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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

in kecker Lebenslust dem Geschick entgegenzueilen und seine Gefahren, froh der
eignen Kraft, herauszufordern.

Ich habe einen großen Plan, sagte sie nach einer Weile, indem sie ihm
das von der Lust und der Anstrengung des Rittes leicht gerodete Gesicht voll zu¬
wandte. Und zugleich ließ sie ihr Pferd wieder im Schritt gehe". Ihnen will
ich diesen Plan mitteilen, in der Hoffnung, daß Sie mich nicht damit auslachen
werden. Papa soll erst dann davon hören, wenn die Sache zu größerer Reife
gediehen sein wird.

Seien Sie meines verschwiegenen Interesses versichert, mein gnädiges
Fräulein.

Wir sind soviel auf der Reise, fuhr sie fort, dnß wir uns, wie ich fürchte,
nicht genug der armen Leute annehmen können, die für uns arbeiten. Wenn
ich daheim bin, sehe ich oft mit Schrecken, wie traurig es um die armen Tage¬
löhner mit ihren Weibern und Kindern bestellt ist. Ich sehe die Kinder in
Lumpen dnrch die Dorfgasse einherlaufen und die Weiber oft schon mit vierzig
Jahren oder jünger als hexenähnliche Erscheinungen, verbittert und krumm ge¬
bogen von der Arbeit, dahinschleichen. Ich kann ihre runzligen Gesichter nicht
sehen, ohne einen Vorwurf daraus zu lesen. Inspektor Schmidt, mit dem ich
darüber sprach, zuckt beharrlich die Achseln und meint, das niedere Volk sei es
nicht anders gewohnt, würde auch das Geld, das man ihm etwa zuwenden
wollte, einfach vertrinken. Ich glaube aber nicht, daß er Recht hat. Es kommt
mir darauf an, in welcher Weise man dem armen Volke hilft. Geld ist nicht
alles, sondern es ist nötig, sich mit den Bedürfnissen der Leute bekannt zu
machen und ihre Lebensweise zu beeinflussen. Ich habe diesen Gegenstand mit
dem Prediger in Scholldorf besprochen. Dort wohnen viele von unsern Tage¬
löhnern, und er kennt ihr Elend. Ich weiß nicht, ob Sie mit dem Prediger
bekannt geworden sind, Herr Eschenburg. Er ist ein sehr unterrichteter Mann.

Ich habe nicht die Ehre, ihn zu kennen, entgegnete Eberharde.

Sie werden ihn heute kennen lernen. Ich habe mir ein Rendezvous mit
ihm am Erlcnbruch gegeben. Das hängt nämlich mit meinem Plane zusammen.
Prediger Seugstack stimmt mir in meiner Meinung zu, daß das wichtigste ist,
den armen Leuten eine gesunde, billige Wohnung, womöglich mit einigem eignen
Lande vereinigt, zu verschaffen. Denn in den verschiednen Dörfern, wo sie jetzt
zerstreut sitzen, müssen sie sich mit den elendesten Behausungen begnügen, werden
durch die Wirtshäuser verführt und haben keine Aussicht, jemals Eigentum zu
erwerben. Der Erlenbruch, den wir jetzt besuchen wollen, ist zum kleinern Teil
recht guter Boden, der mit leichter Mühe in Ackerland zu verwandeln wäre.
Auf diesem Teile beabsichtige ich eine Kolonie anzulegen. Es sollen Grundstücke
von gleicher Größe abgeteilt und auf jedem Stück soll ein kleines, einstöckiges
Haus erbaut werden für je eine Familie. Dann sollen die Leute allmählich
durch ihre Arbeit zu Eigentümern werden können. Ja ich habe die Idee, auf


Die Grafen von Altenschwerdt.

in kecker Lebenslust dem Geschick entgegenzueilen und seine Gefahren, froh der
eignen Kraft, herauszufordern.

Ich habe einen großen Plan, sagte sie nach einer Weile, indem sie ihm
das von der Lust und der Anstrengung des Rittes leicht gerodete Gesicht voll zu¬
wandte. Und zugleich ließ sie ihr Pferd wieder im Schritt gehe». Ihnen will
ich diesen Plan mitteilen, in der Hoffnung, daß Sie mich nicht damit auslachen
werden. Papa soll erst dann davon hören, wenn die Sache zu größerer Reife
gediehen sein wird.

Seien Sie meines verschwiegenen Interesses versichert, mein gnädiges
Fräulein.

Wir sind soviel auf der Reise, fuhr sie fort, dnß wir uns, wie ich fürchte,
nicht genug der armen Leute annehmen können, die für uns arbeiten. Wenn
ich daheim bin, sehe ich oft mit Schrecken, wie traurig es um die armen Tage¬
löhner mit ihren Weibern und Kindern bestellt ist. Ich sehe die Kinder in
Lumpen dnrch die Dorfgasse einherlaufen und die Weiber oft schon mit vierzig
Jahren oder jünger als hexenähnliche Erscheinungen, verbittert und krumm ge¬
bogen von der Arbeit, dahinschleichen. Ich kann ihre runzligen Gesichter nicht
sehen, ohne einen Vorwurf daraus zu lesen. Inspektor Schmidt, mit dem ich
darüber sprach, zuckt beharrlich die Achseln und meint, das niedere Volk sei es
nicht anders gewohnt, würde auch das Geld, das man ihm etwa zuwenden
wollte, einfach vertrinken. Ich glaube aber nicht, daß er Recht hat. Es kommt
mir darauf an, in welcher Weise man dem armen Volke hilft. Geld ist nicht
alles, sondern es ist nötig, sich mit den Bedürfnissen der Leute bekannt zu
machen und ihre Lebensweise zu beeinflussen. Ich habe diesen Gegenstand mit
dem Prediger in Scholldorf besprochen. Dort wohnen viele von unsern Tage¬
löhnern, und er kennt ihr Elend. Ich weiß nicht, ob Sie mit dem Prediger
bekannt geworden sind, Herr Eschenburg. Er ist ein sehr unterrichteter Mann.

Ich habe nicht die Ehre, ihn zu kennen, entgegnete Eberharde.

Sie werden ihn heute kennen lernen. Ich habe mir ein Rendezvous mit
ihm am Erlcnbruch gegeben. Das hängt nämlich mit meinem Plane zusammen.
Prediger Seugstack stimmt mir in meiner Meinung zu, daß das wichtigste ist,
den armen Leuten eine gesunde, billige Wohnung, womöglich mit einigem eignen
Lande vereinigt, zu verschaffen. Denn in den verschiednen Dörfern, wo sie jetzt
zerstreut sitzen, müssen sie sich mit den elendesten Behausungen begnügen, werden
durch die Wirtshäuser verführt und haben keine Aussicht, jemals Eigentum zu
erwerben. Der Erlenbruch, den wir jetzt besuchen wollen, ist zum kleinern Teil
recht guter Boden, der mit leichter Mühe in Ackerland zu verwandeln wäre.
Auf diesem Teile beabsichtige ich eine Kolonie anzulegen. Es sollen Grundstücke
von gleicher Größe abgeteilt und auf jedem Stück soll ein kleines, einstöckiges
Haus erbaut werden für je eine Familie. Dann sollen die Leute allmählich
durch ihre Arbeit zu Eigentümern werden können. Ja ich habe die Idee, auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/489>, abgerufen am 23.07.2024.