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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

Von einfachem Stoff und kleidsamen Schnitt, die Art, wie ihr aschblondes Haar
aufgesteckt war, der zierliche Stiefel, der unter dem Saum des blauen Kleides
hervorblickte, alles das zeigte Geschmack und verriet gleich ihrem heitern, lieb¬
lichen Gesicht eine fein angelegte Natur, Sie schien das Veilchen unter ihren
Blumenschwestern zu sein.

Ich bekomme doch wieder eine Hand wie ehemals? fragte Graf Dietrich,
ihr seine Rechte entgegenstreckend.

Das junge Mädchen erhob die tiefblauen Augen mit einem freundlichen
und schelmischen Blick und legte die zarten weißen Finger in des jungen
Grafen Hand.

Nun wahrhaftig, mein liebes Kind, sagte er, indem er sie fortgesetzt prüfend be¬
trachtete, diese beiden Jahre haben Wunder an Ihnen bewirkt. Leipzig hat
Ihnen gut gethan. Wie Mama mir sagt, sind Sie eine große Künstlerin ge¬
worden, und wie ich sehe, auch eine große Schönheit.

Das junge Mädchen schüttelte lachend den Kopf. Ich sehe, Herr Graf,
die Komplimente sitzen Ihnen noch eben so locker wie ehemals, sagte sie.

Sie müssen mir erzählen, wie es Ihnen ergangen ist, Fräulein Anna, sagte
Graf Dietrich, sich ihr gegenüber auf die Bank setzend. Dann werde ich Ihnen
berichten, wie die Sachen hier stehen. Sie werden wohl schon bemerkt haben,
daß wir hier gerade nicht im Paradiese leben.

Ich habe mich schon sehr über die schöne Aussicht gefreut, erwiederte Anna,
mit einem Kopfnicken nach der See hin winkend, die man durch einen Ausschnitt
der Laube sah.

O ja, See lind See, Wasser und Wasser, das ist für den ersten Tag recht
gut, auch für den zweiten, aber wenn man länger hier ist, wird es langweilig.
Deshalb freue ich mich ungeheuer, daß Sie gekommen sind. Da werden wir
uns doch etwas cunüsiren. Sie müssen mir etwas vorspielen. Wir haben el"
gutes Pianino dort im Musikzimmer. Ich dürste nach Tönen. Früher spielten
Sie schon so reizend die Straußfeder Walzer uno die Beethovenschen Sonaten
und sangen mir Lieder von Franz und von Schubert. Wissen Sie noch?
Gewiß ist das alles jetzt uoch viel herrlicher geworden. Aber was haben Sie
denn da? Er ergriff mit diesen Worten ein kleines Buch, das im Arbeitskorbe
des jungen Mädchens lag und mit einer Ecke unter der Stickerei hervorsah.

Das sind Gedichte -- bitte, lassen Sie sie liegen, Herr Graf, sagte sie,
von neuem errötend. Aber nein, bitte, das ist recht indiskret von Ihnen.

Gedichte? sagte er, unbekümmert um ihren Einspruch den Band öffnend.
Also immer noch die poetische Neigung!

Doch indem er das Buch aufschlug und so sprach, zitterte seine Hand vor
freudiger Erregung, und sein Blick verklärte sich. Er hatte schon an der kleinen
Ecke, welche aus dem Arbeitskörbchen hervorsah, einen ihm wohlbekannten Ein¬
band entdeckt und sah nun mit Entzücken, daß es seine eignen Gedichte waren.


Die Grafen von Altenschwerdt.

Von einfachem Stoff und kleidsamen Schnitt, die Art, wie ihr aschblondes Haar
aufgesteckt war, der zierliche Stiefel, der unter dem Saum des blauen Kleides
hervorblickte, alles das zeigte Geschmack und verriet gleich ihrem heitern, lieb¬
lichen Gesicht eine fein angelegte Natur, Sie schien das Veilchen unter ihren
Blumenschwestern zu sein.

Ich bekomme doch wieder eine Hand wie ehemals? fragte Graf Dietrich,
ihr seine Rechte entgegenstreckend.

Das junge Mädchen erhob die tiefblauen Augen mit einem freundlichen
und schelmischen Blick und legte die zarten weißen Finger in des jungen
Grafen Hand.

Nun wahrhaftig, mein liebes Kind, sagte er, indem er sie fortgesetzt prüfend be¬
trachtete, diese beiden Jahre haben Wunder an Ihnen bewirkt. Leipzig hat
Ihnen gut gethan. Wie Mama mir sagt, sind Sie eine große Künstlerin ge¬
worden, und wie ich sehe, auch eine große Schönheit.

Das junge Mädchen schüttelte lachend den Kopf. Ich sehe, Herr Graf,
die Komplimente sitzen Ihnen noch eben so locker wie ehemals, sagte sie.

Sie müssen mir erzählen, wie es Ihnen ergangen ist, Fräulein Anna, sagte
Graf Dietrich, sich ihr gegenüber auf die Bank setzend. Dann werde ich Ihnen
berichten, wie die Sachen hier stehen. Sie werden wohl schon bemerkt haben,
daß wir hier gerade nicht im Paradiese leben.

