Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Grafen von Altenschroerdt.

diesem sogenannten Diner, große Schüsseln nüchternen Reis, Gemüse in Wasser
gekocht und solches Zeug, Niemand ißt davon.

Und doch würde Ihnen solch ein Diner so gut bekommen! sagte Anna mit
listigen Lächeln.

Gut bekomme"? Gütiger Himmel, ich bin doch kein Wiederkäuer!

Da würde ich fortgehen! Wer wird sich so etwas gefallen lassen?

Ja, das sagen Sie wohl. Aber meine Mutter ist im Einverständnis mit
dem Tyrannen. Er hat sie so beschwatzt, daß sie fest an ihn glaubt. Und sie
selbst -- ich weiß nicht, wie sie es fertig bringt -- lebt dieses asketische Leben
nicht mir, sondern thut so, als ob sie es wonnig funde. Sie ißt mir diese
entsetzlichen Gerichte vor und sieht mich strafend an, bis ich auch eine Rübe
oder einen Kohlstrunk verschlinge. Der Tyrann hat ihr vorgeschwatzt, nur
solches Zeug vertrüge sich mit dem Algensaft.

Es ist hier in der Nähe ein gutes Hotel, das Hotel Felix, sagte Fräulein
Glock schalkhaft. Warum gehen Sie nicht zuweilen hinüber?

Ach, bestes Kind, Sie kennen das Terrain nicht. Der Doktor Schmidt
überwacht uns wie ein Gefangenwärter. Wenn jemand heimlich anderswo ißt,
so erfährt er es sicher und schickt den Unbotmäßigen fort.

Nun, da wäre Ihnen ja geholfen.

Ja, wenn meine Mutter nicht wäre! Nein, mein Herz, ich darf mich gar¬
nicht entfernen, fo lächerlich es klingt. Und doch möchte ich ein gutes Beefsteak
und eine halbe Flasche Madeira, wenn ich das bekommen könnte, mit Gold
nnfwiegen.

Fräulein Glock erhob sich, nahm ihr Körbchen, leerte es und gab den In¬
halt dem jungen Grafen. Stecken Sie das in die Tasche, sagte sie mit einem
schlauen Blick, und gehen Sie dort in die versteckte Grotte ganz hinten im Garten.
Ich werde Ihnen verschaffen, wonach Ihr Herz sich sehnt.

Graf Dietrich ergriff'ihre Hand und küßte sie. O Engel vom Himmel!
sagte er lachend, o Weiberlist!

Das ist ein göttliches Geschöpf! setzte er hinzu, als das junge Mädchen
mit eiligem Schritt sich entfernt hatte. Sie ist mir wahrhaftig vom Himmel
gesandt!

Er ging, die Stickerei und das Buch mit den Gedichten in den Taschen
seines Jackets, in den Garten hinaus zu der versteckten Grotte und begann in
feinen eignen Liedern zu blättern. Er beobachtete, an welche" Stellen das kleine
Buch sich am leichtesten aufschlagen ließe, und versuchte hieraus zu schließen,
welches die Lieblingsstellen Annas wären. Er sah mit Lächeln hier und dort
eine" mit der Stricknadel gemachten Strich am Rande und las die so bezeichneten
Verse mit besonderm Vergnügen.

Aber die Anstrengungen des Morgens hatten ihn wirklich ermüdet. Ein
träumerisches Behage" umfing seine Sinne. Der Platz, wo er saß, war still und


Grenzboten I. 1883. SS
Die Grafen von Altenschroerdt.

diesem sogenannten Diner, große Schüsseln nüchternen Reis, Gemüse in Wasser
gekocht und solches Zeug, Niemand ißt davon.

Und doch würde Ihnen solch ein Diner so gut bekommen! sagte Anna mit
listigen Lächeln.

Gut bekomme»? Gütiger Himmel, ich bin doch kein Wiederkäuer!

Da würde ich fortgehen! Wer wird sich so etwas gefallen lassen?

Ja, das sagen Sie wohl. Aber meine Mutter ist im Einverständnis mit
dem Tyrannen. Er hat sie so beschwatzt, daß sie fest an ihn glaubt. Und sie
selbst — ich weiß nicht, wie sie es fertig bringt — lebt dieses asketische Leben
nicht mir, sondern thut so, als ob sie es wonnig funde. Sie ißt mir diese
entsetzlichen Gerichte vor und sieht mich strafend an, bis ich auch eine Rübe
oder einen Kohlstrunk verschlinge. Der Tyrann hat ihr vorgeschwatzt, nur
solches Zeug vertrüge sich mit dem Algensaft.

Es ist hier in der Nähe ein gutes Hotel, das Hotel Felix, sagte Fräulein
Glock schalkhaft. Warum gehen Sie nicht zuweilen hinüber?

