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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Der parlamentarische Ronflikt in Frankreich.

der großen Masse der Wähler als mehr oder weniger mit der orleanistischcn
Partei shmpathisircud betrachtet werden, so gilt das wohl nur von den Haupt¬
orten des Landes; denn der Orleanismus wird von den Bauer" der Provinz
schwerlich begriffen, ja die meisten werden von ihm nicht einmal wissen, daß er
existirt.

Edouard Lockrvy, ein Radikaler, der in der Kammer den Verbessern ngs-
autrag auf sofortige Streichung der vrlcauistischen Prinzen aus den Listen der
Armee und der Kriegsflotte unterzeichnete, bemerkt in einem sehr massiven Artikel
im KgWizI, daß das Proskriptionsgesctz jetzt nicht mehr in erster Linie stehe,
das große Problem des Tages liege vielmehr in dem voraussichtlichen Konflikte
zwischen den beiden Kammern der Gesetzgebung. Angesichts eines solchen vermag
er nur einen Ausgang zu erkennen, die Beseitigung des Senates. Wir können ihm
darin nicht Recht geben, da der Senat fast der einzige Repräsentant der kon¬
servativen und maßvollen Republik ist, die Thiers allein für lebensfähig erklärte,
und da nach seinem Wegfall alsbald die Radikalen zur Herrschaft gelangen und
dann der reinen Anarchie die Wege ebnen würden. Aber lassen wir ihn sich
expektoriren. Er schreibt: "Der Streit zwischen dem beschränkten und dem all¬
gemeinen Stimmrechte ist in Begriff, sich zu erneuern. Man erhebt die Frage,
ob Revision oder Auflösung. Gesetzt den Fall, der Senat lehnte das Gesetz
in einem monarchischen Fieber- oder Wahnsiunsanfalle ab, glaubt man, daß die
Deputirtenkammer, herausgefordert und verwundet, ruhig die Arme übereiuander-
schlagen und die Ohrfeige von feiten der Senatoren einstecken würde? Die
Kammer würde von der Regierung energisches Handeln fordern. Die Verwerfung
von Artikel 7 hatte die Verjagung der Jesuiten zur Folge. Die Verwerfung
dieses Gesetzes würde mit der Austreibung der Prinzen endigen. Und die Kammer
würde Recht haben. Die Prinzen intriguirten, sie waren freilich keine unmittel¬
bar drohende Gefahr, aber sie werden es werden, wen" der Senat sich rücksichts¬
los und leidenschaftlich ihrer Sache annimmt. Barthelemy Se. Hilaire würde
sie zu Prätendenten weihen. Er würde sie mit einer Partei versehen, ihnen
Macht verschaffen und ihre Freunde in der Armee ermutigen, er würde zu Un¬
gehorsam und Meuterei aufreize". Die Regierung würde gezwungen sein, zu¬
zuschlagen. Wenn die Regierung etwa zögern sollte, den Schlag zu thun, so
würde sie umgestürzt werden und ihre Nachfolger desgleichen, wenn sie denselben
Weg beschütten. Dann würde eine Auflösung unvermeidlich werden. Aber unter
was für Bedingungen? Die Parteigänger des Senats und der Prinzen auf
der einen Seite, die Republikaner auf der andern. Wenn andernfalls die Re¬
gierung der Kammer gehorchen sollte, was bestimmt zu erwarten ist, so würde
wieder um eine Revision des Oberhauses nicht herumzukommen sein; denn wie
könnten wir mit einem Senate existiren, der sich stets dem Willen der Nation
widersetzt? sWille der Nation ist immer das Streben und Verlangen der libe¬
ralen und radikalen Parteien, die Konservativen gehören nicht zur Nation, die


Der parlamentarische Ronflikt in Frankreich.

der großen Masse der Wähler als mehr oder weniger mit der orleanistischcn
Partei shmpathisircud betrachtet werden, so gilt das wohl nur von den Haupt¬
orten des Landes; denn der Orleanismus wird von den Bauer» der Provinz
schwerlich begriffen, ja die meisten werden von ihm nicht einmal wissen, daß er
existirt.

