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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt,

manchen Abend davon abhielt, sich in das verwirrende und gefährliche Treiben
der übermütigen Jngendgeiwssen zu stürzen.

Jetzt waren ihre Kunst und ihre Macht noch erheblich gewachsen. Sie
fühlte in seiner Gegenwart so recht, wie sehr sie in den beiden Jahren ihres
Studiums Fortschritte gemacht und jene gewaltigen Hebel ihrer Stimme und
ihrer zierlichen Hände zu lenken gelernt hatte.

Er lauschte ihr in hoher Entzückung. Die angenehmen Worte, welche er
über seine Dichtungen vernommen hatte, klangen in ihm fort und gaben seinem
Empfinden eine begeisteruugsvolle Feinheit, die ihn die Musik mit erhöhtem
Genuß aufnehmen ließ. Während er den Klängen lauschte, wiederholte er sich
selbst alle jene schönen Stellen seiner Gedichte, von denen er dachte, daß sie
imstande gewesen wären, das Herz des liebenswürdigen Mädchens zu rühren,
und er kam sich selbst vor, als sei er der kunstgebictende Gott Apollo.

Endlich machte sie eine Pause und blickte über die Schulter zurück mit ihren
sprechenden Augen zu ihm herüber.

Wundervoll, wundervoll, mein liebes Kind! sagte er. Sie sind ein voll¬
kommener Engel geworden, und ich begreife nicht, wie der Chor der Seraphim,
die vor dein Throne des Höchsten tonzertiren, Sie entbehren kann. Aber wie
kommt es, daß Sie nichts von Richard Wagner spielen? Mich dünkt, Sie Hütten
ehedem den Traum Elsas mit Vorliebe vorgetragen, und heute habe ich ihn
nicht gehört.

Wenn Sie wünschen, sollen Sie ihn sogleich hören, aber ich habe auf dem
Konservatorium Wagner ganz vernachlässigt. Das Konservatorium ignorirt ihn.

Und doch ist er so beliebt, und sein Ruhm breitet sich immer mehr aus.
Er ist mir immer interessant gewesen, weil er so viel Beifall und Widerspruch
findet. Lieben Sie ihn nicht?

Ich habe früher für einzelne seiner Sachen geschwärmt, sagte das junge
Mädchen. Aber seitdem ich tiefer in Beethoven und Bach eingedrungen bin,
liebe ich ihn nicht mehr, und ich kann seine neuen Werte, die Meistersinger, die
Nibelungen, nicht hören, ohne mich elend zu fühlen. Auch feigen meine Lehrer,
er sei nicht auf dein rechten Wege.

Aber er selbst verachtet nicht nnr die Leute, die das sagen, sondern, wie
ich gehört habe, sogar seiue eignen Schöpfnnge" früherer Zeit, den Tannhäuser,
Lohengrin, fliegenden Holländer und Rienzi, weil sie noch im Banne der alten
Musik lägen. Ich muß nun gestehen, daß es mir ebenso geht wie Ihnen. Im
Tannhäuser und Lohengrin sind Melodien, die mich entzücken, aber seine neuen
Opern langweilen mich oder machen mich verwirrt und heiß. Und auch im
Lohengrin selbst, den ich am meisten liebe, kommen mir die schönen Stellen wie
Oasen in einer Wüste vor.

Das junge Mädchen nickte mit dem Kopfe. Es kommt mir so vor, als
müßte er sich sehr quälen, um eine Oper zustande zu bringen, sagte sie. Bei


Die Grafen von Altenschwerdt,

manchen Abend davon abhielt, sich in das verwirrende und gefährliche Treiben
der übermütigen Jngendgeiwssen zu stürzen.

Jetzt waren ihre Kunst und ihre Macht noch erheblich gewachsen. Sie
fühlte in seiner Gegenwart so recht, wie sehr sie in den beiden Jahren ihres
Studiums Fortschritte gemacht und jene gewaltigen Hebel ihrer Stimme und
ihrer zierlichen Hände zu lenken gelernt hatte.

Er lauschte ihr in hoher Entzückung. Die angenehmen Worte, welche er
über seine Dichtungen vernommen hatte, klangen in ihm fort und gaben seinem
Empfinden eine begeisteruugsvolle Feinheit, die ihn die Musik mit erhöhtem
Genuß aufnehmen ließ. Während er den Klängen lauschte, wiederholte er sich
selbst alle jene schönen Stellen seiner Gedichte, von denen er dachte, daß sie
imstande gewesen wären, das Herz des liebenswürdigen Mädchens zu rühren,
und er kam sich selbst vor, als sei er der kunstgebictende Gott Apollo.

Endlich machte sie eine Pause und blickte über die Schulter zurück mit ihren
sprechenden Augen zu ihm herüber.

Wundervoll, wundervoll, mein liebes Kind! sagte er. Sie sind ein voll¬
kommener Engel geworden, und ich begreife nicht, wie der Chor der Seraphim,
die vor dein Throne des Höchsten tonzertiren, Sie entbehren kann. Aber wie
kommt es, daß Sie nichts von Richard Wagner spielen? Mich dünkt, Sie Hütten
ehedem den Traum Elsas mit Vorliebe vorgetragen, und heute habe ich ihn
nicht gehört.

