Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Grafen von Altmschwerdr.

der vor langen Jahren starb, nicht, wie du bisher geglaubt hast, eines natür¬
lichen Todes --

Wie? fragte der junge Graf erbleichend.

Dein Vater erschoß sich, sagte die Gräfin.

Es entstand eine lange Pause. Des jungen Grafen Gesicht war schmeiz-
lich verzogen, und in seinem Blick spiegelte sich der Eindruck eines erschreckend
vor ihm aufsteigenden Unheimlichen wieder. Die Gräfin sah vor sich nieder
und bewegte mechanisch ihr Augenglas in den schlanken, spitz zulaufenden Fingern.

Wie kam das? fragte Graf Dietrich, mühsam atmend.

Dein Vater lebte die letzten Jahre in einer geheimnisvollen Unruhe, fuhr
die Gräfin fort, welche wohl im Zustande seiner Nerven begründet war. Er
hatte die letzten fünf Jahre seines Lebens die Eigentümlichkeit, niemals einen
Brief zu öffnen, den er erhielt. Er lebte in einer nervösen Angst, eine Mah¬
nung eines seiner Gläubiger, eine Rechnung, eine Klage oder sonst etwas un¬
angenehmes in den Briefen zu finden, und ließ sie deshalb sämtlich uneröffnet.
Ich habe unendliche Stöße von geschlossenen Briefen nach feinem Tode in den
Kästen seines Schreibtisches und seines Bureaus gefunden. Es ist wahr, daß
er höchst verschwenderisch lebte, und daß er wohl Grund hatte, sich vor dem
Ende zu fürchten, aber doch war unser Vermögen so bedeutend, daß selbst die
unsinnigen Ausgaben deines Vaters es nicht völlig hatten erschöpfen können.
Dein Vater scheute sich, die Bilance zu ziehen, scheute sich, dem Stande unsrer
Finanzen ins Gesicht zu sehen, lebte von Tag zu Tag weiter, indem er sich
selbst betrog und betäubte, und schoß sich endlich tot, als er der Überzeugung
war, er müsse gänzlich ruinirt sein.

Entsetzlich! sagte Graf Dietrich leise. Er fühlte halb unbewußt mit der
Ha"d nach der Tausendmarknote in seiner Tasche und atmete ängstlich.

Als ich nach seinem Tode mit unserm Sachwalter die hinterlassenen Pa¬
piere ordnete, faud ich, daß allerdings der größte Teil unsers Vermögens dahin
war, daß unser Gut und Schloß nicht mehr zu behaupten waren, daß aber doch bei
geschicktem Arrangement noch eine Summe vou etwa hundertundzwanzigtansend
Thalern für dich, mein Sohn, und für mich übrig blieben.

O, wie schrecklich ist es, zu denken, flüsterte Dietrich, daß der Vater sich
in einem solchen Irrtume das Leben nahm! Mich dünkt, wir hätten so lange
Jahre noch glücklich zusammen mit dem Rest unsers Vermögens leben können!

Die Gräfin zuckte die Achseln. Es ist einmal geschehen, sagte sie, und
man thut am klügsten, nicht an die unwiederbringliche Vergangenheit, sondern
an die Zukunft zu denken. Ich gab mir Mühe, mit den Zinsen dieses Kapitals
für uns beide eine standesgemäße Existenz zu bestreiten und --

Aber liebe Mama, sagte Graf Dietrich, sie unterbrechend, ist denn eine so
große Summe nicht völlig ausreichend gewesen? Bei einer vierprvzentigen An¬
lage haben wir doch schon etwa fünftausend Thaler jährlich zu verzehren.


Die Grafen von Altmschwerdr.

der vor langen Jahren starb, nicht, wie du bisher geglaubt hast, eines natür¬
lichen Todes —

Wie? fragte der junge Graf erbleichend.

Dein Vater erschoß sich, sagte die Gräfin.

Es entstand eine lange Pause. Des jungen Grafen Gesicht war schmeiz-
lich verzogen, und in seinem Blick spiegelte sich der Eindruck eines erschreckend
vor ihm aufsteigenden Unheimlichen wieder. Die Gräfin sah vor sich nieder
und bewegte mechanisch ihr Augenglas in den schlanken, spitz zulaufenden Fingern.

Wie kam das? fragte Graf Dietrich, mühsam atmend.

