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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Lin neuer Aommentar zu Goethes Gedichten,

daß er Parallelstellen bringt, wie "Klopstocks der Haine Nacht und Bürgers
Nacht der Tannen," ohne die Gedichte zu nennen, wo diese Stellen sich finden,
er führt auch eine große Anzahl von Büchern und Schriften in so ungenügender
Weise an, daß sicherlich die wenigsten Leser seine Zitate werden benutzen können.
Was soll das "große gebildete deutsche Publikum" mit Zitaten anfangen, wie
A, F. D. A. VIII. 238-271 -- Vgl, Lichtenberger, S, 27 - Nachweis von
D. Jacoby - Fr, Schubert (ox, 3, in der Liedform s. Z.) -- Goethes alter
Gegner (!) in seinem "seynem kleynen Almanach," 2, Jahrgang -- Dorothea
Schlegel (I. 298) - Lyon (S, 128) - M, Ehrlich, 1.190 und ähnlichen? Selbst
wenn, was nicht der Fall ist, die Schriften, um die sichs hier handelt, vorher
gelegentlich schon einmal vollständiger und deutlicher zitirt wären, würden solche
Zitate nicht sehr rücksichtsvoll sein, da doch niemand zu seinem Privatvergnügen
den Loeperschen Kommentar durchlesen, sondern sicherlich jeder ihn nur zum
gelegentlichen Nachschlagen benutzen wird.

In den Kreisen der deutschen Philologie, insbesondre unter jenen Einge¬
weihten, welche die Goetheforschung gepachtet zu haben glauben, herrscht eine
gewisse Vornehmthuerei: die Manier, immer nur in Andeutungen zu rede", als
ob die Herren bei einander am Tische säßen und ihre Weisheit einander zuraunten.
In dieser Weise auf drei oder vier Leute in Deutschland berechnet klingt so
manche der Loeperschen Anmerkungen. Viele davon hatten aber wohl nicht einmal
diese Bestimmung, Man kann sich nämlich des Gedankens nicht erwehren, daß
der Loepersche Kommentar überhaupt nicht zur Mitteilung an andre bestimmt
war, sondern in der Hauptsache aus den Zetteln und Randnoten zusammen¬
gedruckt ist, die der Herausgeber für seineu Privatgebrauch gesammelt hat. Unter
solchen Umstünden sollte nur die Verlagsbuchhandlung nicht davon fabeln, daß
es sich hier um ein Werk "für den allgemeinen Gebrauch" handle. In Deutsch¬
land sind keine hundert Menschen, die jede Zeile dieses Kommentars verstehen.
Wenn es wirklich die Absicht des Herausgebers war, deu Kreisen der ern¬
steren Goethefreunde einen Dienst mit seiner Ausgabe zu erweisen, so hätte er
seine Notizzettel gehörig überarbeiten, etwas weniger mit den Worten geizen,
kurz seine Belehrung ein klein wenig anmutender gestalten müssen. Wenn alle
unverständlichen Satzrudera in Sätze verwandelt, alle unverständlichen Abkür¬
zungen ausgeschrieben worden wären, so würde sein Kommentar dadurch viel¬
leicht um einen Bogen stärker geworden sein. Konnte es darauf ankommen?

Aber lassen wir endlich die Form, und wenden wir uns zum Inhalte des
Loeperschen Kommentars. Der Herausgeber zählt -- hierüber ist gar kein Wort
zu verlieren -- zu den genauesten Kennern der Goetheliteratur. Nur ihrer
vier oder fünf in Deutschland lassen sich in dieser Beziehung mit ihm ver¬
gleichen. Wer, wie Loeper, in der glücklichen Lage gewesen ist, vierzig
Jahre lang in seinen Mußestunden ein und derselben wissenschaftlichen Lieblings¬
neigung folgen, für ein und denselben Zweck sammeln zu können, wer, wie er,


Lin neuer Aommentar zu Goethes Gedichten,

daß er Parallelstellen bringt, wie „Klopstocks der Haine Nacht und Bürgers
Nacht der Tannen," ohne die Gedichte zu nennen, wo diese Stellen sich finden,
er führt auch eine große Anzahl von Büchern und Schriften in so ungenügender
Weise an, daß sicherlich die wenigsten Leser seine Zitate werden benutzen können.
Was soll das „große gebildete deutsche Publikum" mit Zitaten anfangen, wie
A, F. D. A. VIII. 238-271 — Vgl, Lichtenberger, S, 27 - Nachweis von
D. Jacoby - Fr, Schubert (ox, 3, in der Liedform s. Z.) — Goethes alter
Gegner (!) in seinem „seynem kleynen Almanach," 2, Jahrgang — Dorothea
Schlegel (I. 298) - Lyon (S, 128) - M, Ehrlich, 1.190 und ähnlichen? Selbst
wenn, was nicht der Fall ist, die Schriften, um die sichs hier handelt, vorher
gelegentlich schon einmal vollständiger und deutlicher zitirt wären, würden solche
Zitate nicht sehr rücksichtsvoll sein, da doch niemand zu seinem Privatvergnügen
den Loeperschen Kommentar durchlesen, sondern sicherlich jeder ihn nur zum
gelegentlichen Nachschlagen benutzen wird.

