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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

Ich will dir einmal erzählen, was ich bei dem berühmten Geheimen Ober¬
medizinalrat Professur Dr. Meder gelernt habe, wo ich, wie dn weißt, zwei
Jahre lang Heildiener war, entgegnete der Naturarzt. Der Mann hatte eine
kolossale Praxis und verordnete eine riesige Menge von wissenschaftlichen Heil¬
mitteln, ganz so wie du meinst, daß es geschehen miißte, gegen jede Krankheit
etwas andres. Gegen Rheumatismus gab er Salizylsänre und verordnete Moor¬
bäder, gegen Gicht gab er Lithion, gegen Herzleiden Digitalis, Magenleidenden
verschrieb er Pepsin, und so weiter, wie du dir schon denken kannst. Zur Ab¬
wechslung ließ er auch elektrisiren oder konzentrirte Gase einatmen und ähnliche
Scherze. Nun war er selber ein fideles Männchen und steckte nicht in der
festesten Haut. Bald drückte es ihn hier, bald dort, bald war der Appetit weg,
bald hatte er den Hexenschuß, bald Husten. Da fiel es mir um auf, daß er
selber niemals Salizylsänre oder Opium oder Chinin oder sonst etwas von den
heilsamen Sachen einnahm, die er seinen Patienten verordnete. Dafür hatte er
die Manier, wenn er krank wurde, nichts zu essen, außer etwas altem Zwie-
back, wozu er frisches Wasser trank. Er wurde aber allemal schneller wieder
gesund als seine Patienten. Und einmal, als er ganz steif von Rheumatismus
war, fragte ich ihn, ob er sich nicht etwas wollte elektrisiren lassen. Wir hatten
eine schöne, starke Maschine dazu im Hause, welche ich bediente, da sagte er, ich
wäre ein naseweiser Bursche und sollte warten, bis ich gefragt würde.

Herr Rudolf Schmidt war sehr übler Laune. Er fand, daß sein Bruder
Gottlieb alle seine schlechten Eigenschaften, seine Rechthaberei, seine Geschwätzig¬
keit und seine Dreistigkeit in dem verflossenen Jahre ihrer Entfremdung noch er¬
heblich gesteigert habe. Doch wollte er nicht ohne jeden Nutzen wieder fort¬
gehen.

Laß es gut sein, sagte er. Meinetwegen thue, was du willst. Wir wolle"
auf gutem Fuße bleiben, so viel an mir liegt. Und eins wollte ich dir noch
sagen: Hier ist eine Gräfin von Altenschwerdt bei dir in der Kur --

Ich will einmal nachsehen in meiner Liste, sagte Gottlieb. Weißt du, die
vornehmen Leute drängen sich hier so, daß ich die Namen nicht alle im Kopfe
behalten kann.

Ein bodenloser Schwindler! sagte Rudolf seufzend für sich, indem er die
Augen zur Decke erhob.

Ganz recht, sagte Gottlieb nach einer Weile, ans einem großen Buche
lesend. Nummer zweitausenddrcihnndertviernndsiebzig, Gräfin Sibylla von Alten¬
schwerdt aus Breslau. Nummer zweitausenddreihundertfünfnndsiebzig, Graf
Dietrich von Altenschwerdt, deren Sohn, aus Paris.

So, also auch ein Sohn, sagte Rudolf. Ich habe mir die Mutter kennen
' gelernt, als ich im Garten war. Sie hatte einen Empfehlungsbrief an mich
von ihrem Bankier in Breslau und sagte, sie hätte die Absicht gehabt, mich
zu besuchen, wäre aber ihrer Gesundheit wegen noch nicht dazu gekommen.


Die Grafen von Altenschwerdt.

Ich will dir einmal erzählen, was ich bei dem berühmten Geheimen Ober¬
medizinalrat Professur Dr. Meder gelernt habe, wo ich, wie dn weißt, zwei
Jahre lang Heildiener war, entgegnete der Naturarzt. Der Mann hatte eine
kolossale Praxis und verordnete eine riesige Menge von wissenschaftlichen Heil¬
mitteln, ganz so wie du meinst, daß es geschehen miißte, gegen jede Krankheit
etwas andres. Gegen Rheumatismus gab er Salizylsänre und verordnete Moor¬
bäder, gegen Gicht gab er Lithion, gegen Herzleiden Digitalis, Magenleidenden
verschrieb er Pepsin, und so weiter, wie du dir schon denken kannst. Zur Ab¬
wechslung ließ er auch elektrisiren oder konzentrirte Gase einatmen und ähnliche
Scherze. Nun war er selber ein fideles Männchen und steckte nicht in der
festesten Haut. Bald drückte es ihn hier, bald dort, bald war der Appetit weg,
bald hatte er den Hexenschuß, bald Husten. Da fiel es mir um auf, daß er
selber niemals Salizylsänre oder Opium oder Chinin oder sonst etwas von den
heilsamen Sachen einnahm, die er seinen Patienten verordnete. Dafür hatte er
die Manier, wenn er krank wurde, nichts zu essen, außer etwas altem Zwie-
back, wozu er frisches Wasser trank. Er wurde aber allemal schneller wieder
gesund als seine Patienten. Und einmal, als er ganz steif von Rheumatismus
war, fragte ich ihn, ob er sich nicht etwas wollte elektrisiren lassen. Wir hatten
eine schöne, starke Maschine dazu im Hause, welche ich bediente, da sagte er, ich
wäre ein naseweiser Bursche und sollte warten, bis ich gefragt würde.

