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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Der zweite Pariser Rrach.

und auch heutzutage mag im Gespräch und im Gerücht von Mund zu Mund
noch mancherlei gesprochen werden. Aber die französische Presse schweigt, und die
Deputirten folgen dem Stern Rothschilds, wie einst die Armee Dumouriez'
dem Stern der Republik gefolgt war, wenn auch aus erheblich andern Gründen.

War nun der Sturz Boutoux' zugleich der Sturz Gambettas, so war er
die Besiegelung der Abhängigkeit der französischen Stantswirtschaft von Roth¬
schild und der Hs-nel-ünMos. Lediglich aus politischen Motiven hatte Gambetta
die Konversion der fünfprozentigen Rente und die Verstaatlichung des Eisen¬
bahnnetzes ins Auge gefaßt. Die im Jahre 1878 von den Gesellschaften
übernommenen Bahnen des sekundären Netzes sind lediglich eine Last für den
Staat; sie sind selbstverständlich mit Kapital überlastet. Dieselben werden zu¬
dem wirtschaftlich stets die Aschenbrödel der sie umgarnenden großen Bahn¬
gesellschaften bleiben. Jeder vernünftige Politiker, als den wir Gambetta trotz
seines Chauvinismus doch immerhin betrachten müssen, muß aber, wenn er an
die Spitze eines Staatswesens wie Frankreich tritt, erkennen, daß eine so voll¬
kommene Umgarnung der Staatsinteressen, wie sie infolge der Beherrschung der
französischen Rente und der Eisenbahnen durch Rothschild stattfindet, zur Er¬
stickung führen muß; und wenn er dies noch nicht erkennt, so muß er jedenfalls
diesen Druck unerträglich finden. Indeß hatte Gambetta viel zu lange und viel
zu sehr unter demselben Zeichen wie Rothschild an der Zerrüttung der staat¬
lichen Selbständigkeit gearbeitet, um nicht den erlittenen Sturz zu verdienen,
was indeß nichts ändert an der Schrecklichkeit der Verrottung, welche dieser
Sturz zum schamlosen Ausdruck bringt.

Seitdem ist die Geschichte der Börse die Geschichte Frankreichs. Die
ägyptische Politik der Nachfolger Gambettas war die Politik Rothschilds, die
man leicht verstehen wird, wenn man weiß, daß die finanziellen Interessen des
letztern am Nil größer sind als die aller andern Finanzgruppen, und daß die¬
selben während der Panik, welcher die ägyptischen Werte zur Zeit der Kata¬
strophe unterlagen, noch ungeheuer vermehrt wurden. Rothschild wollte daher
auch lediglich den stÄwg quo in Ägypten wieder hergestellt wissen und
fürchtete, daß eine kombinirte Aktion zwischen England und Frankreich leicht
zu einem Konflikt führen könne, welcher dann natürlich den Dingen notwendig


Wenn ich noch die algerische Eisenbahnaffäre zustande bringe, so werde ich diesen fünf noch
drei hinzufügen können. "Werden sie diese 3 vor oder hinter die S setzen," habe darauf
Carpenticr gefragt, "wird es 35 oder 53 Millionen geben? Setzen Sie die 3 immer vornhin
und geben sie mir ihre 5, es bleibt ihnen doch noch eine nette Summe übrig." Rothschild
wollte aber von dem Vorschlage nichts wissen, gab aber Carpenticr seine Uhrkette
von allerdings großem Werte, die jedoch Rothschilds gelungener Schüler sogleich ver
schenkte. Damals erzählte man sich auch, gelegentlich der Pariser Ausstellung habe Roth¬
schild nur an den 20-Centimes-Tagen die Ausstellung besucht, und setzte ein nicht sonderlich
schmeichelhaftes Wort hinzu. Ein deutsches Blatt jener Zeit bezeichnete die Geschichte des
Hauses Rothschild als eine "Krankheitsgeschichte der europäischen Staaten."
Der zweite Pariser Rrach.

und auch heutzutage mag im Gespräch und im Gerücht von Mund zu Mund
noch mancherlei gesprochen werden. Aber die französische Presse schweigt, und die
Deputirten folgen dem Stern Rothschilds, wie einst die Armee Dumouriez'
dem Stern der Republik gefolgt war, wenn auch aus erheblich andern Gründen.

