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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Lügen Richter und die Armee.

Das Verhältnis der Übertragung Lipiners zum polnischen Original ver¬
mögen wir nicht zu beurteilen. Jedenfalls zeugt sie von poetischer Kunst und
energischer Sprachbeherrschung. Der Übersetzer versichert, daß er sich bemüht
habe, allen Nuancen des Originals nachzugehen und sich nur in ganz gering¬
fügigen Einzelheiten Abweichungen erlaubt habe. Das Prosodische Prinzip des
Originals ist das der Silbcnzählung. In der Übertragung sind die Hebungen
gezählt und schon um der Eintönigkeit des regelmäßigen Alexandriners zu ent¬
rinnen bald durch eine, bald durch zwei Senkungen getrennt.


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Eugen Richter und die Armee.

or kurzer Zeit machte ein Wort des Fürsten Bismarck die Runde
durch die Tagesblätter, nach welchem derselbe seiner Befriedigung
darüber Ausdruck gegeben hätte, daß er jetzt konfliktsfreie Luft
atmen könne. Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.
Die Debatten des Reichstages über den Etat der Heeresverwal¬
tung haben ganz unerwarteterweise in den letzten Tagen einen tiefen innern
Zwiespalt zwischen Parlament und Regierung zu Tage gefördert. Vorläufig
ist zwar der nächste Stein des Anstoßes aus dem Wege geräumt, indem die
Novelle zum Militärpensionsgesetze an die Kommission zurückverwiese" worden
ist, doch bleibt es mehr als fraglich, ob damit der Weg gefunden ist, um die
weitgehenden Meinungsverschiedenheiten in allen oder doch den wesentlichsten
Punkten auszugleichen.

Erstaunt fragt der Vaterlandsfreund, welcher den Vorgängen hinter den
Kulissen des parlamentarischen Lebens fernsteht, nach der Ursache, welche diesen
Blitzschlag aus sonnenhellen Himmel hervorgelockt hat, und findet keine andre
Erklärung, als daß Herr Richter aus irgend welchem Fraktionsinteresse einen
kleinen Konflikt heraufzubeschwören für gut befunden hat. Daher die steten
Nörgeleien mit täglich mehr feindlich zugespitzter Tendenz, durch welche sogar
der Kriegsminister, welcher doch in mehr als zehnjähriger Übung die nötige
Erfahrung und einen gewissen Gleichmut erlangt hat, sich zu einer scharfen Er¬
wiederung hat hinreißen lassen, um dann, wie es scheint, den Kaiser um seine
Entlassung zu bitten. Mit Recht konnte indeß ein konservatives Blatt darauf
hinweisen, daß es in Preußen und Deutschland nicht Sitte sei, den Kampfplatz
während des Kampfes zu verlassen, und so wird der Kriegsminister vorläufig
wohl noch auf seinem Posten ausharren. Fast die gesamte Presse widmet aus


Lügen Richter und die Armee.

Das Verhältnis der Übertragung Lipiners zum polnischen Original ver¬
mögen wir nicht zu beurteilen. Jedenfalls zeugt sie von poetischer Kunst und
energischer Sprachbeherrschung. Der Übersetzer versichert, daß er sich bemüht
habe, allen Nuancen des Originals nachzugehen und sich nur in ganz gering¬
fügigen Einzelheiten Abweichungen erlaubt habe. Das Prosodische Prinzip des
Originals ist das der Silbcnzählung. In der Übertragung sind die Hebungen
gezählt und schon um der Eintönigkeit des regelmäßigen Alexandriners zu ent¬
rinnen bald durch eine, bald durch zwei Senkungen getrennt.


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Eugen Richter und die Armee.

or kurzer Zeit machte ein Wort des Fürsten Bismarck die Runde
durch die Tagesblätter, nach welchem derselbe seiner Befriedigung
darüber Ausdruck gegeben hätte, daß er jetzt konfliktsfreie Luft
atmen könne. Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.
Die Debatten des Reichstages über den Etat der Heeresverwal¬
tung haben ganz unerwarteterweise in den letzten Tagen einen tiefen innern
Zwiespalt zwischen Parlament und Regierung zu Tage gefördert. Vorläufig
ist zwar der nächste Stein des Anstoßes aus dem Wege geräumt, indem die
Novelle zum Militärpensionsgesetze an die Kommission zurückverwiese» worden
ist, doch bleibt es mehr als fraglich, ob damit der Weg gefunden ist, um die
weitgehenden Meinungsverschiedenheiten in allen oder doch den wesentlichsten
Punkten auszugleichen.