Ach, bestes Kind, Sie kennen das Terrain nicht. Der Doktor Schmidt
überwacht uns wie ein Gefangenwärter. Wenn jemand heimlich anderswo ißt,
so erfährt er es sicher und schickt den Unbotmäßigen fort.

Nun, da wäre Ihnen ja geholfen.

Ja, wenn meine Mutter nicht wäre! Nein, mein Herz, ich darf mich gar¬
nicht entfernen, fo lächerlich es klingt. Und doch möchte ich ein gutes Beefsteak
und eine halbe Flasche Madeira, wenn ich das bekommen könnte, mit Gold
nnfwiegen.

Fräulein Glock erhob sich, nahm ihr Körbchen, leerte es und gab den In¬
halt dem jungen Grafen. Stecken Sie das in die Tasche, sagte sie mit einem
schlauen Blick, und gehen Sie dort in die versteckte Grotte ganz hinten im Garten.
Ich werde Ihnen verschaffen, wonach Ihr Herz sich sehnt.

Graf Dietrich ergriff'ihre Hand und küßte sie. O Engel vom Himmel!
sagte er lachend, o Weiberlist!

Das ist ein göttliches Geschöpf! setzte er hinzu, als das junge Mädchen
mit eiligem Schritt sich entfernt hatte. Sie ist mir wahrhaftig vom Himmel
gesandt!

Er ging, die Stickerei und das Buch mit den Gedichten in den Taschen
seines Jackets, in den Garten hinaus zu der versteckten Grotte und begann in
feinen eignen Liedern zu blättern. Er beobachtete, an welche» Stellen das kleine
Buch sich am leichtesten aufschlagen ließe, und versuchte hieraus zu schließen,
welches die Lieblingsstellen Annas wären. Er sah mit Lächeln hier und dort
eine» mit der Stricknadel gemachten Strich am Rande und las die so bezeichneten
Verse mit besonderm Vergnügen.

Aber die Anstrengungen des Morgens hatten ihn wirklich ermüdet. Ein
träumerisches Behage» umfing seine Sinne. Der Platz, wo er saß, war still und