Ich habe mich schon sehr über die schöne Aussicht gefreut, erwiederte Anna,
mit einem Kopfnicken nach der See hin winkend, die man durch einen Ausschnitt
der Laube sah.

O ja, See lind See, Wasser und Wasser, das ist für den ersten Tag recht
gut, auch für den zweiten, aber wenn man länger hier ist, wird es langweilig.
Deshalb freue ich mich ungeheuer, daß Sie gekommen sind. Da werden wir
uns doch etwas cunüsiren. Sie müssen mir etwas vorspielen. Wir haben el»
gutes Pianino dort im Musikzimmer. Ich dürste nach Tönen. Früher spielten
Sie schon so reizend die Straußfeder Walzer uno die Beethovenschen Sonaten
und sangen mir Lieder von Franz und von Schubert. Wissen Sie noch?
Gewiß ist das alles jetzt uoch viel herrlicher geworden. Aber was haben Sie
denn da? Er ergriff mit diesen Worten ein kleines Buch, das im Arbeitskorbe
des jungen Mädchens lag und mit einer Ecke unter der Stickerei hervorsah.

Das sind Gedichte — bitte, lassen Sie sie liegen, Herr Graf, sagte sie,
von neuem errötend. Aber nein, bitte, das ist recht indiskret von Ihnen.

Gedichte? sagte er, unbekümmert um ihren Einspruch den Band öffnend.
Also immer noch die poetische Neigung!

Doch indem er das Buch aufschlug und so sprach, zitterte seine Hand vor
freudiger Erregung, und sein Blick verklärte sich. Er hatte schon an der kleinen
Ecke, welche aus dem Arbeitskörbchen hervorsah, einen ihm wohlbekannten Ein¬
band entdeckt und sah nun mit Entzücken, daß es seine eignen Gedichte waren.


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[0434] Die Grafen von Altenschwerdt. Von einfachem Stoff und kleidsamen Schnitt, die Art, wie ihr aschblondes Haar aufgesteckt war, der zierliche Stiefel, der unter dem Saum des blauen Kleides hervorblickte, alles das zeigte Geschmack und verriet gleich ihrem heitern, lieb¬ lichen Gesicht eine fein angelegte Natur, Sie schien das Veilchen unter ihren Blumenschwestern zu sein. Ich bekomme doch wieder eine Hand wie ehemals? fragte Graf Dietrich, ihr seine Rechte entgegenstreckend. Das junge Mädchen erhob die tiefblauen Augen mit einem freundlichen und schelmischen Blick und legte die zarten weißen Finger in des jungen Grafen Hand. Nun wahrhaftig, mein liebes Kind, sagte er, indem er sie fortgesetzt prüfend be¬ trachtete, diese beiden Jahre haben Wunder an Ihnen bewirkt. Leipzig hat Ihnen gut gethan. Wie Mama mir sagt, sind Sie eine große Künstlerin ge¬ worden, und wie ich sehe, auch eine große Schönheit. Das junge Mädchen schüttelte lachend den Kopf. Ich sehe, Herr Graf, die Komplimente sitzen Ihnen noch eben so locker wie ehemals, sagte sie. Sie müssen mir erzählen, wie es Ihnen ergangen ist, Fräulein Anna, sagte Graf Dietrich, sich ihr gegenüber auf die Bank setzend. Dann werde ich Ihnen berichten, wie die Sachen hier stehen. Sie werden wohl schon bemerkt haben, daß wir hier gerade nicht im Paradiese leben. Ich habe mich schon sehr über die schöne Aussicht gefreut, erwiederte Anna, mit einem Kopfnicken nach der See hin winkend, die man durch einen Ausschnitt der Laube sah. O ja, See lind See, Wasser und Wasser, das ist für den ersten Tag recht gut, auch für den zweiten, aber wenn man länger hier ist, wird es langweilig. Deshalb freue ich mich ungeheuer, daß Sie gekommen sind. Da werden wir uns doch etwas cunüsiren. Sie müssen mir etwas vorspielen. Wir haben el» gutes Pianino dort im Musikzimmer. Ich dürste nach Tönen. Früher spielten Sie schon so reizend die Straußfeder Walzer uno die Beethovenschen Sonaten und sangen mir Lieder von Franz und von Schubert. Wissen Sie noch? Gewiß ist das alles jetzt uoch viel herrlicher geworden. Aber was haben Sie denn da? Er ergriff mit diesen Worten ein kleines Buch, das im Arbeitskorbe des jungen Mädchens lag und mit einer Ecke unter der Stickerei hervorsah. Das sind Gedichte — bitte, lassen Sie sie liegen, Herr Graf, sagte sie, von neuem errötend. Aber nein, bitte, das ist recht indiskret von Ihnen. Gedichte? sagte er, unbekümmert um ihren Einspruch den Band öffnend. Also immer noch die poetische Neigung! Doch indem er das Buch aufschlug und so sprach, zitterte seine Hand vor freudiger Erregung, und sein Blick verklärte sich. Er hatte schon an der kleinen Ecke, welche aus dem Arbeitskörbchen hervorsah, einen ihm wohlbekannten Ein¬ band entdeckt und sah nun mit Entzücken, daß es seine eignen Gedichte waren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/434>, abgerufen am 23.07.2024.