Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
"Lügen Richter und die Armee,

nach welchem ein Offizier, weicher nicht weiter avanciren kann, das Heer verläßt.
Während jenseits der Vogesen der nun verstorbene Gambetta, ein Mann, der
doch in schwerer Zeit seinem Vaterlande thatsächliche Dienste geleistet, etwas
handgreifliches geschaffen hatte, denjenigen Abgeordneten mit dem Brandmal des
Vaterlandsverräters zeichnen konnte, der die ungeheuern Forderungen für das
Heer nicht ohne weiteres bewilligen würde, betont Herr Richter, dem selbst seine
besten Freunde nicht vorwerfen können, daß er es bisher über eine konsequente
und systematische Negation hinaus gebracht habe, zwar mit großer Emphase stets
seine Liebe zum deutschen Heere und seine Bewunderung für dasselbe, ergreift
aber dabei jede passende und unpassende Gelegenheit, um die Kriegsverwaltung
wie die gesamten Zustände der Armee herabzusetzen und als einer tiefgreifenden
Veränderung bedürftig darzustellen.

Das auffallendste aber ist, daß ein Volksvertreter, der bestenfalls
einen verschwindenden Bruchteil des Volks hinter sich hat, der gelegentlich in
einem Anfalle wohlwollender Stimmung dem Feldmarschall Moltke die Be¬
zeichnung eines "tüchtige" Fachmannes" nicht abspricht, wenn der Chef des
Generalstabes in den Debatten des Reichstages auch nicht immer "ganz erfaßt,"
worauf es nach Herrn Richter ankommt, daß ein solcher Volksvertreter seit
Jahren sich den Anschein giebt, als wenn er in väterlicher Fürsorge der
Mandatar der Armee oder eines Teiles derselben und berufen sei, bestehende
Schäden zu ihrer Heilung bloßzulegen.

Wir sind weit davon entfernt, zu behaupten, daß die deutschen Heeres¬
einrichtungen ohne Ausnahme musterhaft seien, oder daß nicht hie und da Aus¬
schreitungen und Menschlichkeiten zu Tage treten, wie sie von jeder weitver¬
zweigten Organisation unzertrennlich sind. Im allgemeinen aber kann man
doch mit den Gefühlen des Stolzes und der Befriedigung den mächtigen Aufbau
der deutschen Heereskraft betrachten, umsomehr als fast sämtliche europäischen
Staaten ihrer Armee ähnliche Grundlagen gegeben haben.

Die Kriegsverwaltung arbeitet geregelt und sparsam. Wir kennen keine
Korruption, keine Bereicherung des Einzelnen aus dem Staatssäckel auf Kosten
der Allgemeinheit. Klar und durchsichtig erscheint der Etat, Verschleuderung
öffentlicher Gelder oder Mißbrauch derselben ist unerhört. Gewiß kommen
Unregelmäßigkeiten verschiedener Art vor, aber wo sie an die Oberfläche treten,
werden sie rücksichtslos nach den bestehenden Gesetzen und Vorschriften bestraft
und ausgemerzt. Die gesamte Organisation arbeitet, wie dies von menschlichen
Einrichtungen ja überhaupt undenkbar ist, nicht absolut vollkommen, erscheint
indeß selbst manchem übelwollenden Beurteiler immer noch als die relativ beste
der Welt.

Was hat aber Herr Richter alles daran auszusetzen! Er bemängelt, daß
einzelne Mannschaften des aktiven Dienststandes neben der Ausbildung mit der
Waffe zum Signalblasen und in der Regimcntsmusik Verwendung finden, und


«Lügen Richter und die Armee,

nach welchem ein Offizier, weicher nicht weiter avanciren kann, das Heer verläßt.
Während jenseits der Vogesen der nun verstorbene Gambetta, ein Mann, der
doch in schwerer Zeit seinem Vaterlande thatsächliche Dienste geleistet, etwas
handgreifliches geschaffen hatte, denjenigen Abgeordneten mit dem Brandmal des
Vaterlandsverräters zeichnen konnte, der die ungeheuern Forderungen für das
Heer nicht ohne weiteres bewilligen würde, betont Herr Richter, dem selbst seine
besten Freunde nicht vorwerfen können, daß er es bisher über eine konsequente
und systematische Negation hinaus gebracht habe, zwar mit großer Emphase stets
seine Liebe zum deutschen Heere und seine Bewunderung für dasselbe, ergreift
aber dabei jede passende und unpassende Gelegenheit, um die Kriegsverwaltung
wie die gesamten Zustände der Armee herabzusetzen und als einer tiefgreifenden
Veränderung bedürftig darzustellen.

