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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Ein "euer Kommentar zu Goethes Gedichten,

schon eine lange Reihe von Jahren sich derart des Rufes einer Autorität auf
diesem Gebiete erfreut, daß jeder, der deu geringste" Beitrag zur Goetheforschung
veröffentlicht hat, es sich zur Ehre rechnet, Loeper ein Exemplar davon einzu¬
senden, der kann seine Sammelmappen und Sammelkapseln gut voll haben. Und
hierauf kommt es ja in erster Linie an. Was man so im gewöhnlichen Leben
als "Gelehrsamkeit," als "Reichtum an Kenntnissen" preist, läuft ja zum gute"
Teil auf Reichtum an Kvllektaneen hinaus. Wer am längsten, unverdrossensten
und konsequentesten auf seinem Gebiete gesammelt hat, der ist die größte Autorität.

Auf dem Gebiete der Goetheforschung steht in diesem Sinne Loeper un¬
zweifelhaft mit obenan. Kein Wunder, daß uns sein Kommentar eine
Fülle von Material bietet, das man bisher nirgends in solcher Weise bei¬
sammen gehabt hat. Es fragt sich nur, in wie weit dieses Material über die
Kommentare von Viehoff und Düntzer hinaus einen wirklichen Fortschritt in
der Erklärung Goethes bedeutet.

Unzweifelhaft ist dies der Fall in allem, was mit der Entstehungsgeschichte
der Goethischen Gedichte zusammenhängt. Diese Partien allein, in denen eine
Unmasse von Notizen aufgespeichert ist, welche die Goetheforschung im Laufe
der letzten Jahrzehnte zu Tage gefördert hat, werden den Loeperschen Kom¬
mentar hinfort neben den beiden andern ganz unentbehrlich mache".

Wesentlich anders verhält es sich mit dem, was Loepers Arbeit sonst noch
bietet. Der Herausgeber deutet selbst in seiner Einleitung an, daß er die
Kommentare von Viehoff und Düntzer nicht habe entbehrlich machen wollen.
Man kann aber noch weiter gehen und sagen: Loeper ist sichtlich bemüht ge¬
wesen, seinen beiden Vorgängern ans dem Wege zu gehen, sich möglichst wenig
mit ihnen zu berühren und nur solche Dinge mitzuteilen, die jene beiden nicht
haben. Da nun aber die Kommentare Viehoffs und Düntzers alles irgend
Wesentliche zum sachlichen Verständnis und zur ästhetischen Würdigung der
Goethischen Gedichte enthalten, so würde Loeper auf eine dürftige Nachlese au¬
gewiesen geblieben sein, wenn er nicht gewisse Rubriken planmäßig kultivirt
hätte, die vou seinen Vorgängern nur gelegentlich gestreift worden sind, nämlich
die sprachliche Erklärung, die Literatur der Gedichte und vor allem die so¬
genannten Parallelstellen. Alle nur entfernt ans Goethe bezüglichen Lesefrüchte,
welche die Goethephilologie im Laufe der Zeit veröffentlicht hat, alle Kuriosa,
welche sie ausgegraben hat, findet man hier auf einen Haufen zusammengetragen.
So kommt es nun, daß die bedeutendsten und oft erklärungsbedürftigsten Ge¬
dichte Goethes -- man schlage z. B. das zweite Buch der Elegien auf --
sich mit den dürftigsten Anmerkungen haben begnügen müssen, nur damit der
Herausgeber ja nicht etwas sage, was man in den andern beiden Kommentaren
anch findet. Lieber giebt er die eignen Schale", als daß er ein Stückchen von
dem Ker" der Arbeit der beiden andern entlehnte, und so besteht denn die reich¬
liche Hälfte aller seiner erläuternden Anmerkungen thatsächlich aus Spreu,


Ein »euer Kommentar zu Goethes Gedichten,

schon eine lange Reihe von Jahren sich derart des Rufes einer Autorität auf
diesem Gebiete erfreut, daß jeder, der deu geringste« Beitrag zur Goetheforschung
veröffentlicht hat, es sich zur Ehre rechnet, Loeper ein Exemplar davon einzu¬
senden, der kann seine Sammelmappen und Sammelkapseln gut voll haben. Und
hierauf kommt es ja in erster Linie an. Was man so im gewöhnlichen Leben
als „Gelehrsamkeit," als „Reichtum an Kenntnissen" preist, läuft ja zum gute»
Teil auf Reichtum an Kvllektaneen hinaus. Wer am längsten, unverdrossensten
und konsequentesten auf seinem Gebiete gesammelt hat, der ist die größte Autorität.

Auf dem Gebiete der Goetheforschung steht in diesem Sinne Loeper un¬
zweifelhaft mit obenan. Kein Wunder, daß uns sein Kommentar eine
Fülle von Material bietet, das man bisher nirgends in solcher Weise bei¬
sammen gehabt hat. Es fragt sich nur, in wie weit dieses Material über die
Kommentare von Viehoff und Düntzer hinaus einen wirklichen Fortschritt in
der Erklärung Goethes bedeutet.

Unzweifelhaft ist dies der Fall in allem, was mit der Entstehungsgeschichte
der Goethischen Gedichte zusammenhängt. Diese Partien allein, in denen eine
Unmasse von Notizen aufgespeichert ist, welche die Goetheforschung im Laufe
der letzten Jahrzehnte zu Tage gefördert hat, werden den Loeperschen Kom¬
mentar hinfort neben den beiden andern ganz unentbehrlich mache».

Wesentlich anders verhält es sich mit dem, was Loepers Arbeit sonst noch
bietet. Der Herausgeber deutet selbst in seiner Einleitung an, daß er die
Kommentare von Viehoff und Düntzer nicht habe entbehrlich machen wollen.
Man kann aber noch weiter gehen und sagen: Loeper ist sichtlich bemüht ge¬
wesen, seinen beiden Vorgängern ans dem Wege zu gehen, sich möglichst wenig
mit ihnen zu berühren und nur solche Dinge mitzuteilen, die jene beiden nicht
haben. Da nun aber die Kommentare Viehoffs und Düntzers alles irgend
Wesentliche zum sachlichen Verständnis und zur ästhetischen Würdigung der
Goethischen Gedichte enthalten, so würde Loeper auf eine dürftige Nachlese au¬
gewiesen geblieben sein, wenn er nicht gewisse Rubriken planmäßig kultivirt
hätte, die vou seinen Vorgängern nur gelegentlich gestreift worden sind, nämlich
die sprachliche Erklärung, die Literatur der Gedichte und vor allem die so¬
genannten Parallelstellen. Alle nur entfernt ans Goethe bezüglichen Lesefrüchte,
welche die Goethephilologie im Laufe der Zeit veröffentlicht hat, alle Kuriosa,
welche sie ausgegraben hat, findet man hier auf einen Haufen zusammengetragen.
So kommt es nun, daß die bedeutendsten und oft erklärungsbedürftigsten Ge¬
dichte Goethes — man schlage z. B. das zweite Buch der Elegien auf —
sich mit den dürftigsten Anmerkungen haben begnügen müssen, nur damit der
Herausgeber ja nicht etwas sage, was man in den andern beiden Kommentaren
anch findet. Lieber giebt er die eignen Schale», als daß er ein Stückchen von
dem Ker» der Arbeit der beiden andern entlehnte, und so besteht denn die reich¬
liche Hälfte aller seiner erläuternden Anmerkungen thatsächlich aus Spreu,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/520>, abgerufen am 23.07.2024.