Dein Vater lebte die letzten Jahre in einer geheimnisvollen Unruhe, fuhr
die Gräfin fort, welche wohl im Zustande seiner Nerven begründet war. Er
hatte die letzten fünf Jahre seines Lebens die Eigentümlichkeit, niemals einen
Brief zu öffnen, den er erhielt. Er lebte in einer nervösen Angst, eine Mah¬
nung eines seiner Gläubiger, eine Rechnung, eine Klage oder sonst etwas un¬
angenehmes in den Briefen zu finden, und ließ sie deshalb sämtlich uneröffnet.
Ich habe unendliche Stöße von geschlossenen Briefen nach feinem Tode in den
Kästen seines Schreibtisches und seines Bureaus gefunden. Es ist wahr, daß
er höchst verschwenderisch lebte, und daß er wohl Grund hatte, sich vor dem
Ende zu fürchten, aber doch war unser Vermögen so bedeutend, daß selbst die
unsinnigen Ausgaben deines Vaters es nicht völlig hatten erschöpfen können.
Dein Vater scheute sich, die Bilance zu ziehen, scheute sich, dem Stande unsrer
Finanzen ins Gesicht zu sehen, lebte von Tag zu Tag weiter, indem er sich
selbst betrog und betäubte, und schoß sich endlich tot, als er der Überzeugung
war, er müsse gänzlich ruinirt sein.

Entsetzlich! sagte Graf Dietrich leise. Er fühlte halb unbewußt mit der
Ha»d nach der Tausendmarknote in seiner Tasche und atmete ängstlich.

Als ich nach seinem Tode mit unserm Sachwalter die hinterlassenen Pa¬
piere ordnete, faud ich, daß allerdings der größte Teil unsers Vermögens dahin
war, daß unser Gut und Schloß nicht mehr zu behaupten waren, daß aber doch bei
geschicktem Arrangement noch eine Summe vou etwa hundertundzwanzigtansend
Thalern für dich, mein Sohn, und für mich übrig blieben.

O, wie schrecklich ist es, zu denken, flüsterte Dietrich, daß der Vater sich
in einem solchen Irrtume das Leben nahm! Mich dünkt, wir hätten so lange
Jahre noch glücklich zusammen mit dem Rest unsers Vermögens leben können!

Die Gräfin zuckte die Achseln. Es ist einmal geschehen, sagte sie, und
man thut am klügsten, nicht an die unwiederbringliche Vergangenheit, sondern
an die Zukunft zu denken. Ich gab mir Mühe, mit den Zinsen dieses Kapitals
für uns beide eine standesgemäße Existenz zu bestreiten und —