Wenn Sie wünschen, sollen Sie ihn sogleich hören, aber ich habe auf dem
Konservatorium Wagner ganz vernachlässigt. Das Konservatorium ignorirt ihn.

Und doch ist er so beliebt, und sein Ruhm breitet sich immer mehr aus.
Er ist mir immer interessant gewesen, weil er so viel Beifall und Widerspruch
findet. Lieben Sie ihn nicht?

Ich habe früher für einzelne seiner Sachen geschwärmt, sagte das junge
Mädchen. Aber seitdem ich tiefer in Beethoven und Bach eingedrungen bin,
liebe ich ihn nicht mehr, und ich kann seine neuen Werte, die Meistersinger, die
Nibelungen, nicht hören, ohne mich elend zu fühlen. Auch feigen meine Lehrer,
er sei nicht auf dein rechten Wege.

Aber er selbst verachtet nicht nnr die Leute, die das sagen, sondern, wie
ich gehört habe, sogar seiue eignen Schöpfnnge» früherer Zeit, den Tannhäuser,
Lohengrin, fliegenden Holländer und Rienzi, weil sie noch im Banne der alten
Musik lägen. Ich muß nun gestehen, daß es mir ebenso geht wie Ihnen. Im
Tannhäuser und Lohengrin sind Melodien, die mich entzücken, aber seine neuen
Opern langweilen mich oder machen mich verwirrt und heiß. Und auch im
Lohengrin selbst, den ich am meisten liebe, kommen mir die schönen Stellen wie
Oasen in einer Wüste vor.

Das junge Mädchen nickte mit dem Kopfe. Es kommt mir so vor, als
müßte er sich sehr quälen, um eine Oper zustande zu bringen, sagte sie. Bei


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[0437] Die Grafen von Altenschwerdt, manchen Abend davon abhielt, sich in das verwirrende und gefährliche Treiben der übermütigen Jngendgeiwssen zu stürzen. Jetzt waren ihre Kunst und ihre Macht noch erheblich gewachsen. Sie fühlte in seiner Gegenwart so recht, wie sehr sie in den beiden Jahren ihres Studiums Fortschritte gemacht und jene gewaltigen Hebel ihrer Stimme und ihrer zierlichen Hände zu lenken gelernt hatte. Er lauschte ihr in hoher Entzückung. Die angenehmen Worte, welche er über seine Dichtungen vernommen hatte, klangen in ihm fort und gaben seinem Empfinden eine begeisteruugsvolle Feinheit, die ihn die Musik mit erhöhtem Genuß aufnehmen ließ. Während er den Klängen lauschte, wiederholte er sich selbst alle jene schönen Stellen seiner Gedichte, von denen er dachte, daß sie imstande gewesen wären, das Herz des liebenswürdigen Mädchens zu rühren, und er kam sich selbst vor, als sei er der kunstgebictende Gott Apollo. Endlich machte sie eine Pause und blickte über die Schulter zurück mit ihren sprechenden Augen zu ihm herüber. Wundervoll, wundervoll, mein liebes Kind! sagte er. Sie sind ein voll¬ kommener Engel geworden, und ich begreife nicht, wie der Chor der Seraphim, die vor dein Throne des Höchsten tonzertiren, Sie entbehren kann. Aber wie kommt es, daß Sie nichts von Richard Wagner spielen? Mich dünkt, Sie Hütten ehedem den Traum Elsas mit Vorliebe vorgetragen, und heute habe ich ihn nicht gehört. Wenn Sie wünschen, sollen Sie ihn sogleich hören, aber ich habe auf dem Konservatorium Wagner ganz vernachlässigt. Das Konservatorium ignorirt ihn. Und doch ist er so beliebt, und sein Ruhm breitet sich immer mehr aus. Er ist mir immer interessant gewesen, weil er so viel Beifall und Widerspruch findet. Lieben Sie ihn nicht? Ich habe früher für einzelne seiner Sachen geschwärmt, sagte das junge Mädchen. Aber seitdem ich tiefer in Beethoven und Bach eingedrungen bin, liebe ich ihn nicht mehr, und ich kann seine neuen Werte, die Meistersinger, die Nibelungen, nicht hören, ohne mich elend zu fühlen. Auch feigen meine Lehrer, er sei nicht auf dein rechten Wege. Aber er selbst verachtet nicht nnr die Leute, die das sagen, sondern, wie ich gehört habe, sogar seiue eignen Schöpfnnge» früherer Zeit, den Tannhäuser, Lohengrin, fliegenden Holländer und Rienzi, weil sie noch im Banne der alten Musik lägen. Ich muß nun gestehen, daß es mir ebenso geht wie Ihnen. Im Tannhäuser und Lohengrin sind Melodien, die mich entzücken, aber seine neuen Opern langweilen mich oder machen mich verwirrt und heiß. Und auch im Lohengrin selbst, den ich am meisten liebe, kommen mir die schönen Stellen wie Oasen in einer Wüste vor. Das junge Mädchen nickte mit dem Kopfe. Es kommt mir so vor, als müßte er sich sehr quälen, um eine Oper zustande zu bringen, sagte sie. Bei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/437>, abgerufen am 23.07.2024.