Herr Rudolf Schmidt war sehr übler Laune. Er fand, daß sein Bruder
Gottlieb alle seine schlechten Eigenschaften, seine Rechthaberei, seine Geschwätzig¬
keit und seine Dreistigkeit in dem verflossenen Jahre ihrer Entfremdung noch er¬
heblich gesteigert habe. Doch wollte er nicht ohne jeden Nutzen wieder fort¬
gehen.

Laß es gut sein, sagte er. Meinetwegen thue, was du willst. Wir wolle»
auf gutem Fuße bleiben, so viel an mir liegt. Und eins wollte ich dir noch
sagen: Hier ist eine Gräfin von Altenschwerdt bei dir in der Kur —

Ich will einmal nachsehen in meiner Liste, sagte Gottlieb. Weißt du, die
vornehmen Leute drängen sich hier so, daß ich die Namen nicht alle im Kopfe
behalten kann.

Ein bodenloser Schwindler! sagte Rudolf seufzend für sich, indem er die
Augen zur Decke erhob.

Ganz recht, sagte Gottlieb nach einer Weile, ans einem großen Buche
lesend. Nummer zweitausenddrcihnndertviernndsiebzig, Gräfin Sibylla von Alten¬
schwerdt aus Breslau. Nummer zweitausenddreihundertfünfnndsiebzig, Graf
Dietrich von Altenschwerdt, deren Sohn, aus Paris.

So, also auch ein Sohn, sagte Rudolf. Ich habe mir die Mutter kennen
' gelernt, als ich im Garten war. Sie hatte einen Empfehlungsbrief an mich
von ihrem Bankier in Breslau und sagte, sie hätte die Absicht gehabt, mich
zu besuchen, wäre aber ihrer Gesundheit wegen noch nicht dazu gekommen.


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[0383] Die Grafen von Altenschwerdt. Ich will dir einmal erzählen, was ich bei dem berühmten Geheimen Ober¬ medizinalrat Professur Dr. Meder gelernt habe, wo ich, wie dn weißt, zwei Jahre lang Heildiener war, entgegnete der Naturarzt. Der Mann hatte eine kolossale Praxis und verordnete eine riesige Menge von wissenschaftlichen Heil¬ mitteln, ganz so wie du meinst, daß es geschehen miißte, gegen jede Krankheit etwas andres. Gegen Rheumatismus gab er Salizylsänre und verordnete Moor¬ bäder, gegen Gicht gab er Lithion, gegen Herzleiden Digitalis, Magenleidenden verschrieb er Pepsin, und so weiter, wie du dir schon denken kannst. Zur Ab¬ wechslung ließ er auch elektrisiren oder konzentrirte Gase einatmen und ähnliche Scherze. Nun war er selber ein fideles Männchen und steckte nicht in der festesten Haut. Bald drückte es ihn hier, bald dort, bald war der Appetit weg, bald hatte er den Hexenschuß, bald Husten. Da fiel es mir um auf, daß er selber niemals Salizylsänre oder Opium oder Chinin oder sonst etwas von den heilsamen Sachen einnahm, die er seinen Patienten verordnete. Dafür hatte er die Manier, wenn er krank wurde, nichts zu essen, außer etwas altem Zwie- back, wozu er frisches Wasser trank. Er wurde aber allemal schneller wieder gesund als seine Patienten. Und einmal, als er ganz steif von Rheumatismus war, fragte ich ihn, ob er sich nicht etwas wollte elektrisiren lassen. Wir hatten eine schöne, starke Maschine dazu im Hause, welche ich bediente, da sagte er, ich wäre ein naseweiser Bursche und sollte warten, bis ich gefragt würde. Herr Rudolf Schmidt war sehr übler Laune. Er fand, daß sein Bruder Gottlieb alle seine schlechten Eigenschaften, seine Rechthaberei, seine Geschwätzig¬ keit und seine Dreistigkeit in dem verflossenen Jahre ihrer Entfremdung noch er¬ heblich gesteigert habe. Doch wollte er nicht ohne jeden Nutzen wieder fort¬ gehen. Laß es gut sein, sagte er. Meinetwegen thue, was du willst. Wir wolle» auf gutem Fuße bleiben, so viel an mir liegt. Und eins wollte ich dir noch sagen: Hier ist eine Gräfin von Altenschwerdt bei dir in der Kur — Ich will einmal nachsehen in meiner Liste, sagte Gottlieb. Weißt du, die vornehmen Leute drängen sich hier so, daß ich die Namen nicht alle im Kopfe behalten kann. Ein bodenloser Schwindler! sagte Rudolf seufzend für sich, indem er die Augen zur Decke erhob. Ganz recht, sagte Gottlieb nach einer Weile, ans einem großen Buche lesend. Nummer zweitausenddrcihnndertviernndsiebzig, Gräfin Sibylla von Alten¬ schwerdt aus Breslau. Nummer zweitausenddreihundertfünfnndsiebzig, Graf Dietrich von Altenschwerdt, deren Sohn, aus Paris. So, also auch ein Sohn, sagte Rudolf. Ich habe mir die Mutter kennen ' gelernt, als ich im Garten war. Sie hatte einen Empfehlungsbrief an mich von ihrem Bankier in Breslau und sagte, sie hätte die Absicht gehabt, mich zu besuchen, wäre aber ihrer Gesundheit wegen noch nicht dazu gekommen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/383>, abgerufen am 23.07.2024.