In den Kreisen der deutschen Philologie, insbesondre unter jenen Einge¬
weihten, welche die Goetheforschung gepachtet zu haben glauben, herrscht eine
gewisse Vornehmthuerei: die Manier, immer nur in Andeutungen zu rede», als
ob die Herren bei einander am Tische säßen und ihre Weisheit einander zuraunten.
In dieser Weise auf drei oder vier Leute in Deutschland berechnet klingt so
manche der Loeperschen Anmerkungen. Viele davon hatten aber wohl nicht einmal
diese Bestimmung, Man kann sich nämlich des Gedankens nicht erwehren, daß
der Loepersche Kommentar überhaupt nicht zur Mitteilung an andre bestimmt
war, sondern in der Hauptsache aus den Zetteln und Randnoten zusammen¬
gedruckt ist, die der Herausgeber für seineu Privatgebrauch gesammelt hat. Unter
solchen Umstünden sollte nur die Verlagsbuchhandlung nicht davon fabeln, daß
es sich hier um ein Werk „für den allgemeinen Gebrauch" handle. In Deutsch¬
land sind keine hundert Menschen, die jede Zeile dieses Kommentars verstehen.
Wenn es wirklich die Absicht des Herausgebers war, deu Kreisen der ern¬
steren Goethefreunde einen Dienst mit seiner Ausgabe zu erweisen, so hätte er
seine Notizzettel gehörig überarbeiten, etwas weniger mit den Worten geizen,
kurz seine Belehrung ein klein wenig anmutender gestalten müssen. Wenn alle
unverständlichen Satzrudera in Sätze verwandelt, alle unverständlichen Abkür¬
zungen ausgeschrieben worden wären, so würde sein Kommentar dadurch viel¬
leicht um einen Bogen stärker geworden sein. Konnte es darauf ankommen?

Aber lassen wir endlich die Form, und wenden wir uns zum Inhalte des
Loeperschen Kommentars. Der Herausgeber zählt — hierüber ist gar kein Wort
zu verlieren — zu den genauesten Kennern der Goetheliteratur. Nur ihrer
vier oder fünf in Deutschland lassen sich in dieser Beziehung mit ihm ver¬
gleichen. Wer, wie Loeper, in der glücklichen Lage gewesen ist, vierzig
Jahre lang in seinen Mußestunden ein und derselben wissenschaftlichen Lieblings¬
neigung folgen, für ein und denselben Zweck sammeln zu können, wer, wie er,


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[0519] Lin neuer Aommentar zu Goethes Gedichten, daß er Parallelstellen bringt, wie „Klopstocks der Haine Nacht und Bürgers Nacht der Tannen," ohne die Gedichte zu nennen, wo diese Stellen sich finden, er führt auch eine große Anzahl von Büchern und Schriften in so ungenügender Weise an, daß sicherlich die wenigsten Leser seine Zitate werden benutzen können. Was soll das „große gebildete deutsche Publikum" mit Zitaten anfangen, wie A, F. D. A. VIII. 238-271 — Vgl, Lichtenberger, S, 27 - Nachweis von D. Jacoby - Fr, Schubert (ox, 3, in der Liedform s. Z.) — Goethes alter Gegner (!) in seinem „seynem kleynen Almanach," 2, Jahrgang — Dorothea Schlegel (I. 298) - Lyon (S, 128) - M, Ehrlich, 1.190 und ähnlichen? Selbst wenn, was nicht der Fall ist, die Schriften, um die sichs hier handelt, vorher gelegentlich schon einmal vollständiger und deutlicher zitirt wären, würden solche Zitate nicht sehr rücksichtsvoll sein, da doch niemand zu seinem Privatvergnügen den Loeperschen Kommentar durchlesen, sondern sicherlich jeder ihn nur zum gelegentlichen Nachschlagen benutzen wird. In den Kreisen der deutschen Philologie, insbesondre unter jenen Einge¬ weihten, welche die Goetheforschung gepachtet zu haben glauben, herrscht eine gewisse Vornehmthuerei: die Manier, immer nur in Andeutungen zu rede», als ob die Herren bei einander am Tische säßen und ihre Weisheit einander zuraunten. In dieser Weise auf drei oder vier Leute in Deutschland berechnet klingt so manche der Loeperschen Anmerkungen. Viele davon hatten aber wohl nicht einmal diese Bestimmung, Man kann sich nämlich des Gedankens nicht erwehren, daß der Loepersche Kommentar überhaupt nicht zur Mitteilung an andre bestimmt war, sondern in der Hauptsache aus den Zetteln und Randnoten zusammen¬ gedruckt ist, die der Herausgeber für seineu Privatgebrauch gesammelt hat. Unter solchen Umstünden sollte nur die Verlagsbuchhandlung nicht davon fabeln, daß es sich hier um ein Werk „für den allgemeinen Gebrauch" handle. In Deutsch¬ land sind keine hundert Menschen, die jede Zeile dieses Kommentars verstehen. Wenn es wirklich die Absicht des Herausgebers war, deu Kreisen der ern¬ steren Goethefreunde einen Dienst mit seiner Ausgabe zu erweisen, so hätte er seine Notizzettel gehörig überarbeiten, etwas weniger mit den Worten geizen, kurz seine Belehrung ein klein wenig anmutender gestalten müssen. Wenn alle unverständlichen Satzrudera in Sätze verwandelt, alle unverständlichen Abkür¬ zungen ausgeschrieben worden wären, so würde sein Kommentar dadurch viel¬ leicht um einen Bogen stärker geworden sein. Konnte es darauf ankommen? Aber lassen wir endlich die Form, und wenden wir uns zum Inhalte des Loeperschen Kommentars. Der Herausgeber zählt — hierüber ist gar kein Wort zu verlieren — zu den genauesten Kennern der Goetheliteratur. Nur ihrer vier oder fünf in Deutschland lassen sich in dieser Beziehung mit ihm ver¬ gleichen. Wer, wie Loeper, in der glücklichen Lage gewesen ist, vierzig Jahre lang in seinen Mußestunden ein und derselben wissenschaftlichen Lieblings¬ neigung folgen, für ein und denselben Zweck sammeln zu können, wer, wie er,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/519>, abgerufen am 23.07.2024.