Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Der parlamentarische Konflikt in Frankreich.

Campenou, haben sich Ferry angeschlossen und würden wahrscheinlich in ein von
ihm gebildetes Kabinet eintreten. Er ist bereits mehrmals zum Präsidenten
berufen worden, und jeden Tag kann man erwarten, daß eine neue Minister¬
liste veröffentlicht wird.

Mittlerweile hatte der Senator Testelin, das einzige Mitglied des vom
französischen Oberhause zur Prüfung des Proskriptionsgesetzes gewählten Aus¬
schusses, welches der Maßregel günstig gestimmt ist, eine Unterredung mit Fäl¬
liges und dem Justizminister, in deren Verlauf er sich erkundigte, ob die Re¬
gierung bereit sein werde, auf eine Verständigung einzugehen, die einer seiner
Kollegen von der republikanischen Union vorschlagen wolle. Es scheint noch
immer, als ob darauf nicht zu rechnen sei, doch begab sich der Justizminister
nach dieser Besprechung ins Elysee zu Grevy, um ihm über den Stand der
Dinge nochmals Bericht zu erstatten.

Die Pariser Presse fuhr währenddessen fort, über das fragliche Gesetz sehr
verschiedener Meinung zu sein. Dies gilt auch von den republikanischen Blät¬
tern, und selbst die, welche früher für gambettistisch galten, stimmen in der Sache
keineswegs überein, wie denn die RöMvliauö I^'M"M8ö das Gesetz mit großer
Wärme lobt und empfiehlt, während?g.ris es aufs heftigste angreift und ver¬
urteilt. In einem teilweise recht interessanten Artikel des VoltMö versucht
Alfred Naquet den Beweis zu führen, daß die Verwerfung des Proskriptivns-
gesetzes von feiten der Senatoren leine schädlichen Folgen für die Republik
haben werde, selbst wenn das Ergebnis eine Kammeranflösung und eine Neu¬
wahl sein sollte. Alle Deputirten, welche gegen die Maßregel gestimmt hätten,
würden von den Wählern als Orlecmisten betrachtet werden, die meisten von
ihnen würden ihre Mandate verlieren, und die Fraktionen der republikanischen
Union und der äußersten Linken würden an Kopfzahl zunehmen. "Aber gerade
aus diesem Grunde, so fährt der Verfasser des Artikels fort, werden weder
Grevy noch der Senat eine Auflösung wagen. Sie werden sich nicht nach Art
des Marschalls Mac Mahon und des Senats von 1877 in den Abgrund stürzen.
. Sie werden sich gezwungen sehen, den Beschluß der Kammer im Palais Luxem-
bourg gutzuheißen, oder, wenn die Gutheißung nicht erfolgen sollte, dem Lande
in Gestalt von Dekreten die Sicherheit und Beruhigung zu verschaffen, welche
die Senatoren ihm verweigert haben." Naquet legt Gewicht auf den Umstand,
daß Grevy, als er sich für oder gegen das Prvskriptionsgesetz zu entscheiden
hatte, sich auf die Seite derjenigen Mitglieder des Kabinets Duelerc stellte,
welche der Maßregel günstig gestimmt waren, und prophezeit zuversichtlich, es
werde weder zu einer Kammeranflösung noch zu einem Konflikte zwischen den
beiden Häusern des Parlaments kommen. Wir sind der Meinung, daß er sich hierin
täuscht. Als Freund des in Rede stehenden Gesetzes ist er selbstverständlich
geneigt, die verwickelte Lage, die es hervorgerufen hat, günstig aufzufassen, und
wenn etwas wahres in seiner Meinung liegt, die Gegner desselben würden von


Der parlamentarische Konflikt in Frankreich.

Campenou, haben sich Ferry angeschlossen und würden wahrscheinlich in ein von
ihm gebildetes Kabinet eintreten. Er ist bereits mehrmals zum Präsidenten
berufen worden, und jeden Tag kann man erwarten, daß eine neue Minister¬
liste veröffentlicht wird.

Mittlerweile hatte der Senator Testelin, das einzige Mitglied des vom
französischen Oberhause zur Prüfung des Proskriptionsgesetzes gewählten Aus¬
schusses, welches der Maßregel günstig gestimmt ist, eine Unterredung mit Fäl¬
liges und dem Justizminister, in deren Verlauf er sich erkundigte, ob die Re¬
gierung bereit sein werde, auf eine Verständigung einzugehen, die einer seiner
Kollegen von der republikanischen Union vorschlagen wolle. Es scheint noch
immer, als ob darauf nicht zu rechnen sei, doch begab sich der Justizminister
nach dieser Besprechung ins Elysee zu Grevy, um ihm über den Stand der
Dinge nochmals Bericht zu erstatten.

