Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.Littstchimgsgeschichtc und Stil des Lgmout. ein einem Abend in leichtem Übermut der Geselligkeit und des Weins getrieben Baron. Da giebts solche politische alte Weiber, die weitläufige Correspon- Friedrich, Nun, sein Sie nicht böse! Es war ein guter Freuuo -- Baron, Den der Teufel hole! Was gings ihn an, ob ich tot oder lebendig Aber auch den alten Oliva, der Egmont wie ein Vater liebt, den Egmont selber Überhaupt aber muß man Egmonts dämonischen Lebensmut, der sich be¬ Littstchimgsgeschichtc und Stil des Lgmout. ein einem Abend in leichtem Übermut der Geselligkeit und des Weins getrieben Baron. Da giebts solche politische alte Weiber, die weitläufige Correspon- Friedrich, Nun, sein Sie nicht böse! Es war ein guter Freuuo — Baron, Den der Teufel hole! Was gings ihn an, ob ich tot oder lebendig Aber auch den alten Oliva, der Egmont wie ein Vater liebt, den Egmont selber Überhaupt aber muß man Egmonts dämonischen Lebensmut, der sich be¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0374" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/152058"/> <fw type="header" place="top"> Littstchimgsgeschichtc und Stil des Lgmout.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1295" prev="#ID_1294"> ein einem Abend in leichtem Übermut der Geselligkeit und des Weins getrieben<lb/> und gesprochen, und was man daraus für Folgen und Beweise durchs ganze<lb/> Königreich gezogen und geschleppt habe," Das ist eine noch viel deutlichere<lb/> Anspielung auf die Klatschereien, welche man über das Treiben in Weimar ver¬<lb/> breitet hatte, als die oft bemerkte Stelle in der Lila:</p><lb/> <p xml:id="ID_1296"> Baron. Da giebts solche politische alte Weiber, die weitläufige Correspon-<lb/> denzen haben und immer etwas Neues brauchen, woher es auch stamme, daß das<lb/> Porto doch nicht ganz vergeblich ausgegeben wird. In der Welt ist im Grunde<lb/> des Guten soviel als des Bösen; weil aber Niemand leicht was gutes erteilte, dagegen<lb/> Jedermann sich einen großen Spaß macht, was Böses zu erfinden und zu glauben,<lb/> so gibts der favorablen Neuigkeiten soviel. Und so Einer —</p><lb/> <p xml:id="ID_1297"> Friedrich, Nun, sein Sie nicht böse! Es war ein guter Freuuo —</p><lb/> <p xml:id="ID_1298"> Baron, Den der Teufel hole! Was gings ihn an, ob ich tot oder lebendig<lb/> war? — Wenn er ein guter Freund war, warum mußte er der erste sein, der<lb/> meine Wunde tödtlich glaubte?</p><lb/> <p xml:id="ID_1299"> Aber auch den alten Oliva, der Egmont wie ein Vater liebt, den Egmont selber<lb/> hinterher einen „guten, ehrlichen Alten," einen „treu sorglichen" nennen muß,<lb/> welcher in seiner Jugend wohl auch nicht so bedächtig gewesen sei, werden wir<lb/> »»schwer in Klopstock finden. Er hatte Goethen einen Beweis seiner Freund-<lb/> schaft geben zu müssen geglaubt und ihn väterlich warnend von allen Verirrungen<lb/> abgemahnt. Goethe hatte barsch und rauh, wie Egmont dem Oliva, geant¬<lb/> wortet: „Verschonen Sie uus künftig mit solchen Briefen, lieber Klopstock! Sie<lb/> helfen uus nichts und machen uns immer ein paar böse Stunden. Sie fühlen<lb/> selbst, daß ich darauf nichts zu antworten habe. Entweder ich müßte als Schul-<lb/> knabe ein ?tüör xveos-öl anstimmen oder sophistisch entschuldigen oder als ehr¬<lb/> licher Kerl vertheidigen und käme vielleicht in der Wahrheit ein Gemisch von<lb/> allen Dreyen heraus, und wozu? Also kein Wort mehr zwischen uns über die<lb/> Sache. Glauben Sie mir, daß mir kein Augenblick meiner Existenz überbliebe,<lb/> wenn ich auf alle solche Anmaßungen antworten sollte." Diese Antwort ver¬<lb/> letzte Klopstock tief, und es entspricht nur dem versöhnenden Charakter, welchen<lb/> Goethes Dichtung allerorten hat, wenn er den alten Oliva hier nicht mit der¬<lb/> selben Antwort entläßt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1300" next="#ID_1301"> Überhaupt aber muß man Egmonts dämonischen Lebensmut, der sich be¬<lb/> sonders in dieser Unterredung mit dem Sekretär äußert, im Zusammenhange<lb/> mit einer Reihe kleinerer Gedichte aus der Weimarischen Zeit betrachten, in denen<lb/> sich das frische, thatkräftige Wesen ausspricht, mit dem sich Goethe immer mehr<lb/> in die Weimarer Geschäfte und in das Leben fand. Die Gedichte „Beherzigung,"<lb/> „Erinnerung," „Einschränkung," „Sorge," „Mut" u. a. sprechen ein ebenso<lb/> festes, sicheres, frisches Ergreifen des Lebens ohne Neben- und Seitenblick ans<lb/> wie die bekannten Worte Egmonts: „Kind! Kind! Nicht weiter! Wie von un¬<lb/> sichtbaren Geistern gepeitscht, gehen die Sonncnpferde der Zeit mit unsers Schick¬<lb/> sals leichtem Wagen durch, und uns bleibt nichts als, muthig gefaßt, die Zügel</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0374]
Littstchimgsgeschichtc und Stil des Lgmout.
