingebender Güte für seine Freunde, eine sonderbare
Vorliebe für Szenen des Mordes hatte. Mit einem bis zu dem feinsten Raf¬
finement zarten Pinsel liebte er es, blutige Dramen zu malen, den Blitz schnei¬
diger Schwerter und das Grausen abgeschlagener Köpfe. Mit einem Kolorit,
welches heiter und festlich, herb und köstlich zugleich war, stellt er mit Vorliebe
den maurischen Henker dar, welcher nach einer Hinrichtung seinen Säbel ab¬
wischt, und die Tänzerin Salome, welche mit lüsternem Lächeln auf die Ent¬
hauptung Johannes des Täufers wartet.

Neguaults kurze Lebensgeschichte, vor allem aber seine brieflichen Auf¬
zeichnungen lehren uns, daß er trotz großer Gemütstiefe als Künstler der spe¬
zifisch malerischen Anschauung folgte, welche nur die Oberfläche der Dinge streift.
Seine Leidenschaft war nur Strohfeuer, sie kam meist aus dem Grunde eines
Feuergeistes herauf^ nicht die verzehrende, aber immer sich erneuende Flamme
des Genies war sein Leitstern, sondern die Caprice lind Nervosität, welche sein
Auge unersättlich machten und ihn in ungemessene Formen trieben. Geboren
am 30. Oktober 1843 in Paris als der Sohn eines hervorragenden Chemikers,
der später Direktor der Porzcllanmamifaktur in Sevres wurde, gab er schon
frühzeitig Beweise eines ungewöhnlichen Talentes, indem er, wie Gerieault, mit
welchem er auch in seinem kurzen, meteorartigen Lebenslaufe und in der Kühnheit
seiner realistischen Bestrebungen Ähnlichkeiten hat, Tiere, besonders Pferde zeichnete.
Seine Schulstudieu wurden jedoch durch den leidenschaftlichen Trieb zum Zeichnen
nicht vernachlässigt. Als er sie beendet hatte, trat er in das Atelier von Lamothe,
eines Schülers von Ingres. Hier erwarteten ihn nur Enttäuschungen, da die
stilisirende Methode seines Lehrers den auf eigene Hand in den zoologischen
Gärten und Tierställen gewonnenen Naturstudien entgegenlief. Sein Auge
sehnte sich nach der Farbe, und er hielt sich deshalb mehr an die Koloristen
des Louvre, Rubens, Tizian und Veronese, als an das freudlose und frostige
Rezept seines Lehrers. Solange er sich aus Respekt an die Unterweisungen des


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[0527] Henri Regnault. Modellirung und in ihrer Bewegung, Das Kolorit, mit welchem diese Formen bekleidet sind, dient mir dazu, um sie besser hervortreten zu lassen. Ganz im Gegenteil verherrlichte die Schule, von welcher sich Regnault treiben ließ und deren glänzendes und gefeiertes Haupt er werden sollte, eine Kunst, welche den Literaturen in Zeiten des Verfalles gleicht, in welchen die Würde des Inhalts unter dem Flitter des Stils verschwindet," Diese für die ganze moderne Historien¬ malerei Frankreichs zutreffende Kritik aus der Feder eiues Franzosen ist umso wert¬ voller, als die meisten Franzosen gar kein Auge, gar kein Verständnis für die schiefe Ebene haben, auf welcher sich ihre Historienmalerei abwärts bewegt, gar kein Gefühl für die widerwärtige Blut- und Leichenmalerei, welcher Regnault und alle übrigen mit leidenschaftlicher Hingabe huldigten und huldigen, Charles Biene nennt selbst Paul de Saint-Victor einen Kritiker mit scharfem Blicke, weil er darauf hingewiesen hat, daß Henri Regnault, ein junger Mann von liebe¬ vollem Charakter und von hingebender Güte für seine Freunde, eine sonderbare Vorliebe für Szenen des Mordes hatte. Mit einem bis zu dem feinsten Raf¬ finement zarten Pinsel liebte er es, blutige Dramen zu malen, den Blitz schnei¬ diger Schwerter und das Grausen abgeschlagener Köpfe. Mit einem Kolorit, welches heiter und festlich, herb und köstlich zugleich war, stellt er mit Vorliebe den maurischen Henker dar, welcher nach einer Hinrichtung seinen Säbel ab¬ wischt, und die Tänzerin Salome, welche mit lüsternem Lächeln auf die Ent¬ hauptung Johannes des Täufers wartet. Neguaults kurze Lebensgeschichte, vor allem aber seine brieflichen Auf¬ zeichnungen lehren uns, daß er trotz großer Gemütstiefe als Künstler der spe¬ zifisch malerischen Anschauung folgte, welche nur die Oberfläche der Dinge streift. Seine Leidenschaft war nur Strohfeuer, sie kam meist aus dem Grunde eines Feuergeistes herauf^ nicht die verzehrende, aber immer sich erneuende Flamme des Genies war sein Leitstern, sondern die Caprice lind Nervosität, welche sein Auge unersättlich machten und ihn in ungemessene Formen trieben. Geboren am 30. Oktober 1843 in Paris als der Sohn eines hervorragenden Chemikers, der später Direktor der Porzcllanmamifaktur in Sevres wurde, gab er schon frühzeitig Beweise eines ungewöhnlichen Talentes, indem er, wie Gerieault, mit welchem er auch in seinem kurzen, meteorartigen Lebenslaufe und in der Kühnheit seiner realistischen Bestrebungen Ähnlichkeiten hat, Tiere, besonders Pferde zeichnete. Seine Schulstudieu wurden jedoch durch den leidenschaftlichen Trieb zum Zeichnen nicht vernachlässigt. Als er sie beendet hatte, trat er in das Atelier von Lamothe, eines Schülers von Ingres. Hier erwarteten ihn nur Enttäuschungen, da die stilisirende Methode seines Lehrers den auf eigene Hand in den zoologischen Gärten und Tierställen gewonnenen Naturstudien entgegenlief. Sein Auge sehnte sich nach der Farbe, und er hielt sich deshalb mehr an die Koloristen des Louvre, Rubens, Tizian und Veronese, als an das freudlose und frostige Rezept seines Lehrers. Solange er sich aus Respekt an die Unterweisungen des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/527>, abgerufen am 23.07.2024.