Die Pariser Presse fuhr währenddessen fort, über das fragliche Gesetz sehr
verschiedener Meinung zu sein. Dies gilt auch von den republikanischen Blät¬
tern, und selbst die, welche früher für gambettistisch galten, stimmen in der Sache
keineswegs überein, wie denn die RöMvliauö I^'M«M8ö das Gesetz mit großer
Wärme lobt und empfiehlt, während?g.ris es aufs heftigste angreift und ver¬
urteilt. In einem teilweise recht interessanten Artikel des VoltMö versucht
Alfred Naquet den Beweis zu führen, daß die Verwerfung des Proskriptivns-
gesetzes von feiten der Senatoren leine schädlichen Folgen für die Republik
haben werde, selbst wenn das Ergebnis eine Kammeranflösung und eine Neu¬
wahl sein sollte. Alle Deputirten, welche gegen die Maßregel gestimmt hätten,
würden von den Wählern als Orlecmisten betrachtet werden, die meisten von
ihnen würden ihre Mandate verlieren, und die Fraktionen der republikanischen
Union und der äußersten Linken würden an Kopfzahl zunehmen. „Aber gerade
aus diesem Grunde, so fährt der Verfasser des Artikels fort, werden weder
Grevy noch der Senat eine Auflösung wagen. Sie werden sich nicht nach Art
des Marschalls Mac Mahon und des Senats von 1877 in den Abgrund stürzen.
. Sie werden sich gezwungen sehen, den Beschluß der Kammer im Palais Luxem-
bourg gutzuheißen, oder, wenn die Gutheißung nicht erfolgen sollte, dem Lande
in Gestalt von Dekreten die Sicherheit und Beruhigung zu verschaffen, welche
die Senatoren ihm verweigert haben." Naquet legt Gewicht auf den Umstand,
daß Grevy, als er sich für oder gegen das Prvskriptionsgesetz zu entscheiden
hatte, sich auf die Seite derjenigen Mitglieder des Kabinets Duelerc stellte,
welche der Maßregel günstig gestimmt waren, und prophezeit zuversichtlich, es
werde weder zu einer Kammeranflösung noch zu einem Konflikte zwischen den
beiden Häusern des Parlaments kommen. Wir sind der Meinung, daß er sich hierin
täuscht. Als Freund des in Rede stehenden Gesetzes ist er selbstverständlich
geneigt, die verwickelte Lage, die es hervorgerufen hat, günstig aufzufassen, und
wenn etwas wahres in seiner Meinung liegt, die Gegner desselben würden von