Aber liebe Mama, sagte Graf Dietrich, sie unterbrechend, ist denn eine so
große Summe nicht völlig ausreichend gewesen? Bei einer vierprvzentigen An¬
lage haben wir doch schon etwa fünftausend Thaler jährlich zu verzehren.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0388" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/152086"/>
            <fw type="header" place="top"> Die Grafen von Altmschwerdr.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1428" prev="#ID_1427"> der vor langen Jahren starb, nicht, wie du bisher geglaubt hast, eines natür¬<lb/>
lichen Todes &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1429"> Wie? fragte der junge Graf erbleichend.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1430"> Dein Vater erschoß sich, sagte die Gräfin.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1431"> Es entstand eine lange Pause. Des jungen Grafen Gesicht war schmeiz-<lb/>
lich verzogen, und in seinem Blick spiegelte sich der Eindruck eines erschreckend<lb/>
vor ihm aufsteigenden Unheimlichen wieder. Die Gräfin sah vor sich nieder<lb/>
und bewegte mechanisch ihr Augenglas in den schlanken, spitz zulaufenden Fingern.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1432"> Wie kam das? fragte Graf Dietrich, mühsam atmend.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1433"> Dein Vater lebte die letzten Jahre in einer geheimnisvollen Unruhe, fuhr<lb/>
die Gräfin fort, welche wohl im Zustande seiner Nerven begründet war. Er<lb/>
hatte die letzten fünf Jahre seines Lebens die Eigentümlichkeit, niemals einen<lb/>
Brief zu öffnen, den er erhielt. Er lebte in einer nervösen Angst, eine Mah¬<lb/>
nung eines seiner Gläubiger, eine Rechnung, eine Klage oder sonst etwas un¬<lb/>
angenehmes in den Briefen zu finden, und ließ sie deshalb sämtlich uneröffnet.<lb/>
Ich habe unendliche Stöße von geschlossenen Briefen nach feinem Tode in den<lb/>
Kästen seines Schreibtisches und seines Bureaus gefunden. Es ist wahr, daß<lb/>
er höchst verschwenderisch lebte, und daß er wohl Grund hatte, sich vor dem<lb/>
Ende zu fürchten, aber doch war unser Vermögen so bedeutend, daß selbst die<lb/>
unsinnigen Ausgaben deines Vaters es nicht völlig hatten erschöpfen können.<lb/>
Dein Vater scheute sich, die Bilance zu ziehen, scheute sich, dem Stande unsrer<lb/>
Finanzen ins Gesicht zu sehen, lebte von Tag zu Tag weiter, indem er sich<lb/>
selbst betrog und betäubte, und schoß sich endlich tot, als er der Überzeugung<lb/>
war, er müsse gänzlich ruinirt sein.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1434"> Entsetzlich! sagte Graf Dietrich leise. Er fühlte halb unbewußt mit der<lb/>
Ha»d nach der Tausendmarknote in seiner Tasche und atmete ängstlich.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1435"> Als ich nach seinem Tode mit unserm Sachwalter die hinterlassenen Pa¬<lb/>
piere ordnete, faud ich, daß allerdings der größte Teil unsers Vermögens dahin<lb/>
war, daß unser Gut und Schloß nicht mehr zu behaupten waren, daß aber doch bei<lb/>
geschicktem Arrangement noch eine Summe vou etwa hundertundzwanzigtansend<lb/>
Thalern für dich, mein Sohn, und für mich übrig blieben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1436"> O, wie schrecklich ist es, zu denken, flüsterte Dietrich, daß der Vater sich<lb/>
in einem solchen Irrtume das Leben nahm! Mich dünkt, wir hätten so lange<lb/>
Jahre noch glücklich zusammen mit dem Rest unsers Vermögens leben können!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1437"> Die Gräfin zuckte die Achseln. Es ist einmal geschehen, sagte sie, und<lb/>
man thut am klügsten, nicht an die unwiederbringliche Vergangenheit, sondern<lb/>
an die Zukunft zu denken. Ich gab mir Mühe, mit den Zinsen dieses Kapitals<lb/>
für uns beide eine standesgemäße Existenz zu bestreiten und &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1438"> Aber liebe Mama, sagte Graf Dietrich, sie unterbrechend, ist denn eine so<lb/>
große Summe nicht völlig ausreichend gewesen? Bei einer vierprvzentigen An¬<lb/>
lage haben wir doch schon etwa fünftausend Thaler jährlich zu verzehren.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0388] Die Grafen von Altmschwerdr. der vor langen Jahren starb, nicht, wie du bisher geglaubt hast, eines natür¬ lichen Todes — Wie? fragte der junge Graf erbleichend. Dein Vater erschoß sich, sagte die Gräfin. Es entstand eine lange Pause. Des jungen Grafen Gesicht war schmeiz- lich verzogen, und in seinem Blick spiegelte sich der Eindruck eines erschreckend vor ihm aufsteigenden Unheimlichen wieder. Die Gräfin sah vor sich nieder und bewegte mechanisch ihr Augenglas in den schlanken, spitz zulaufenden Fingern. Wie kam das? fragte Graf Dietrich, mühsam atmend. Dein Vater lebte die letzten Jahre in einer geheimnisvollen Unruhe, fuhr die Gräfin fort, welche wohl im Zustande seiner Nerven begründet war. Er hatte die letzten fünf Jahre seines Lebens die Eigentümlichkeit, niemals einen Brief zu öffnen, den er erhielt. Er lebte in einer nervösen Angst, eine Mah¬ nung eines seiner Gläubiger, eine Rechnung, eine Klage oder sonst etwas un¬ angenehmes in den Briefen zu finden, und ließ sie deshalb sämtlich uneröffnet. Ich habe unendliche Stöße von geschlossenen Briefen nach feinem Tode in den Kästen seines Schreibtisches und seines Bureaus gefunden. Es ist wahr, daß er höchst verschwenderisch lebte, und daß er wohl Grund hatte, sich vor dem Ende zu fürchten, aber doch war unser Vermögen so bedeutend, daß selbst die unsinnigen Ausgaben deines Vaters es nicht völlig hatten erschöpfen können. Dein Vater scheute sich, die Bilance zu ziehen, scheute sich, dem Stande unsrer Finanzen ins Gesicht zu sehen, lebte von Tag zu Tag weiter, indem er sich selbst betrog und betäubte, und schoß sich endlich tot, als er der Überzeugung war, er müsse gänzlich ruinirt sein. Entsetzlich! sagte Graf Dietrich leise. Er fühlte halb unbewußt mit der Ha»d nach der Tausendmarknote in seiner Tasche und atmete ängstlich. Als ich nach seinem Tode mit unserm Sachwalter die hinterlassenen Pa¬ piere ordnete, faud ich, daß allerdings der größte Teil unsers Vermögens dahin war, daß unser Gut und Schloß nicht mehr zu behaupten waren, daß aber doch bei geschicktem Arrangement noch eine Summe vou etwa hundertundzwanzigtansend Thalern für dich, mein Sohn, und für mich übrig blieben. O, wie schrecklich ist es, zu denken, flüsterte Dietrich, daß der Vater sich in einem solchen Irrtume das Leben nahm! Mich dünkt, wir hätten so lange Jahre noch glücklich zusammen mit dem Rest unsers Vermögens leben können! Die Gräfin zuckte die Achseln. Es ist einmal geschehen, sagte sie, und man thut am klügsten, nicht an die unwiederbringliche Vergangenheit, sondern an die Zukunft zu denken. Ich gab mir Mühe, mit den Zinsen dieses Kapitals für uns beide eine standesgemäße Existenz zu bestreiten und — Aber liebe Mama, sagte Graf Dietrich, sie unterbrechend, ist denn eine so große Summe nicht völlig ausreichend gewesen? Bei einer vierprvzentigen An¬ lage haben wir doch schon etwa fünftausend Thaler jährlich zu verzehren.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/388
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/388>, abgerufen am 23.07.2024.