Das auffallendste aber ist, daß ein Volksvertreter, der bestenfalls
einen verschwindenden Bruchteil des Volks hinter sich hat, der gelegentlich in
einem Anfalle wohlwollender Stimmung dem Feldmarschall Moltke die Be¬
zeichnung eines „tüchtige» Fachmannes" nicht abspricht, wenn der Chef des
Generalstabes in den Debatten des Reichstages auch nicht immer „ganz erfaßt,"
worauf es nach Herrn Richter ankommt, daß ein solcher Volksvertreter seit
Jahren sich den Anschein giebt, als wenn er in väterlicher Fürsorge der
Mandatar der Armee oder eines Teiles derselben und berufen sei, bestehende
Schäden zu ihrer Heilung bloßzulegen.

Wir sind weit davon entfernt, zu behaupten, daß die deutschen Heeres¬
einrichtungen ohne Ausnahme musterhaft seien, oder daß nicht hie und da Aus¬
schreitungen und Menschlichkeiten zu Tage treten, wie sie von jeder weitver¬
zweigten Organisation unzertrennlich sind. Im allgemeinen aber kann man
doch mit den Gefühlen des Stolzes und der Befriedigung den mächtigen Aufbau
der deutschen Heereskraft betrachten, umsomehr als fast sämtliche europäischen
Staaten ihrer Armee ähnliche Grundlagen gegeben haben.

Die Kriegsverwaltung arbeitet geregelt und sparsam. Wir kennen keine
Korruption, keine Bereicherung des Einzelnen aus dem Staatssäckel auf Kosten
der Allgemeinheit. Klar und durchsichtig erscheint der Etat, Verschleuderung
öffentlicher Gelder oder Mißbrauch derselben ist unerhört. Gewiß kommen
Unregelmäßigkeiten verschiedener Art vor, aber wo sie an die Oberfläche treten,
werden sie rücksichtslos nach den bestehenden Gesetzen und Vorschriften bestraft
und ausgemerzt. Die gesamte Organisation arbeitet, wie dies von menschlichen
Einrichtungen ja überhaupt undenkbar ist, nicht absolut vollkommen, erscheint
indeß selbst manchem übelwollenden Beurteiler immer noch als die relativ beste
der Welt.