Erstaunt fragt der Vaterlandsfreund, welcher den Vorgängen hinter den
Kulissen des parlamentarischen Lebens fernsteht, nach der Ursache, welche diesen
Blitzschlag aus sonnenhellen Himmel hervorgelockt hat, und findet keine andre
Erklärung, als daß Herr Richter aus irgend welchem Fraktionsinteresse einen
kleinen Konflikt heraufzubeschwören für gut befunden hat. Daher die steten
Nörgeleien mit täglich mehr feindlich zugespitzter Tendenz, durch welche sogar
der Kriegsminister, welcher doch in mehr als zehnjähriger Übung die nötige
Erfahrung und einen gewissen Gleichmut erlangt hat, sich zu einer scharfen Er¬
wiederung hat hinreißen lassen, um dann, wie es scheint, den Kaiser um seine
Entlassung zu bitten. Mit Recht konnte indeß ein konservatives Blatt darauf
hinweisen, daß es in Preußen und Deutschland nicht Sitte sei, den Kampfplatz
während des Kampfes zu verlassen, und so wird der Kriegsminister vorläufig
wohl noch auf seinem Posten ausharren. Fast die gesamte Presse widmet aus


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[0477] Lügen Richter und die Armee. Das Verhältnis der Übertragung Lipiners zum polnischen Original ver¬ mögen wir nicht zu beurteilen. Jedenfalls zeugt sie von poetischer Kunst und energischer Sprachbeherrschung. Der Übersetzer versichert, daß er sich bemüht habe, allen Nuancen des Originals nachzugehen und sich nur in ganz gering¬ fügigen Einzelheiten Abweichungen erlaubt habe. Das Prosodische Prinzip des Originals ist das der Silbcnzählung. In der Übertragung sind die Hebungen gezählt und schon um der Eintönigkeit des regelmäßigen Alexandriners zu ent¬ rinnen bald durch eine, bald durch zwei Senkungen getrennt. 55 Eugen Richter und die Armee. or kurzer Zeit machte ein Wort des Fürsten Bismarck die Runde durch die Tagesblätter, nach welchem derselbe seiner Befriedigung darüber Ausdruck gegeben hätte, daß er jetzt konfliktsfreie Luft atmen könne. Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Die Debatten des Reichstages über den Etat der Heeresverwal¬ tung haben ganz unerwarteterweise in den letzten Tagen einen tiefen innern Zwiespalt zwischen Parlament und Regierung zu Tage gefördert. Vorläufig ist zwar der nächste Stein des Anstoßes aus dem Wege geräumt, indem die Novelle zum Militärpensionsgesetze an die Kommission zurückverwiese» worden ist, doch bleibt es mehr als fraglich, ob damit der Weg gefunden ist, um die weitgehenden Meinungsverschiedenheiten in allen oder doch den wesentlichsten Punkten auszugleichen. Erstaunt fragt der Vaterlandsfreund, welcher den Vorgängen hinter den Kulissen des parlamentarischen Lebens fernsteht, nach der Ursache, welche diesen Blitzschlag aus sonnenhellen Himmel hervorgelockt hat, und findet keine andre Erklärung, als daß Herr Richter aus irgend welchem Fraktionsinteresse einen kleinen Konflikt heraufzubeschwören für gut befunden hat. Daher die steten Nörgeleien mit täglich mehr feindlich zugespitzter Tendenz, durch welche sogar der Kriegsminister, welcher doch in mehr als zehnjähriger Übung die nötige Erfahrung und einen gewissen Gleichmut erlangt hat, sich zu einer scharfen Er¬ wiederung hat hinreißen lassen, um dann, wie es scheint, den Kaiser um seine Entlassung zu bitten. Mit Recht konnte indeß ein konservatives Blatt darauf hinweisen, daß es in Preußen und Deutschland nicht Sitte sei, den Kampfplatz während des Kampfes zu verlassen, und so wird der Kriegsminister vorläufig wohl noch auf seinem Posten ausharren. Fast die gesamte Presse widmet aus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/477>, abgerufen am 04.07.2024.