Grenzboten I. 1883. SS
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0441" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/152192"/>
            <fw type="header" place="top"> Die Grafen von Altenschroerdt.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1657" prev="#ID_1656"> diesem sogenannten Diner, große Schüsseln nüchternen Reis, Gemüse in Wasser<lb/>
gekocht und solches Zeug, Niemand ißt davon.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1658"> Und doch würde Ihnen solch ein Diner so gut bekommen! sagte Anna mit<lb/>
listigen Lächeln.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1659"> Gut bekomme»? Gütiger Himmel, ich bin doch kein Wiederkäuer!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1660"> Da würde ich fortgehen! Wer wird sich so etwas gefallen lassen?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1661"> Ja, das sagen Sie wohl. Aber meine Mutter ist im Einverständnis mit<lb/>
dem Tyrannen. Er hat sie so beschwatzt, daß sie fest an ihn glaubt. Und sie<lb/>
selbst &#x2014; ich weiß nicht, wie sie es fertig bringt &#x2014; lebt dieses asketische Leben<lb/>
nicht mir, sondern thut so, als ob sie es wonnig funde. Sie ißt mir diese<lb/>
entsetzlichen Gerichte vor und sieht mich strafend an, bis ich auch eine Rübe<lb/>
oder einen Kohlstrunk verschlinge. Der Tyrann hat ihr vorgeschwatzt, nur<lb/>
solches Zeug vertrüge sich mit dem Algensaft.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1662"> Es ist hier in der Nähe ein gutes Hotel, das Hotel Felix, sagte Fräulein<lb/>
Glock schalkhaft. Warum gehen Sie nicht zuweilen hinüber?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1663"> Ach, bestes Kind, Sie kennen das Terrain nicht. Der Doktor Schmidt<lb/>
überwacht uns wie ein Gefangenwärter. Wenn jemand heimlich anderswo ißt,<lb/>
so erfährt er es sicher und schickt den Unbotmäßigen fort.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1664"> Nun, da wäre Ihnen ja geholfen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1665"> Ja, wenn meine Mutter nicht wäre! Nein, mein Herz, ich darf mich gar¬<lb/>
nicht entfernen, fo lächerlich es klingt. Und doch möchte ich ein gutes Beefsteak<lb/>
und eine halbe Flasche Madeira, wenn ich das bekommen könnte, mit Gold<lb/>
nnfwiegen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1666"> Fräulein Glock erhob sich, nahm ihr Körbchen, leerte es und gab den In¬<lb/>
halt dem jungen Grafen. Stecken Sie das in die Tasche, sagte sie mit einem<lb/>
schlauen Blick, und gehen Sie dort in die versteckte Grotte ganz hinten im Garten.<lb/>
Ich werde Ihnen verschaffen, wonach Ihr Herz sich sehnt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1667"> Graf Dietrich ergriff'ihre Hand und küßte sie. O Engel vom Himmel!<lb/>
sagte er lachend, o Weiberlist!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1668"> Das ist ein göttliches Geschöpf! setzte er hinzu, als das junge Mädchen<lb/>
mit eiligem Schritt sich entfernt hatte. Sie ist mir wahrhaftig vom Himmel<lb/>
gesandt!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1669"> Er ging, die Stickerei und das Buch mit den Gedichten in den Taschen<lb/>
seines Jackets, in den Garten hinaus zu der versteckten Grotte und begann in<lb/>
feinen eignen Liedern zu blättern. Er beobachtete, an welche» Stellen das kleine<lb/>
Buch sich am leichtesten aufschlagen ließe, und versuchte hieraus zu schließen,<lb/>
welches die Lieblingsstellen Annas wären. Er sah mit Lächeln hier und dort<lb/>
eine» mit der Stricknadel gemachten Strich am Rande und las die so bezeichneten<lb/>
Verse mit besonderm Vergnügen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1670" next="#ID_1671"> Aber die Anstrengungen des Morgens hatten ihn wirklich ermüdet. Ein<lb/>
träumerisches Behage» umfing seine Sinne. Der Platz, wo er saß, war still und</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I. 1883. SS</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0441] Die Grafen von Altenschroerdt. diesem sogenannten Diner, große Schüsseln nüchternen Reis, Gemüse in Wasser gekocht und solches Zeug, Niemand ißt davon. Und doch würde Ihnen solch ein Diner so gut bekommen! sagte Anna mit listigen Lächeln. Gut bekomme»? Gütiger Himmel, ich bin doch kein Wiederkäuer! Da würde ich fortgehen! Wer wird sich so etwas gefallen lassen? Ja, das sagen Sie wohl. Aber meine Mutter ist im Einverständnis mit dem Tyrannen. Er hat sie so beschwatzt, daß sie fest an ihn glaubt. Und sie selbst — ich weiß nicht, wie sie es fertig bringt — lebt dieses asketische Leben nicht mir, sondern thut so, als ob sie es wonnig funde. Sie ißt mir diese entsetzlichen Gerichte vor und sieht mich strafend an, bis ich auch eine Rübe oder einen Kohlstrunk verschlinge. Der Tyrann hat ihr vorgeschwatzt, nur solches Zeug vertrüge sich mit dem Algensaft. Es ist hier in der Nähe ein gutes Hotel, das Hotel Felix, sagte Fräulein Glock schalkhaft. Warum gehen Sie nicht zuweilen hinüber? Ach, bestes Kind, Sie kennen das Terrain nicht. Der Doktor Schmidt überwacht uns wie ein Gefangenwärter. Wenn jemand heimlich anderswo ißt, so erfährt er es sicher und schickt den Unbotmäßigen fort. Nun, da wäre Ihnen ja geholfen. Ja, wenn meine Mutter nicht wäre! Nein, mein Herz, ich darf mich gar¬ nicht entfernen, fo lächerlich es klingt. Und doch möchte ich ein gutes Beefsteak und eine halbe Flasche Madeira, wenn ich das bekommen könnte, mit Gold nnfwiegen. Fräulein Glock erhob sich, nahm ihr Körbchen, leerte es und gab den In¬ halt dem jungen Grafen. Stecken Sie das in die Tasche, sagte sie mit einem schlauen Blick, und gehen Sie dort in die versteckte Grotte ganz hinten im Garten. Ich werde Ihnen verschaffen, wonach Ihr Herz sich sehnt. Graf Dietrich ergriff'ihre Hand und küßte sie. O Engel vom Himmel! sagte er lachend, o Weiberlist! Das ist ein göttliches Geschöpf! setzte er hinzu, als das junge Mädchen mit eiligem Schritt sich entfernt hatte. Sie ist mir wahrhaftig vom Himmel gesandt! Er ging, die Stickerei und das Buch mit den Gedichten in den Taschen seines Jackets, in den Garten hinaus zu der versteckten Grotte und begann in feinen eignen Liedern zu blättern. Er beobachtete, an welche» Stellen das kleine Buch sich am leichtesten aufschlagen ließe, und versuchte hieraus zu schließen, welches die Lieblingsstellen Annas wären. Er sah mit Lächeln hier und dort eine» mit der Stricknadel gemachten Strich am Rande und las die so bezeichneten Verse mit besonderm Vergnügen. Aber die Anstrengungen des Morgens hatten ihn wirklich ermüdet. Ein träumerisches Behage» umfing seine Sinne. Der Platz, wo er saß, war still und Grenzboten I. 1883. SS

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/441
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/441>, abgerufen am 23.07.2024.