Was hat aber Herr Richter alles daran auszusetzen! Er bemängelt, daß
einzelne Mannschaften des aktiven Dienststandes neben der Ausbildung mit der
Waffe zum Signalblasen und in der Regimcntsmusik Verwendung finden, und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0480" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/152270"/>
          <fw type="header" place="top"> «Lügen Richter und die Armee,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1814" prev="#ID_1813"> nach welchem ein Offizier, weicher nicht weiter avanciren kann, das Heer verläßt.<lb/>
Während jenseits der Vogesen der nun verstorbene Gambetta, ein Mann, der<lb/>
doch in schwerer Zeit seinem Vaterlande thatsächliche Dienste geleistet, etwas<lb/>
handgreifliches geschaffen hatte, denjenigen Abgeordneten mit dem Brandmal des<lb/>
Vaterlandsverräters zeichnen konnte, der die ungeheuern Forderungen für das<lb/>
Heer nicht ohne weiteres bewilligen würde, betont Herr Richter, dem selbst seine<lb/>
besten Freunde nicht vorwerfen können, daß er es bisher über eine konsequente<lb/>
und systematische Negation hinaus gebracht habe, zwar mit großer Emphase stets<lb/>
seine Liebe zum deutschen Heere und seine Bewunderung für dasselbe, ergreift<lb/>
aber dabei jede passende und unpassende Gelegenheit, um die Kriegsverwaltung<lb/>
wie die gesamten Zustände der Armee herabzusetzen und als einer tiefgreifenden<lb/>
Veränderung bedürftig darzustellen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1815"> Das auffallendste aber ist, daß ein Volksvertreter, der bestenfalls<lb/>
einen verschwindenden Bruchteil des Volks hinter sich hat, der gelegentlich in<lb/>
einem Anfalle wohlwollender Stimmung dem Feldmarschall Moltke die Be¬<lb/>
zeichnung eines &#x201E;tüchtige» Fachmannes" nicht abspricht, wenn der Chef des<lb/>
Generalstabes in den Debatten des Reichstages auch nicht immer &#x201E;ganz erfaßt,"<lb/>
worauf es nach Herrn Richter ankommt, daß ein solcher Volksvertreter seit<lb/>
Jahren sich den Anschein giebt, als wenn er in väterlicher Fürsorge der<lb/>
Mandatar der Armee oder eines Teiles derselben und berufen sei, bestehende<lb/>
Schäden zu ihrer Heilung bloßzulegen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1816"> Wir sind weit davon entfernt, zu behaupten, daß die deutschen Heeres¬<lb/>
einrichtungen ohne Ausnahme musterhaft seien, oder daß nicht hie und da Aus¬<lb/>
schreitungen und Menschlichkeiten zu Tage treten, wie sie von jeder weitver¬<lb/>
zweigten Organisation unzertrennlich sind. Im allgemeinen aber kann man<lb/>
doch mit den Gefühlen des Stolzes und der Befriedigung den mächtigen Aufbau<lb/>
der deutschen Heereskraft betrachten, umsomehr als fast sämtliche europäischen<lb/>
Staaten ihrer Armee ähnliche Grundlagen gegeben haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1817"> Die Kriegsverwaltung arbeitet geregelt und sparsam. Wir kennen keine<lb/>
Korruption, keine Bereicherung des Einzelnen aus dem Staatssäckel auf Kosten<lb/>
der Allgemeinheit. Klar und durchsichtig erscheint der Etat, Verschleuderung<lb/>
öffentlicher Gelder oder Mißbrauch derselben ist unerhört. Gewiß kommen<lb/>
Unregelmäßigkeiten verschiedener Art vor, aber wo sie an die Oberfläche treten,<lb/>
werden sie rücksichtslos nach den bestehenden Gesetzen und Vorschriften bestraft<lb/>
und ausgemerzt. Die gesamte Organisation arbeitet, wie dies von menschlichen<lb/>
Einrichtungen ja überhaupt undenkbar ist, nicht absolut vollkommen, erscheint<lb/>
indeß selbst manchem übelwollenden Beurteiler immer noch als die relativ beste<lb/>
der Welt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1818" next="#ID_1819"> Was hat aber Herr Richter alles daran auszusetzen! Er bemängelt, daß<lb/>
einzelne Mannschaften des aktiven Dienststandes neben der Ausbildung mit der<lb/>
Waffe zum Signalblasen und in der Regimcntsmusik Verwendung finden, und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0480] «Lügen Richter und die Armee, nach welchem ein Offizier, weicher nicht weiter avanciren kann, das Heer verläßt. Während jenseits der Vogesen der nun verstorbene Gambetta, ein Mann, der doch in schwerer Zeit seinem Vaterlande thatsächliche Dienste geleistet, etwas handgreifliches geschaffen hatte, denjenigen Abgeordneten mit dem Brandmal des Vaterlandsverräters zeichnen konnte, der die ungeheuern Forderungen für das Heer nicht ohne weiteres bewilligen würde, betont Herr Richter, dem selbst seine besten Freunde nicht vorwerfen können, daß er es bisher über eine konsequente und systematische Negation hinaus gebracht habe, zwar mit großer Emphase stets seine Liebe zum deutschen Heere und seine Bewunderung für dasselbe, ergreift aber dabei jede passende und unpassende Gelegenheit, um die Kriegsverwaltung wie die gesamten Zustände der Armee herabzusetzen und als einer tiefgreifenden Veränderung bedürftig darzustellen. Das auffallendste aber ist, daß ein Volksvertreter, der bestenfalls einen verschwindenden Bruchteil des Volks hinter sich hat, der gelegentlich in einem Anfalle wohlwollender Stimmung dem Feldmarschall Moltke die Be¬ zeichnung eines „tüchtige» Fachmannes" nicht abspricht, wenn der Chef des Generalstabes in den Debatten des Reichstages auch nicht immer „ganz erfaßt," worauf es nach Herrn Richter ankommt, daß ein solcher Volksvertreter seit Jahren sich den Anschein giebt, als wenn er in väterlicher Fürsorge der Mandatar der Armee oder eines Teiles derselben und berufen sei, bestehende Schäden zu ihrer Heilung bloßzulegen. Wir sind weit davon entfernt, zu behaupten, daß die deutschen Heeres¬ einrichtungen ohne Ausnahme musterhaft seien, oder daß nicht hie und da Aus¬ schreitungen und Menschlichkeiten zu Tage treten, wie sie von jeder weitver¬ zweigten Organisation unzertrennlich sind. Im allgemeinen aber kann man doch mit den Gefühlen des Stolzes und der Befriedigung den mächtigen Aufbau der deutschen Heereskraft betrachten, umsomehr als fast sämtliche europäischen Staaten ihrer Armee ähnliche Grundlagen gegeben haben. Die Kriegsverwaltung arbeitet geregelt und sparsam. Wir kennen keine Korruption, keine Bereicherung des Einzelnen aus dem Staatssäckel auf Kosten der Allgemeinheit. Klar und durchsichtig erscheint der Etat, Verschleuderung öffentlicher Gelder oder Mißbrauch derselben ist unerhört. Gewiß kommen Unregelmäßigkeiten verschiedener Art vor, aber wo sie an die Oberfläche treten, werden sie rücksichtslos nach den bestehenden Gesetzen und Vorschriften bestraft und ausgemerzt. Die gesamte Organisation arbeitet, wie dies von menschlichen Einrichtungen ja überhaupt undenkbar ist, nicht absolut vollkommen, erscheint indeß selbst manchem übelwollenden Beurteiler immer noch als die relativ beste der Welt. Was hat aber Herr Richter alles daran auszusetzen! Er bemängelt, daß einzelne Mannschaften des aktiven Dienststandes neben der Ausbildung mit der Waffe zum Signalblasen und in der Regimcntsmusik Verwendung finden, und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/480
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/480>, abgerufen am 04.07.2024.