War nun der Sturz Boutoux' zugleich der Sturz Gambettas, so war er
die Besiegelung der Abhängigkeit der französischen Stantswirtschaft von Roth¬
schild und der Hs-nel-ünMos. Lediglich aus politischen Motiven hatte Gambetta
die Konversion der fünfprozentigen Rente und die Verstaatlichung des Eisen¬
bahnnetzes ins Auge gefaßt. Die im Jahre 1878 von den Gesellschaften
übernommenen Bahnen des sekundären Netzes sind lediglich eine Last für den
Staat; sie sind selbstverständlich mit Kapital überlastet. Dieselben werden zu¬
dem wirtschaftlich stets die Aschenbrödel der sie umgarnenden großen Bahn¬
gesellschaften bleiben. Jeder vernünftige Politiker, als den wir Gambetta trotz
seines Chauvinismus doch immerhin betrachten müssen, muß aber, wenn er an
die Spitze eines Staatswesens wie Frankreich tritt, erkennen, daß eine so voll¬
kommene Umgarnung der Staatsinteressen, wie sie infolge der Beherrschung der
französischen Rente und der Eisenbahnen durch Rothschild stattfindet, zur Er¬
stickung führen muß; und wenn er dies noch nicht erkennt, so muß er jedenfalls
diesen Druck unerträglich finden. Indeß hatte Gambetta viel zu lange und viel
zu sehr unter demselben Zeichen wie Rothschild an der Zerrüttung der staat¬
lichen Selbständigkeit gearbeitet, um nicht den erlittenen Sturz zu verdienen,
was indeß nichts ändert an der Schrecklichkeit der Verrottung, welche dieser
Sturz zum schamlosen Ausdruck bringt.

Seitdem ist die Geschichte der Börse die Geschichte Frankreichs. Die
ägyptische Politik der Nachfolger Gambettas war die Politik Rothschilds, die
man leicht verstehen wird, wenn man weiß, daß die finanziellen Interessen des
letztern am Nil größer sind als die aller andern Finanzgruppen, und daß die¬
selben während der Panik, welcher die ägyptischen Werte zur Zeit der Kata¬
strophe unterlagen, noch ungeheuer vermehrt wurden. Rothschild wollte daher
auch lediglich den stÄwg quo in Ägypten wieder hergestellt wissen und
fürchtete, daß eine kombinirte Aktion zwischen England und Frankreich leicht
zu einem Konflikt führen könne, welcher dann natürlich den Dingen notwendig