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0396" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/152102"/>
          <fw type="header" place="top"> Der parlamentarische Konflikt in Frankreich.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1477" prev="#ID_1476"> Campenou, haben sich Ferry angeschlossen und würden wahrscheinlich in ein von<lb/>
ihm gebildetes Kabinet eintreten. Er ist bereits mehrmals zum Präsidenten<lb/>
berufen worden, und jeden Tag kann man erwarten, daß eine neue Minister¬<lb/>
liste veröffentlicht wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1478"> Mittlerweile hatte der Senator Testelin, das einzige Mitglied des vom<lb/>
französischen Oberhause zur Prüfung des Proskriptionsgesetzes gewählten Aus¬<lb/>
schusses, welches der Maßregel günstig gestimmt ist, eine Unterredung mit Fäl¬<lb/>
liges und dem Justizminister, in deren Verlauf er sich erkundigte, ob die Re¬<lb/>
gierung bereit sein werde, auf eine Verständigung einzugehen, die einer seiner<lb/>
Kollegen von der republikanischen Union vorschlagen wolle. Es scheint noch<lb/>
immer, als ob darauf nicht zu rechnen sei, doch begab sich der Justizminister<lb/>
nach dieser Besprechung ins Elysee zu Grevy, um ihm über den Stand der<lb/>
Dinge nochmals Bericht zu erstatten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1479" next="#ID_1480"> Die Pariser Presse fuhr währenddessen fort, über das fragliche Gesetz sehr<lb/>
verschiedener Meinung zu sein. Dies gilt auch von den republikanischen Blät¬<lb/>
tern, und selbst die, welche früher für gambettistisch galten, stimmen in der Sache<lb/>
keineswegs überein, wie denn die RöMvliauö I^'M«M8ö das Gesetz mit großer<lb/>
Wärme lobt und empfiehlt, während?g.ris es aufs heftigste angreift und ver¬<lb/>
urteilt. In einem teilweise recht interessanten Artikel des VoltMö versucht<lb/>
Alfred Naquet den Beweis zu führen, daß die Verwerfung des Proskriptivns-<lb/>
gesetzes von feiten der Senatoren leine schädlichen Folgen für die Republik<lb/>
haben werde, selbst wenn das Ergebnis eine Kammeranflösung und eine Neu¬<lb/>
wahl sein sollte. Alle Deputirten, welche gegen die Maßregel gestimmt hätten,<lb/>
würden von den Wählern als Orlecmisten betrachtet werden, die meisten von<lb/>
ihnen würden ihre Mandate verlieren, und die Fraktionen der republikanischen<lb/>
Union und der äußersten Linken würden an Kopfzahl zunehmen. &#x201E;Aber gerade<lb/>
aus diesem Grunde, so fährt der Verfasser des Artikels fort, werden weder<lb/>
Grevy noch der Senat eine Auflösung wagen. Sie werden sich nicht nach Art<lb/>
des Marschalls Mac Mahon und des Senats von 1877 in den Abgrund stürzen.<lb/>
. Sie werden sich gezwungen sehen, den Beschluß der Kammer im Palais Luxem-<lb/>
bourg gutzuheißen, oder, wenn die Gutheißung nicht erfolgen sollte, dem Lande<lb/>
in Gestalt von Dekreten die Sicherheit und Beruhigung zu verschaffen, welche<lb/>
die Senatoren ihm verweigert haben." Naquet legt Gewicht auf den Umstand,<lb/>
daß Grevy, als er sich für oder gegen das Prvskriptionsgesetz zu entscheiden<lb/>
hatte, sich auf die Seite derjenigen Mitglieder des Kabinets Duelerc stellte,<lb/>
welche der Maßregel günstig gestimmt waren, und prophezeit zuversichtlich, es<lb/>
werde weder zu einer Kammeranflösung noch zu einem Konflikte zwischen den<lb/>
beiden Häusern des Parlaments kommen. Wir sind der Meinung, daß er sich hierin<lb/>
täuscht. Als Freund des in Rede stehenden Gesetzes ist er selbstverständlich<lb/>
geneigt, die verwickelte Lage, die es hervorgerufen hat, günstig aufzufassen, und<lb/>
wenn etwas wahres in seiner Meinung liegt, die Gegner desselben würden von</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0396] Der parlamentarische Konflikt in Frankreich. Campenou, haben sich Ferry angeschlossen und würden wahrscheinlich in ein von ihm gebildetes Kabinet eintreten. Er ist bereits mehrmals zum Präsidenten berufen worden, und jeden Tag kann man erwarten, daß eine neue Minister¬ liste veröffentlicht wird. Mittlerweile hatte der Senator Testelin, das einzige Mitglied des vom französischen Oberhause zur Prüfung des Proskriptionsgesetzes gewählten Aus¬ schusses, welches der Maßregel günstig gestimmt ist, eine Unterredung mit Fäl¬ liges und dem Justizminister, in deren Verlauf er sich erkundigte, ob die Re¬ gierung bereit sein werde, auf eine Verständigung einzugehen, die einer seiner Kollegen von der republikanischen Union vorschlagen wolle. Es scheint noch immer, als ob darauf nicht zu rechnen sei, doch begab sich der Justizminister nach dieser Besprechung ins Elysee zu Grevy, um ihm über den Stand der Dinge nochmals Bericht zu erstatten. Die Pariser Presse fuhr währenddessen fort, über das fragliche Gesetz sehr verschiedener Meinung zu sein. Dies gilt auch von den republikanischen Blät¬ tern, und selbst die, welche früher für gambettistisch galten, stimmen in der Sache keineswegs überein, wie denn die RöMvliauö I^'M«M8ö das Gesetz mit großer Wärme lobt und empfiehlt, während?g.ris es aufs heftigste angreift und ver¬ urteilt. In einem teilweise recht interessanten Artikel des VoltMö versucht Alfred Naquet den Beweis zu führen, daß die Verwerfung des Proskriptivns- gesetzes von feiten der Senatoren leine schädlichen Folgen für die Republik haben werde, selbst wenn das Ergebnis eine Kammeranflösung und eine Neu¬ wahl sein sollte. Alle Deputirten, welche gegen die Maßregel gestimmt hätten, würden von den Wählern als Orlecmisten betrachtet werden, die meisten von ihnen würden ihre Mandate verlieren, und die Fraktionen der republikanischen Union und der äußersten Linken würden an Kopfzahl zunehmen. „Aber gerade aus diesem Grunde, so fährt der Verfasser des Artikels fort, werden weder Grevy noch der Senat eine Auflösung wagen. Sie werden sich nicht nach Art des Marschalls Mac Mahon und des Senats von 1877 in den Abgrund stürzen. . Sie werden sich gezwungen sehen, den Beschluß der Kammer im Palais Luxem- bourg gutzuheißen, oder, wenn die Gutheißung nicht erfolgen sollte, dem Lande in Gestalt von Dekreten die Sicherheit und Beruhigung zu verschaffen, welche die Senatoren ihm verweigert haben." Naquet legt Gewicht auf den Umstand, daß Grevy, als er sich für oder gegen das Prvskriptionsgesetz zu entscheiden hatte, sich auf die Seite derjenigen Mitglieder des Kabinets Duelerc stellte, welche der Maßregel günstig gestimmt waren, und prophezeit zuversichtlich, es werde weder zu einer Kammeranflösung noch zu einem Konflikte zwischen den beiden Häusern des Parlaments kommen. Wir sind der Meinung, daß er sich hierin täuscht. Als Freund des in Rede stehenden Gesetzes ist er selbstverständlich geneigt, die verwickelte Lage, die es hervorgerufen hat, günstig aufzufassen, und wenn etwas wahres in seiner Meinung liegt, die Gegner desselben würden von

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/396
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/396>, abgerufen am 23.07.2024.