ein einem Abend in leichtem Übermut der Geselligkeit und des Weins getrieben
und gesprochen, und was man daraus für Folgen und Beweise durchs ganze
Königreich gezogen und geschleppt habe," Das ist eine noch viel deutlichere
Anspielung auf die Klatschereien, welche man über das Treiben in Weimar ver¬
breitet hatte, als die oft bemerkte Stelle in der Lila:
Baron. Da giebts solche politische alte Weiber, die weitläufige Correspon-
denzen haben und immer etwas Neues brauchen, woher es auch stamme, daß das
Porto doch nicht ganz vergeblich ausgegeben wird. In der Welt ist im Grunde
des Guten soviel als des Bösen; weil aber Niemand leicht was gutes erteilte, dagegen
Jedermann sich einen großen Spaß macht, was Böses zu erfinden und zu glauben,
so gibts der favorablen Neuigkeiten soviel. Und so Einer —
Friedrich, Nun, sein Sie nicht böse! Es war ein guter Freuuo —
Baron, Den der Teufel hole! Was gings ihn an, ob ich tot oder lebendig
war? — Wenn er ein guter Freund war, warum mußte er der erste sein, der
meine Wunde tödtlich glaubte?
Aber auch den alten Oliva, der Egmont wie ein Vater liebt, den Egmont selber
hinterher einen „guten, ehrlichen Alten," einen „treu sorglichen" nennen muß,
welcher in seiner Jugend wohl auch nicht so bedächtig gewesen sei, werden wir
»»schwer in Klopstock finden. Er hatte Goethen einen Beweis seiner Freund-
schaft geben zu müssen geglaubt und ihn väterlich warnend von allen Verirrungen
abgemahnt. Goethe hatte barsch und rauh, wie Egmont dem Oliva, geant¬
wortet: „Verschonen Sie uus künftig mit solchen Briefen, lieber Klopstock! Sie
helfen uus nichts und machen uns immer ein paar böse Stunden. Sie fühlen
selbst, daß ich darauf nichts zu antworten habe. Entweder ich müßte als Schul-
knabe ein ?tüör xveos-öl anstimmen oder sophistisch entschuldigen oder als ehr¬
licher Kerl vertheidigen und käme vielleicht in der Wahrheit ein Gemisch von
allen Dreyen heraus, und wozu? Also kein Wort mehr zwischen uns über die
Sache. Glauben Sie mir, daß mir kein Augenblick meiner Existenz überbliebe,
wenn ich auf alle solche Anmaßungen antworten sollte." Diese Antwort ver¬
letzte Klopstock tief, und es entspricht nur dem versöhnenden Charakter, welchen
Goethes Dichtung allerorten hat, wenn er den alten Oliva hier nicht mit der¬
selben Antwort entläßt.
Überhaupt aber muß man Egmonts dämonischen Lebensmut, der sich be¬
sonders in dieser Unterredung mit dem Sekretär äußert, im Zusammenhange
mit einer Reihe kleinerer Gedichte aus der Weimarischen Zeit betrachten, in denen
sich das frische, thatkräftige Wesen ausspricht, mit dem sich Goethe immer mehr
in die Weimarer Geschäfte und in das Leben fand. Die Gedichte „Beherzigung,"
„Erinnerung," „Einschränkung," „Sorge," „Mut" u. a. sprechen ein ebenso
festes, sicheres, frisches Ergreifen des Lebens ohne Neben- und Seitenblick ans
wie die bekannten Worte Egmonts: „Kind! Kind! Nicht weiter! Wie von un¬
sichtbaren Geistern gepeitscht, gehen die Sonncnpferde der Zeit mit unsers Schick¬
sals leichtem Wagen durch, und uns bleibt nichts als, muthig gefaßt, die Zügel
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