Wenn ich noch die algerische Eisenbahnaffäre zustande bringe, so werde ich diesen fünf noch
drei hinzufügen können. „Werden sie diese 3 vor oder hinter die S setzen," habe darauf
Carpenticr gefragt, „wird es 35 oder 53 Millionen geben? Setzen Sie die 3 immer vornhin
und geben sie mir ihre 5, es bleibt ihnen doch noch eine nette Summe übrig." Rothschild
wollte aber von dem Vorschlage nichts wissen, gab aber Carpenticr seine Uhrkette
von allerdings großem Werte, die jedoch Rothschilds gelungener Schüler sogleich ver
schenkte. Damals erzählte man sich auch, gelegentlich der Pariser Ausstellung habe Roth¬
schild nur an den 20-Centimes-Tagen die Ausstellung besucht, und setzte ein nicht sonderlich
schmeichelhaftes Wort hinzu. Ein deutsches Blatt jener Zeit bezeichnete die Geschichte des
Hauses Rothschild als eine „Krankheitsgeschichte der europäischen Staaten."
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[0412] Der zweite Pariser Rrach. und auch heutzutage mag im Gespräch und im Gerücht von Mund zu Mund noch mancherlei gesprochen werden. Aber die französische Presse schweigt, und die Deputirten folgen dem Stern Rothschilds, wie einst die Armee Dumouriez' dem Stern der Republik gefolgt war, wenn auch aus erheblich andern Gründen. War nun der Sturz Boutoux' zugleich der Sturz Gambettas, so war er die Besiegelung der Abhängigkeit der französischen Stantswirtschaft von Roth¬ schild und der Hs-nel-ünMos. Lediglich aus politischen Motiven hatte Gambetta die Konversion der fünfprozentigen Rente und die Verstaatlichung des Eisen¬ bahnnetzes ins Auge gefaßt. Die im Jahre 1878 von den Gesellschaften übernommenen Bahnen des sekundären Netzes sind lediglich eine Last für den Staat; sie sind selbstverständlich mit Kapital überlastet. Dieselben werden zu¬ dem wirtschaftlich stets die Aschenbrödel der sie umgarnenden großen Bahn¬ gesellschaften bleiben. Jeder vernünftige Politiker, als den wir Gambetta trotz seines Chauvinismus doch immerhin betrachten müssen, muß aber, wenn er an die Spitze eines Staatswesens wie Frankreich tritt, erkennen, daß eine so voll¬ kommene Umgarnung der Staatsinteressen, wie sie infolge der Beherrschung der französischen Rente und der Eisenbahnen durch Rothschild stattfindet, zur Er¬ stickung führen muß; und wenn er dies noch nicht erkennt, so muß er jedenfalls diesen Druck unerträglich finden. Indeß hatte Gambetta viel zu lange und viel zu sehr unter demselben Zeichen wie Rothschild an der Zerrüttung der staat¬ lichen Selbständigkeit gearbeitet, um nicht den erlittenen Sturz zu verdienen, was indeß nichts ändert an der Schrecklichkeit der Verrottung, welche dieser Sturz zum schamlosen Ausdruck bringt. Seitdem ist die Geschichte der Börse die Geschichte Frankreichs. Die ägyptische Politik der Nachfolger Gambettas war die Politik Rothschilds, die man leicht verstehen wird, wenn man weiß, daß die finanziellen Interessen des letztern am Nil größer sind als die aller andern Finanzgruppen, und daß die¬ selben während der Panik, welcher die ägyptischen Werte zur Zeit der Kata¬ strophe unterlagen, noch ungeheuer vermehrt wurden. Rothschild wollte daher auch lediglich den stÄwg quo in Ägypten wieder hergestellt wissen und fürchtete, daß eine kombinirte Aktion zwischen England und Frankreich leicht zu einem Konflikt führen könne, welcher dann natürlich den Dingen notwendig Wenn ich noch die algerische Eisenbahnaffäre zustande bringe, so werde ich diesen fünf noch drei hinzufügen können. „Werden sie diese 3 vor oder hinter die S setzen," habe darauf Carpenticr gefragt, „wird es 35 oder 53 Millionen geben? Setzen Sie die 3 immer vornhin und geben sie mir ihre 5, es bleibt ihnen doch noch eine nette Summe übrig." Rothschild wollte aber von dem Vorschlage nichts wissen, gab aber Carpenticr seine Uhrkette von allerdings großem Werte, die jedoch Rothschilds gelungener Schüler sogleich ver schenkte. Damals erzählte man sich auch, gelegentlich der Pariser Ausstellung habe Roth¬ schild nur an den 20-Centimes-Tagen die Ausstellung besucht, und setzte ein nicht sonderlich schmeichelhaftes Wort hinzu. Ein deutsches Blatt jener Zeit bezeichnete die Geschichte des Hauses Rothschild als eine „Krankheitsgeschichte der europäischen Staaten."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/412>, abgerufen am 23.07.2024.