Edouard Lockrvy, ein Radikaler, der in der Kammer den Verbessern ngs-
autrag auf sofortige Streichung der vrlcauistischen Prinzen aus den Listen der
Armee und der Kriegsflotte unterzeichnete, bemerkt in einem sehr massiven Artikel
im KgWizI, daß das Proskriptionsgesctz jetzt nicht mehr in erster Linie stehe,
das große Problem des Tages liege vielmehr in dem voraussichtlichen Konflikte
zwischen den beiden Kammern der Gesetzgebung. Angesichts eines solchen vermag
er nur einen Ausgang zu erkennen, die Beseitigung des Senates. Wir können ihm
darin nicht Recht geben, da der Senat fast der einzige Repräsentant der kon¬
servativen und maßvollen Republik ist, die Thiers allein für lebensfähig erklärte,
und da nach seinem Wegfall alsbald die Radikalen zur Herrschaft gelangen und
dann der reinen Anarchie die Wege ebnen würden. Aber lassen wir ihn sich
expektoriren. Er schreibt: „Der Streit zwischen dem beschränkten und dem all¬
gemeinen Stimmrechte ist in Begriff, sich zu erneuern. Man erhebt die Frage,
ob Revision oder Auflösung. Gesetzt den Fall, der Senat lehnte das Gesetz
in einem monarchischen Fieber- oder Wahnsiunsanfalle ab, glaubt man, daß die
Deputirtenkammer, herausgefordert und verwundet, ruhig die Arme übereiuander-
schlagen und die Ohrfeige von feiten der Senatoren einstecken würde? Die
Kammer würde von der Regierung energisches Handeln fordern. Die Verwerfung
von Artikel 7 hatte die Verjagung der Jesuiten zur Folge. Die Verwerfung
dieses Gesetzes würde mit der Austreibung der Prinzen endigen. Und die Kammer
würde Recht haben. Die Prinzen intriguirten, sie waren freilich keine unmittel¬
bar drohende Gefahr, aber sie werden es werden, wen» der Senat sich rücksichts¬
los und leidenschaftlich ihrer Sache annimmt. Barthelemy Se. Hilaire würde
sie zu Prätendenten weihen. Er würde sie mit einer Partei versehen, ihnen
Macht verschaffen und ihre Freunde in der Armee ermutigen, er würde zu Un¬
gehorsam und Meuterei aufreize«. Die Regierung würde gezwungen sein, zu¬
zuschlagen. Wenn die Regierung etwa zögern sollte, den Schlag zu thun, so
würde sie umgestürzt werden und ihre Nachfolger desgleichen, wenn sie denselben
Weg beschütten. Dann würde eine Auflösung unvermeidlich werden. Aber unter
was für Bedingungen? Die Parteigänger des Senats und der Prinzen auf
der einen Seite, die Republikaner auf der andern. Wenn andernfalls die Re¬
gierung der Kammer gehorchen sollte, was bestimmt zu erwarten ist, so würde
wieder um eine Revision des Oberhauses nicht herumzukommen sein; denn wie
könnten wir mit einem Senate existiren, der sich stets dem Willen der Nation
widersetzt? sWille der Nation ist immer das Streben und Verlangen der libe¬
ralen und radikalen Parteien, die Konservativen gehören nicht zur Nation, die


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[0397] Der parlamentarische Ronflikt in Frankreich. der großen Masse der Wähler als mehr oder weniger mit der orleanistischcn Partei shmpathisircud betrachtet werden, so gilt das wohl nur von den Haupt¬ orten des Landes; denn der Orleanismus wird von den Bauer» der Provinz schwerlich begriffen, ja die meisten werden von ihm nicht einmal wissen, daß er existirt. Edouard Lockrvy, ein Radikaler, der in der Kammer den Verbessern ngs- autrag auf sofortige Streichung der vrlcauistischen Prinzen aus den Listen der Armee und der Kriegsflotte unterzeichnete, bemerkt in einem sehr massiven Artikel im KgWizI, daß das Proskriptionsgesctz jetzt nicht mehr in erster Linie stehe, das große Problem des Tages liege vielmehr in dem voraussichtlichen Konflikte zwischen den beiden Kammern der Gesetzgebung. Angesichts eines solchen vermag er nur einen Ausgang zu erkennen, die Beseitigung des Senates. Wir können ihm darin nicht Recht geben, da der Senat fast der einzige Repräsentant der kon¬ servativen und maßvollen Republik ist, die Thiers allein für lebensfähig erklärte, und da nach seinem Wegfall alsbald die Radikalen zur Herrschaft gelangen und dann der reinen Anarchie die Wege ebnen würden. Aber lassen wir ihn sich expektoriren. Er schreibt: „Der Streit zwischen dem beschränkten und dem all¬ gemeinen Stimmrechte ist in Begriff, sich zu erneuern. Man erhebt die Frage, ob Revision oder Auflösung. Gesetzt den Fall, der Senat lehnte das Gesetz in einem monarchischen Fieber- oder Wahnsiunsanfalle ab, glaubt man, daß die Deputirtenkammer, herausgefordert und verwundet, ruhig die Arme übereiuander- schlagen und die Ohrfeige von feiten der Senatoren einstecken würde? Die Kammer würde von der Regierung energisches Handeln fordern. Die Verwerfung von Artikel 7 hatte die Verjagung der Jesuiten zur Folge. Die Verwerfung dieses Gesetzes würde mit der Austreibung der Prinzen endigen. Und die Kammer würde Recht haben. Die Prinzen intriguirten, sie waren freilich keine unmittel¬ bar drohende Gefahr, aber sie werden es werden, wen» der Senat sich rücksichts¬ los und leidenschaftlich ihrer Sache annimmt. Barthelemy Se. Hilaire würde sie zu Prätendenten weihen. Er würde sie mit einer Partei versehen, ihnen Macht verschaffen und ihre Freunde in der Armee ermutigen, er würde zu Un¬ gehorsam und Meuterei aufreize«. Die Regierung würde gezwungen sein, zu¬ zuschlagen. Wenn die Regierung etwa zögern sollte, den Schlag zu thun, so würde sie umgestürzt werden und ihre Nachfolger desgleichen, wenn sie denselben Weg beschütten. Dann würde eine Auflösung unvermeidlich werden. Aber unter was für Bedingungen? Die Parteigänger des Senats und der Prinzen auf der einen Seite, die Republikaner auf der andern. Wenn andernfalls die Re¬ gierung der Kammer gehorchen sollte, was bestimmt zu erwarten ist, so würde wieder um eine Revision des Oberhauses nicht herumzukommen sein; denn wie könnten wir mit einem Senate existiren, der sich stets dem Willen der Nation widersetzt? sWille der Nation ist immer das Streben und Verlangen der libe¬ ralen und radikalen Parteien, die Konservativen gehören nicht zur Nation, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/397>, abgerufen am 23.07.2024.